Charles Babbage in Berlin
Geschrieben am 10.11.2015 von HNF
Im September 1828 hielt die Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte in Berlin ihre 7. Versammlung seit der Gründung im Jahr 1822 ab, die erste wissenschaftliche Konferenz modernen Stils. Zu den 423 Teilnehmern gehörte auch der englische Computerpionier Charles Babbage. Seine Schriften vermitteln uns heute einen informativen Eindruck von der preußischen Hauptstadt und von jener Tagung.
Der 1791 geborene und 1871 verstorbene Charles Babbage war der Leonardo da Vinci des Computers. Der englische Mathematiker erfand mit seiner Analytischen Maschine einen programmgesteuerten Digitalrechner, der nie realisiert wurde, aber im Prinzip funktioniert hätte. Und der Babbages jüngere Zeitgenossin Ada Lovelace zur ersten Software der Technikgeschichte inspirierte. Vom September 2015 bis Juli 2016 widmete ihr das HNF die Sonderausstellung Am Anfang war Ada.
Babbage war nicht nur Mathematikprofessor und Computererfinder, sondern interessierte sich ganz allgemein für Forschung und Technik, worüber seine online nachlesbaren Lebenserinnerungen vielfältig Aufschluss geben. Sie enthalten auch eine Passage über einen mehrwöchigen Aufenthalt in Berlin, der natürlich die Wissenschaft betraf und uns zeigt, wie diese in der guten alten Zeit, sprich im September des Jahres 1828 betrieben wurde – siehe S. 199ff.
Damals befand sich Babbage auf einer Europareise, die er im Vorjahr nach persönlichen Schicksalsschlägen angetreten hatte; eine größere Erbschaft gab ihm die finanziellen Mittel dazu. Im Sommer 1828 reiste er von Wien aus weiter zum böhmischen Kurort Teplitz (heute das tschechische Teplice), da er hoffte, dort den berühmten Naturforscher Alexander von Humboldt anzutreffen. Der war aber schon nach Berlin zurückgekehrt, und Babbage fuhr gleichfalls in die preußische Hauptstadt.
Hier nahm er Quartier Unter den Linden. Am nächsten Tag kam das Treffen zustande – nach der Humboldt-Chronologie der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften war es der 3. September. Dabei hörte Babbage zum ersten Mal von der Tagung der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte, der 1822 gegründeten Gelehrtenvereinigung. Sie hielt jedes Jahr in einer anderen Stadt eine längere Konferenz ab. Die des Jahres 1828 sollte am 18. September in Berlin beginnen.
Charles Babbage entschloss sich auf der Stelle zur Teilnahme und sah sich in den nächsten zwei Wochen die Sehenswürdigkeiten von Berlin und seiner Umgebung an. Unterstützt wurde er von zwei jungen Forschern, dem Mathematiker Gustav Lejeune Dirichlet und dem Chemiker Gustav Magnus. Er gehörte auch zu einem Team, das Hotels und Restaurants besuchte und im Vorfeld der Konferenz die Qualität der Küche testete, „in a manner quite satisfactory to themselves and I hope, also, to the digestions of the Naturforschers.“ Kurzum, es hat allen geschmeckt.
1828 war Berlin mit 236.830 Einwohnern die größte Stadt Deutschlands. Eisenbahnen gab es noch keine, sondern neben Postkutschen und Droschken nur den Pferdeomnibus nach Charlottenburg. Erst 1832 wurde die optische Telegrafenlinie ins Rheinland gelegt. Eine Zeitung leistete sich aber eine Schnellpresse, und Gaslaternen erhellten einige Straßen. Außerdem besaß Berlin eine Artillerie- und Ingenieurschule, eine Tierarzneischule, diverse Akademien und seit 1810 eine richtige Universität.
Am 18. September um 10 Uhr eröffnete Alexander vom Humboldt als einer von zwei Geschäftsführern die Naturforscherversammlung, zu der 423 Vereinsmitglieder und viele interessierte Berliner in die Sing-Akademie geströmt waren. Hier wurden eine Woche lang – außer am 21. September, einem Sonntag – zwischen 10 und 14 Uhr die Hauptvorträge gehalten. Dazu kamen an anderen Plätzen die Vorträge der sieben Fachabteilungen sowie das umfangreiche Begleitprogramm. Der preußische König Friedrich Wilhelm III. wohnte mehr als einmal einem Vortrag bei.
Zu den Stars der Tagung zählte neben Alexander von Humboldt der Mathematiker Carl Friedrich Gauß, den Babbage schon vor Konferenzbeginn in Humboldts Wohnung kennenlernte. Andere bis heute berühmte Teilnehmer waren der dänische Physiker Hans Christian Ørsted, der schwedische Chemiker Jöns Jakob Berzelius, seine deutschen Kollegen Leopold Gmelin, Wolfgang Döbereiner und Eilhard Mitscherlich, der Mediziner Christoph Wilhelm Hufeland sowie die Astronomen Johann Franz Encke und Johann Heinrich Mädler.
Die Versammlung endete am 24. September. Obwohl die Mathematik nicht zu den Themen gehörte, war Charles Babbage einfach hingerissen, auch vom Interesse der preußischen Herrscherfamilie für die Belange der Wissenschaft. Nachdem er nach England zurückgekehrt war, schrieb er einen enthusiastischen „Account of the great Congress of Philosophers at Berlin on the 18th September 1828“, der im April 1829 im Edinburgh Journal of Science erschien. „Philosopher“ bedeutete damals so viel wie Forscher.
Der Artikel förderte Bestrebungen, in England eine Organisation ähnlich der Gesellschaft deutscher Naturforscher und Ärzte einzurichten. 1831 wurde die British Association for the Advancement of Science gegründet, die heutige British Science Association. Das deutsche Vorbild existiert ebenfalls noch, es tagt aber nicht mehr jährlich wie zur Zeit von Babbage, sondern alle zwei Jahre. Unten ist eine „Badge“ für die Konferenzteilnehmer von 1828: