Abenteuer Textverarbeitung

Geschrieben am 27.11.2015 von

Der Ausdruck „Textverarbeitung“, englisch „Word Processing“, ist eine der wenigen deutschen Ideen aus der Informatik, die sich weltweit durchsetzte. Urheber Ulrich Steinhilper arbeitete für die Firma IBM, die 1964 die erste Hardware dazu lieferte. Durch den Mikrocomputer verbreitete sich überall auch Software zur Textverarbeitung. John Draper, Autor des Systems EasyWriter, besuchte vor kurzem das HNF.

Wozu brauchen wir den Computer? Erstens, um online zu gehen, zweitens, um Spiele zu spielen, drittens, um Sachen zu schreiben, Rechnungen, Briefe, Bücher, Doktorarbeiten, was halt so anliegt, und viertens für alles andere. Das Erstellen von Texten für die Festplatte oder zum Ausdrucken ist also eine wichtige Anwendung des nostalgisch noch Rechner genannten Geräts. Seit langem sagen wir dazu „Textverarbeitung“ oder „word processing“ in englischsprachigen Ländern.

Dabei war das deutsche Wort zuerst da: es stammt von Ulrich Steinhilper, einem Mitarbeiter der IBM Deutschland GmbH. Steinhilper ist 2009 verstorben, seine Biografie und seine Ideen haben aber im Internet überlebt. Auf seiner Homepage kann man die Erlebnisse als Jagdflieger, Kriegsgefangener und ab 1953 bei der IBM-Filiale Stuttgart nachlesen. Hier verkaufte Steinhilper die von den DV-Kollegen mit Herablassung gesehenen elektrischen Schreibmaschinen, entwarf aber 1955 ein geniales Marketing-Schema (siehe unten), für das er sogar eine Prämie von 25 DM erhielt.

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Grafik: www.steinhilper.de/steinhilp/tv.php

In der Folgezeit verbreitete sich die Wortschöpfung als „Word Processing“ in der Mutterfirma und passte gut zu dem neuen Produkt, das Big Blue 1964 herausbrachte. Die IBM MT/ST – in Deutschland MB 72 – kombinierte die bekannte Kugelkopf-Schreibmaschine mit zwei Magnetband-Laufwerken und war das erste Textverarbeitungsgerät. Der Werbefilm dazu, den der spätere Muppet-Erfinder Jim Henson drehte, führt von der gewaltigen „paperwork explosion“ zu Steinhilpers Geistesblitz, dem Schritt vom Denken zum (maschinellen) Arbeiten.

In den 1970er-Jahren kamen Computer für Textverarbeitung auf den Markt, die den Text auf einem Monitor anzeigten und nach getaner Arbeit zum Drucker leiteten. Das HNF zeigt in seiner Ausstellung Geräte der amerikanischen Wang Laboratories sowie das System Nixdorf 8840 von 1979. Die Bremer IT-Firma Allgeier brachte ein Jahr früher ihr System 2 alpha-color heraus. Es verfügte über einen Farbmonitor, einen Plattenspeicher und einen Drucker, kostete aber stolze 88.600 DM.

Damals lief in den USA schon das erste Schreibprogramm für die sich schnell verbreitenden Mikrocomputer. Es trug den Namen Electric Pencil, zu Deutsch der elektrische Bleistift, und stammte von Michael Shrayer, einem New Yorker Kameramann und TV-Produzenten, den es nach Kalifornien verschlagen hatte. 1979 erschien dann der EasyWriter – der Titel ist vom Film „Easy Rider“ inspiriert – für den bahnbrechenden Apple II. 1981 übernahm IBM die Software für den neuen IBM PC.

Ihr Autor war John Draper, bekannt als Captain Crunch und eine Silicon-Valley-Legende. Um 1970 begann er, die Telefongesellschaft AT&T mit einer Plastikpfeife zu übertölpeln, die einen Ton von 2.600 Hertz erzeugte und kostenlose Ferngespräche ermöglichte. Diese auch Phreaking genannte Aktivität brachte ihm mehrere Haftstrafen ein, erst auf Bewährung und dann richtige. Im Gefängnis in Kalifornien entwarf er seine Software. Unser Eingangsbild und dieses Video zeigen Draper bei einem Besuch im HNF (Foto: Jan Braun, HNF).

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Wie sah die Word-Processing-Szene in der Bundesrepublik vor dreißig Jahren aus? Davon erzählt Matthias Horx im Taschenbuch „Schrift und Chips“, das Anfang 1986 vorlag. Es vermittelt den Eindruck eines großen Abenteuers, das den mutigen Mikrocomputerbenutzer von einer Gefahr zur nächsten trägt. Zwei aussagekräftige Zitate: „Das Bildschirm-Problem macht mich ratlos.“ (S. 105) und „Das Problem mit dem Drucker macht mich ratlos, bisweilen aber auch wütend und betroffen. […] Nichts paßt zusammen.“ (S 109)

Und ein längerer Auszug: „Ein Superprogramm. Alles ist möglich. Superkomfortabel. Die Hardware war billig. Nur leider merkt man das erste ‚Ei‘ erst bei der Arbeit: Nach 4.000 Zeichen wird der Cursor immer langsamer. Schließlich kommen die Buchstaben beim Schnellschreiben mit fünf Sekunden Verzögerung auf dem Bildschirm an. Und endlich, noch mal 2.000 Zeichen weiter, verschwinden sie irgendwann in der Tatstatur. Oder eine Schrift leuchtet auf: Arbeitsspeicher voll!“ (S. 127)

Textverarbeitet wurde trotzdem. Matthias Horx stellte 14 Systeme vor. „Long- und Bestseller“ mit sechs Millionen Kopien seit 1979 war WordStar, aber: „An allen Ecken und Enden stößt man sich an der Umständlichkeit des Programms.“ Da kam das 1983 eingeführte Word besser weg: „Das Programm laden und mit dem Schreiben loslegen: WORD macht es möglich. […] Die mangelnde Geschwindigkeit ist für viele Benutzer schon kein Argument mehr, sie haben sich an WORD gewöhnt. […] Alles in allem wünsche ich aber WORD eine glänzende Zukunft; Microsoft sollte es packen.“

Einige Programme kamen aus deutschen Landen, wie Edit und Form, Papyrus, Rechentext oder TexAss. Der 1985 gestartete StarWriter des 17 Jahre alten Marco Börries – Grundstein des StarOffice-Pakets und des heutigen OpenOffice – fehlt leider im Buch. Unter den Tisch fiel ebenso die MS-DOS-Version des Electric Pencil, die der Blogger jahrelang mit vollster Zufriedenheit benutzte. Der EasyWriter wird erwähnt, allerdings ging Horx nur auf zwei Eigenschaften näher ein: Die Geschwindigkeit wäre „furchtbar“ und der Preis „zu teuer“.

Das war aber sicher nicht die Schuld John Drapers, sondern eher von IBM. Apropos zu teuer: Eine kostenlose Einführung in die Frühzeit des Textverarbeitung bietet die ResearchGate-Seite an – bitte „Download full-text“ rechts oben am Textfenster anklicken.

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