Lauron

Auf der Insel der Krebse

Geschrieben am 11.11.2025 von

1958 erschien in der UdSSR die Kurzgeschichte „Insel der Krebse“ des Physikers Anatolij Dnjeprow. Sie beschrieb sich selbst kopierende Automaten, eine Idee des Mathematikers John von Neumann. Am 11. November 1975 lief im ZDF eine Verfilmung. Den Erfinder der Automaten spielte damals Gerd Baltus, ihm zur Seite stand die Tänzerin, Sängerin und Schauspielerin Margot Werner.

Es begann mit John von Neumann. Der Mathematiker und Computerpionier erdachte in den späten 1940er-Jahren zellulare Automaten, grafisch-mathematische Gebilde, die gewisse Regeln befolgen. Er entdeckte dabei ein System, das in der Lage war, sich zu reproduzieren – zumindest auf dem Papier. Seine Schriften zum Thema gab der Mathematiker Arthur Burks 1966 als Buch heraus, man kann es ohne Anmeldung im Internet Archive lesen.

Schon im April-Heft 1955 des „Scientific American“ stellte der Mathematiker John Kemeny – er erfand später die Programmiersprache BASIC – von Neumanns Ideen in Kurzform dar. Im Oktober-Heft 1956 beschrieb sein Kollege Edward Moore eine Weiterentwicklung unter dem Titel Artificial Living Plants. Die künstlichen Pflanzen vermehren sich an einem Sandstrand, wo sie auf die Schätze der Natur und des Meeres zurückgreifen. Aus der Luft kommen Stickstoff, Sauerstoff und das Edelgas Argon, die nötige Energie liefert die Sonne.

Diesen Artikel oder eine russische Version davon las vermutlich Anatolij Dnjeprow. Er wurde 1919 in der ukrainischen Stadt Dnipro geboren und hieß eigentlich Anatolij Mizkewitsch. Er studierte bis 1941 in Moskau Physik und machte danach den Krieg mit; unter anderem war er Übersetzer für Marschall Schukow. Nach Kriegsende arbeitete Dnjeprow in der Akademie der Wissenschaften. 1958 begann er, Science-Fiction zu schreiben. Im November des Jahres erschien die Erzählung Insel der Krebse über Automaten, die sich selbst nachbauen.

Anatolij Dnjeprow (unbekannter Fotograf Wikipedia Fair Use)

Den Anstoß gibt in der Story ein Ingenieur, der einen künstlichen Krebs und Kisten voller Metallteile zu einer einsamen Insel bringt. Der Krebs ist auf Vermehrung programmiert und reproduziert sich umgehend; es bilden sich Mutationen, die größer und aggressiver werden. Die Rohmaterialien gehen zur Neige, die Automaten zerlegen sich bald gegenseitig. Das stärkste Exemplar stürzt sich auf den Ingenieur und reißt die Zähne – sie sind aus Stahl – aus seinem Kiefer. Es überleben nur der Ich-Erzähler und der bösartige Krebs, der aber auf der Insel zurückgelassen wird.

1963 kam eine westdeutsche Ausgabe der Geschichte, 1970 eine DDR-Übersetzung. Fünf Jahre später drehte das ZDF die TV-Fassung; sie wurde am 11. November 1975 ausgestrahlt. Der Regisseur war Gerhard Schmidt, das Drehbuch stammte von Oliver Storz und Jochen Wedegärtner. Storz sammelte schon bei der Raumpatrouille Science-Fiction-Erfahrung; zwei Figuren der ZDF-Produktion tragen Namen aus jener Serie. Als Tummelplatz der Krebse diente die Kanaren-Insel Fuerteventura, die Krebs-Modelle konstruierte Norbert Scherer.

Das Drehbuch des ZDF erweiterte die Story. Der Elektronik-Bastler und Automaten-Erfinder André Tourenne träumt von der Verbesserung der gesamten Menschheit. Seine sich selbst reproduzierenden Krebse sollen eine künftige soziale Auslese testen. Tourennes Thesen erregen die Aufmerksamkeit der Atlantis-Gesellschaft. Sie ist mit dem Militär verbunden, und dieses sieht Chancen für futuristische Kriegswaffen. Atlantis finanziert die Roboter-Experimente; auf der Insel wird Tourenne von einer Wissenschaftsjournalistin und einem praktisch begabten Handwerker unterstützt.

Margot Werner 1977 in Basel  (Foto Landesarchiv Baden-Württemberg, Staatsarchiv Freiburg W 134 Nr. 108315e / Fotograf: Willy Pragher CC BY 4.0 seitlich beschnitten)

Die weiteren Aktionen folgen der Vorlage von Anatolij Dnjeprow. Am Ende flüchtet das Trio vor einem metallhungrigen Automaten; er hat es auf den Ring der Journalistin abgesehen, der sich nicht vom Finger ziehen lässt. Gerettet werden die drei von einer Firma, die das Geschehen aus kommerziellen Gründen verfolgte. In ihren Diensten muss Tourenne seine Forschungen fortsetzen. „Die Insel der Krebse“ – das ZDF fügte vorn ein „Die“ hinzu – liegt als DVD vor und lässt sich hier oder hier im Internet anschauen.

Heute erinnert die Produktion an das tolle Science-Fiction-Fernsehen der 1970er-Jahre, man denke an die Filme von Rainer Erler. Im Ensemble entdecken wir neben Altstar Wolfgang Preiss den Kieler Schauspieler Karl-Heinz Vosgerau, der 1973 in der Verfilmung des Romans Welt am Draht mitwirkte. Hans Schulze trat im gleichen Jahr in der Umwelt-Dystopie Smog auf. Tourenne-Darsteller Gerd Baltus ist vielleicht noch Älteren ein Begriff, die vielseitige Margot Werner – sie spielte die Journalistin – dürfte Vielen noch bekannt sein.

Anatolij Dnjeprow wurde einer der populärsten Utopisten seines Landes; er widmete sich besonders Themen aus der Informatik. 1975 starb er in Moskau. 1976 entstand eine weitere Verfilmung seiner Geschichte, die tschechische Animation Krabi.

Nicht vergessen wollen wir Konrad Zuse, der sich ab 1967 mit Selbstreproduktion befasste: hier liegen seine Texte dazu. Das ist ein Vortrag von Nora Eibisch über Zuses Montagestraße, bitte zu Minute 8:30 gehen. Unser Eingangsbild zeigt aber den sich nicht vermehrenden Roboter Lauron III im HNF.

Eine nicht-technische Krabbe von der Insel Fuerteventura

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