Das war das ARPANET

Geschrieben am 20.10.2017 von

Im Oktober 1972 brach Wolfgang Händler nach Kalifornien auf. Der Informatik-Professor der Universität Erlangen bereiste von Berkeley aus die USA und besuchte Unternehmen und Forschungsinstitute. Nach seiner Rückkehr fasste er seine Eindrücke im Juli 1973 in einem Aufsatz zusammen. Der Abschnitt zum ARPANET war der erste Bericht in deutscher Sprache über den Vorläufer des Internet.

Wenn einer eine Reise tut, dann kann er was erzählen. Nach diesem Spruch verfuhr auch Wolfgang Händler, als er im Mai 1973 von einem sieben Monate dauernden Aufenthalt in Kalifornien zurückkehrte. Er war Professor an der Friedrich-Alexander-Universität in Erlangen und Nürnberg und leitete das Institut für Mathematische Maschinen und Datenverarbeitung IMMD. Sein Reisebericht erschien im Sommer in Heft 4/1973 der Arbeitsberichte des IMMD. Vierzehn Seiten widmeten sich dem ARPANET; sie bilden die erste deutsche Studie über den Vorläufer des Internet.

Geboren wurde Wolfgang Händler am 11. Dezember 1920 in Potsdam. Er studierte in Danzig Schiffsmaschinenbau ; den 2. Weltkrieg machte er als Funker in einem U-Boot mit. Wir dürfen annehmen, dass er auch die Chiffriermaschine Enigma benutzte. 1948 erhielt er sein Mathematik-Diplom in Kiel und arbeitete danach beim Rundfunk in Hamburg. 1957 wechselte er zur Firma Telefunken und wirkte in Backnang beim Bau des Transistorrechners TR4 mit. 1958 promovierte er beim Computerpionier Alwin Walther an der TH Darmstadt.

Es folgte eine Assistentenstelle in Saarbrücken, wo sich Wolfgang Händler habilitierte. 1963 war er Professor der TH Hannover am Lehrstuhl für Elektronische Rechenanlagen; 1966 wurde er Ordinarius in Erlangen. Sein Spezialgebiet waren die Parallelrechner. Die heutige Informatik-Sammlung Erlangen ISER zeigt unter anderem die von ihm entwickelten Systeme EGPA, Dirmu und Memsy. Er starb am 19. Februar 1998. Ein herausragendes Gebäude der technischen Fakultät seiner Universität trägt den Namen Wolfgang-Händler-Hochhaus.

Das Sather-Tor, eines der Wahrzeichen der Universität Berkeley

Als der Erlanger Professor vor 45 Jahren, im Oktober 1972, in die USA aufbrach, waren diese in der Computertechnik das Maß aller Dinge. Händler zog es aber nicht ans MIT oder nach Stanford, sondern an die Universität von Berkeley. Die Stadt liegt auf der Ostseite der Bucht von San Franciso, gegenüber der Metropole. In der amerikanischen Hochschullandschaft galt Berkeley als „links“. Von 1964 bis 1972 erlebte die Stadt legendäre Proteste und Krawalle. Diese schreckten Wolfgang Händler aber nicht ab.

Sieben Monate lang besuchte er von Berkeley aus Unis und Firmen im ganzen Land. Er interessierte sich besonders für die Themen automatisierte Kartographie, unkonventionelle Rechnersysteme und Computernetze. Seine Recherchen fasste er im Juli 1973 im zitierten Artikel zusammen. Kapitel 3.2 trägt den Titel „Das ARPANET“. Der erste Satz daraus lautet: „Mitte des vorigen Jahrzehnts geplant, umfasst heute das ARPANET nahezu alle wichtigen Institutionen, die in der Literatur als Hochburgen der Computer Science bekannt sind.“

Es folgten vierzehn Seiten Beschreibung des Netzes, aus dem das uns allen vertraute Internet werden sollte. Wolfgang Händler überging den Start des ARPANET am 29. Oktober 1969 – es umfasste gerade vier Knoten – und schilderte den Zustand im Sommer 1973. Unser Eingangsbild zeigt die damaligen Verknüpfungen. Die Universität Berkeley ist noch nicht vertreten, wohl aber das von ihr verwaltete Atomforschungszentrum Lawrence Berkeley National Laboratory. Das Kästchen mit LBL sitzt oben in der Mitte links von der Utah-Box.

Wolfgang Händler 1973 in Berkeley (Foto George M. Bergman, Bildarchiv des Mathematischen Forschungsinstituts Oberwolfach CC BY-SA 2.0 DE)

Händler umriss zu Beginn den Aufbau des ARPANET mit den Elementen Interface Message Processor oder kurz IMP, Terminal IMP und Host sowie das Verschicken von Datenpaketen. Anschließend präzisierte er den Datenfluss durch das ARPANET und auf mehreren Seiten das Netzwerk-Protokoll. Er stellte außerdem das drahtlose ALOHA-Netz vor, das auf den Inseln von Hawaii installiert wurde. Am Schluss skizzierte er Entwicklungsrichtungen in der Zukunft. Einige Zitate aus seinem Aufsatz:

„Es gilt, für die Verständigung bzw. für das In-Verbindung-Treten gewisse Spielregeln aufzustellen. Solche Spielregeln werden das ‚Protokoll‘ genannt.“

„Technisch gesprochen, ist eine ‚Verbindung‘ auf den bisher beschriebenen Stufen des Protokolls ein Paar, bestehend aus ‚Sende-Muffe‘ am einen Ende und ‚Empfangs-Muffe‘ am anderen Ende.“ – statt Muffe sagt man heute meist Socket.

„Mit der Entwicklung des ARPANET haben die USA einen völlig unkonventionellen Weg beschritten, der auch sonst interessante Aspekte eines sich anbahnenden Trends zeigt. Auffällig hierbei sind einige Details der Beschreibung des Systems. Sie klingen streckenweise wie Berichte von Psychologen oder Soziologen.“

„Nach Vorherberechnungen sollte das ARPANET zum Zeitpunkt der Berichterstattung (Juli 1973) ausgelastet sein mit ca. 10 Mio Daten-Paketen pro Tag.“

Soweit die Analyse von Wolfgang Händler; leider wurde sie nur wenigen Lesern bekannt. In unserem Blog erwähnten wir den Zukunftsforscher Robert Jungk, der im Herbst 1973 das ARPANET in einem Buch erwähnte. Die Deutsche Bundespost brauchte sieben Jahre, bis sie zumindest die Paketvermittlung des ARPANET beherrschte: Im August 1980 startete sie den Probebetrieb des Datex-P-Netzes. Zum Schluss bedanken wir uns noch herzlich bei Guido Nockemann (ISER) für die Übersendung des Aufsatzes von Wolfgang Händler.

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