Schachtürke und Industrieroboter

Geschrieben am 20.12.2019 von

Seit 2004 zeigt das HNF einen Nachbau des Schachtürken. Der lebensgroße Automat war auch Namensgeber des Schachtürken-Cups; der nächste findet vom 27. bis 30. Dezember statt. Vor vierzig Jahren, im Februar 1979, schauten die Freunde des königlichen Spiels nach Hamburg. Der schottische Meister David Levy kämpfte im Fernsehstudio gegen einen Roboter, den ein Schachprogramm steuerte.

„Wetten, dass mich in den nächsten zehn Jahren, sprich bis zum Spätsommer 1978, kein Computer in einem regulären Schachturnier schlagen wird? Und dass ich danach um fünfhundert englische Pfund reicher bin?“ Was Ende der 1960er-Jahre immerhin 4.800 deutscher Mark entsprach. Topp – die Wette gilt!

Obige Abmachung schloss im August 1968 der schottische Schachmeister David Levy in Edinburgh. Wettpartner war der amerikanische Mathematiker John McCarthy; er schuf in den 1950er-Jahren das Konzept der Künstlichen Intelligenz und die Programmiersprache LISP. Die beiden nahmen an einer Tagung teil, die der KI-Pionier Donald Michie organisierte. Bei einer Party in Michies Wohnung schlug Levy den Amerikaner in einem schnell angesetzten Schachspiel, worauf McMarthy meinte: „Heute sind Sie stärker als ich, aber in zehn Jahren wird ein Computer Sie besiegen.“

Was David Levy natürlich abstritt. In der Diskussion bot er die zitierte Wette an, die John McCarthy akzeptierte. Andere KI-Freunde erhöhten sie von fünfhundert auf 1.250 Pfund. Der 1945 in London geborene Levy schaffte es dann, die Wette zu gewinnen. Das entscheidende Turnier fand vom 26. August bis 4. September 1978 im kanadischen Toronto statt. Levy siegte dreimal gegen das Programm Chess 4.7 der US-Informatiker Larry Atkin und David Slate; es lief auf einem Großrechner Cyber 176 von Control Data. Eine Partie endete remis, eine gewann der Computer.

David Levy 1978 beim Turnier in Toronto. (Foto Computer History Museum)

Wenig später erhielt David Levy eine Einladung vom ZDF. Es plante eine Sendung über Schachcomputer und wollte ihn als Gast engagieren. Die Idee für den Bericht hatte der ZDF-Mitarbeiter Frederic Friedel; sie wurde von seinem Chef Hoimar von Ditfurth begeistert aufgegriffen. Friedel interviewte in Chicago die Schachprogrammierer Atkin und Slate und in Moskau den früheren Weltmeister Michail Botwinnik; er hatte sich ebenfalls mit solcher Software befasst. In seinem Hamburger Studio baute das ZDF einen Industrieroboter auf. Gegen ihn sollte David Levy antreten.

Das ZDF kündigte die Sendung in der Weihnachtszeit an, ausgestrahlt wurde sie am Sonntag, den 11. Februar 1979, um 19.30 Uhr. Der Titel lautete – man kann es sich fast denken – Schach dem Elektronenhirn. Das betreffende Spiel ging schon am 7. Februar über die Bühne, am Sonntag sah man im Fernsehen nur Auszüge. Der Kampf Mensch gegen Maschine startete um 9.30 Uhr. Die Kontrahenten saßen in einer Glasbox, die die Geräusche von außen dämpfte. David Levy führte die weißen Steine und machte den ersten Zug: e2-e4

Alle Daten des Spiels gingen über einen geostationären Satelliten an die Zentrale der Firma Control Data im US-Bundesstaat Minnesota. Dort stand die Cyber 176 mit dem Programm von Larry Atkin und David Slate; es lag mittlerweile in der Version Chess 4.8 vor. Die Cyber war ein Nachfahre der CDC 7600, die noch der Supercomputer-Pionier Seymour Cray entworfen hatte. Der Zug des Rechners wurde wiederum durchs All an die Steuerung des Roboters übermittelt. Er setzte, wie in einem Videoclip dokumentiert, die schwarzen Steine.

Der will nur spielen! Die beiden Gegner am 7. Februar 1979 im ZDF-Studio. (Foto United Archives GmbH/Alamy Stock Photo)

Das Schachspiel zog sich dann den ganzen Tag hin; schuld daran waren Ausfälle in der Satellitenverbindung. Um Feierabend machen zu können, reduzierte die ZDF-Regie die Bedenkzeit für beide Seiten auf fünfzehn Minuten. Am Ende standen nur noch die weiße Dame und der weiße König gegen den schwarzen König und einen Bauern. Nach 89 Zügen einigten sich Levy und das Control-Data-Team auf ein Remis. Hier lässt sich die Partie nacherleben: Bitte bis „PGN Partienotation“ scrollen. Eine lesenswerte Analyse verfasste der Hamburger Informatikprofessor Frieder Schwenkel.

Das Match zwischen David Levy und Chess 4.8 war kein Gipfelpunkt im Computerschach, machte aber die Künstliche Intelligenz in der Öffentlichkeit weiter bekannt. Es berichtete natürlich der SPIEGEL; das ZDF musste die Notation der Partie an 95.000 Interessenten verschicken. ZDF-Reporter Frederic Friedel wechselte ins Schachgeschäft und zählt zu den Gründern der Softwarefirma ChessBase. Auch David Levy blieb dem königlichen Spiel treu; für nähere Informationen zu seiner Karriere verweisen wir auf Wikipedia.

2001 präsentierte auch das HNF einen schachspielenden Industrieroboter. Er kam von der Firma Kuka und war ein interaktives Exponat der Sonderausstellung Computer.Gehirn. Seit 2004 zeigt das Museum einen Nachbau des berühmten Schachtürken; wie im Original von 1770 lenkt darin ein Mensch die Hand des Automaten. 2004 wurde ebenso der erste Schachtürken-Cup vergeben. Die Konkurrenz findet jedes Jahr nach Weihnachten statt; Partner ist der SK Blauer Springer Paderborn 1926 e.V.

Die Kuka-Installation der HNF-Ausstellung „Computer.Gehirn“

Anmelden kann man sich noch hier. Doch auch die Schach-Abstinenzler sind zwischen den Jahren im HNF willkommen; es gibt beispielsweise die große Raumfahrtausstellung Aufbruch ins All. Unseren Leserinnen und Lesern wünschen wir alles Gute für die Weihnachtstage! Wir melden uns direkt danach mit einem neuen Blogbeitrag zurück.

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.