Was ist eigentlich ein Mikrocomputer?

Geschrieben am 25.09.2015 von

Der „Computer“ zählt seit rund 50 Jahren zum Umgangsdeutsch, wie ein älterer Beitrag in diesem Blog erläuterte, und in der englischen Sprache gab es den Ausdruck schon früher. Seit wann kennt man aber den „Mikrocomputer“? Die Geschichte dieses Wortes ist komplizierter, und zu Beginn bedeutete es noch etwas ganz anderes als in der heutigen Zeit.

Wikipedia weiß es: „Mikrocomputer sind Computer, die kompakter als Großrechner und Minirechner sind und von einer einzelnen Person bedient werden können. Der Begriff ist heute meistens assoziiert mit der ersten Welle der 8-Bit-Heim- und Bürocomputer.“ Und auf Englisch: „A microcomputer is a small, relatively inexpensive computer with a microprocessor as its central processing unit” – ein kleiner und relativ preiswerter Rechner mit einem Mikroprozessor als Zentraleinheit.

Aber stimmt das? Als sich in den USA das Wort „microcomputer“ verbreitete, in den 1970er-Jahren, gab es die von der englischen Wikipedia beschriebenen Rechner durchaus, doch hießen sie anders. Etwa der Altair 8800 (Foto oben, Foto: Jan Braun, HNF) mit einem Intel-8080-Chip, den das Magazin „Popular Electronics“ Ende 1974 wie folgt vorstellte: „World’s First Minicomputer Kit to Rival Commercial Models“, zu Deutsch „Erster Minicomputer-Bausatz der Welt, der handelsüblichen Modellen gleichkommt.“

Der Altair galt also als Minicomputer und trug damit eine Bezeichnung, die Mitte der 1960er-Jahre entstand und etwa kühlschrankgroße Rechner meinte, auf jeden Fall solche, die kleiner waren als die sündteuren Mainframes oder Großrechner. Auch die Firma Apple nannte ihr zweites Modell nicht Mikrocomputer, sondern „personal computer“, siehe die Anzeige von 1977. Das heißt soviel wie ein persönlicher Computer für einen einzelnen Benutzer und hat nichts mit dem Hersteller IBM zu tun, der den Ausdruck 1981 für seinen PC übernahm.

1976 warb Apple für sein erstes Produkt, den Apple 1, und benutzte das Wort „microcomputer“ – also doch? Wir müssen aber genau lesen: Eine Anzeige vom Oktober 1976 erwähnt in der Überschrift ein „Low Cost Microcomputer System“ und weiter unten den „Apple Computer“ ohne „Micro“. Ein Text vom Juli 1976 nennt das „Apple-1 system“ sogar nur ein „microprocessor board using the 6502 microprocessor“, eine Mikroprozessor-Karte mit einem bestimmten Chip, dem 6502.

Wie passt das alles zusammen? Die Lösung findet sich in einem langen Artikel, der im Mai 1975 im „Scientific American“ erschien, der vielgelesenen und einflussreichen Wissenschaftszeitschrift. Der Verfasser, der in Frankreich geborene und in die USA ausgewanderte André Vacroux, überschrieb ihn mit „Microcomputers“ und leitete ihn so ein: „Evolutionary successor of the minicomputer, the microcomputer is a set of microelectronic ‚chips‘ serving the various computer functions.“

In der Evolution der Elektronenrechner ist der Mikrocomputer also der Nachfolger des Minicomputers und besteht aus einer Gruppe mikroelektronischer „Chips“ – die setzte man noch in Gänsefüßchen. In ihrer Gesamtheit übernehmen sie alle Funktionen, die in früheren Computern durch Elektronenröhren oder einzeln montierte Transistoren realisiert wurden. Anders formuliert: Ein Mikrocomputer ist die Grundplatine eines Rechners mit den darauf sitzenden Chips, und das Foto einer solchen Platine zierte 1975 auch das Cover des „Scientific American“ – siehe das Bild unten.

1976 kam bereits ein Lehrbuch „An Introduction to Microcomputers“ heraus; Autor Adam Osborne wurde später durch den von ihm konstruierten tragbaren Rechner Osborne 1 bekannt. Auf Seite 1-4 des Buches heißt es: „The hobbyist builds his own computer out of a microcomputer…“ – der Bastler baut seinen eigenen Rechner mit einem Mikrocomputer. Weiter unten erwähnt Osborne einen Chip der Firma Intel von 1972: „They chose to sell it, called it the Intel 8008, and the microcomputer had arrived.” Oder auf Deutsch: Und damit war der Mikrocomputer geboren.

Der SPIEGEL hatte schon 1975 den Artikel von André Vacroux im „Scientific American“ entdeckt und das Thema ebenfalls gewürdigt. 1979 erschien die deutsche Übersetzung von Adam Osbornes Buch unter dem Titel „Mikrocomputer-Grundwissen“. Auch bei uns wurde ein solcher Computer als ein Satz von Mikrochips angesehen, doch ebenso als kompletter kleiner Digitalrechner, und 1983 schrieb der SPIEGEL: „Nach Schätzungen der International Data Corporation gab es in der Bundesrepublik Ende 1982 rund 200 000 Mikro-Computer, in England über 600 000.“

Und mit der Zeit verschwand auch der Bindestrich, und damit war, um Adam Osborne zu zitieren, der Mikrocomputer geboren. So wie wir – und Wikipedia – ihn kennen.

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(Foto HNF)

 

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