Die Geometrie der Barockengel

Geschrieben am 24.07.2020 von

Heute eröffnet das Diözesanmuseum Paderborn eine große Ausstellung über Peter Paul Rubens und seine Zeit. Der 1577 geborene und 1640 verstorbene Rubens zählt zu den bedeutendsten Malern Europas; seine Werke prägten nachhaltig den Stil des Barock. Er fertigte aber auch Bilder mit wissenschaftlichem Inhalt an. Sie schmückten das Lehrbuch der Optik seines Landsmanns Franciscus Aguilonius.

Die Barockzeit begann um 1600 und endete in den 1760er-Jahren. Sie brachte uns neben viel Kunst und Kultur die Logarithmen, die Dualzahlen und die Rechenmaschine. Darüber haben wir schon im Blog berichtet. Einer der wichtigsten Maler des Barock war Peter Paul Rubens. Das Diözesanmuseum Paderborn zeigt zu ihm ab heute eine große Ausstellung, keine leichte Aufgabe in diesen Tagen. Wir wollen uns mit einer kleinen Ausstellung anschließen. Zunächst sei der Lebenslauf des Geehrten erzählt.

Peter Paul Rubens wurde am 28. Juni 1577 in Siegen geboren und wuchs in Köln auf. Sein Vater, ein Jurist, hatte aus religiösen Gründen seine Heimat Antwerpen verlassen müssen. 1589 kehrte die Familie dorthin zurück; nach Ende der Schulzeit erlernte Peter die Malerei. 1600 ging er nach Italien. Ab 1608 arbeitete er als erfolgreicher Künstler und Unternehmer in seiner Vaterstadt, er war außerdem diplomatisch tätig. Reisen führten ihn nach England, Frankreich und Spanien. Peter Paul Rubens starb am 30. Mai 1640 in Antwerpen.

Die Stadt liegt in Belgien nördlich von Brüssel. Vor vierhundert Jahren nannte man die Region die Spanischen Niederlande. Von 1599 bis 1621 wurde sie von Erzherzog Albrecht VII. von Österreich regiert. Das Land befand sich seit langem im Krieg mit den benachbarten Generalstaaten, dem heutigen Holland. 1609 schloss Albrecht einen Waffenstillstand, und Antwerpen erlebte friedliche Jahre. 1613 ging Peter Paul Rubens das Projekt an, welches das Thema unserer Ausstellung ist. Einen Eindruck von ihm und seiner Frau Isabella vermittelt das Eingangsbild, das er 1610 malte. Es hängt in der Alten Pinakothek in München.

Eine rätselhafte Darstellung findet sich im Rubens-Bild Saturn verschlingt seinen Sohn von 1636/37. Die drei Sterne gehen vielleicht auf einen Bericht von Galileo Galilei zurück; in seinem schwachen Fernrohr sah er die Saturnringe als zwei Anhängsel des Planeten.

Rubens Projekt betraf sieben Illustrationen für das Druckwerk „Sechs Bücher über Optik, nützlich für Philosophen und Mathematiker“. Im Original waren Titel und Text auf Latein; der Verfasser hieß Franciscus Aguilonius. So lautete sein Gelehrtenname, geboren wurde er wohl als François d’Aguilon. Er gehörte zum Jesuitenorten und betrieb in Antwerpen eine Schule für Mathematik. Sein Werk erschien ebenfalls in Antwerpen, im Druckhaus Officina Plantiniana. Mit dem Verleger Balthasar Moretus war Peter Paul Rubens befreundet.

Für die „Sechs Bücher“ schuf der Maler das Titelblatt und sechs Einleitungsbilder. Die Zeichnungen setzte ein Kupferstecher in Druckformen um. Auch seinen Namen kennen wir: Theodor Galle, Spross einer bedeutenden Grafiker-Familie. Das Endprodukt war 1613 fertig; es umfasste 684 Seiten, zu denen noch ein Stichwortverzeichnis kam. Die Illustrationen sind der wohl wichtigste Beitrag von Rubens zu den exakten Wissenschaften. Nicht vergessen sollten wir jedoch sein hinreißendes Gemälde von der Geburt der Milchstraße.

Nun beginnt unsere Rubens-Ausstellung. Die Bilder basieren auf der Online-Ausgabe des Werks von Franciscus Aguilonius sowie auf dem Entwurf des Malers fürs Titelblatt. Er liegt im Britischen Museum (Copyright The Trustees of the British Museum CC BY-NC-SA 4.0). Uns half außerdem das Buch „Die Illustrationen von Peter Paul Rubens zum Lehrbuch der Optik des Franciscus Aguilonius“; der Medizinprofessor Wolfgang Jaeger brachte es 1976 heraus. Den Kolleginnen und Kollegen vom Diözesanmuseum wünschen wir alles Gute für ihre Ausstellung.

Links die Originalzeichnung von Rubens, rechts das Titelblatt des Buchs von Franciscus Aguilonius. Auch der Kupferstecher Theodor Galle war ein Könner.

Im oberen Teil des Blatts erkannte der gebildete Leser die personifizierte Optik – siehe das Auge – mit Adler und Pfau als Symbole der Herrschaft. Links steht Merkur, der Gott des Handels, und rechts Minerva, Göttin der Wissenschaft. Frau Optik spielt mit einer Pyramide; sie bezeichnet die Lichtstrahlen, die von einem Punkt im Raum ausgehen. Der Adler hält eine Armillarsphäre, ein klassisches Messgerät der Astronomie.

Jetzt treffen wir den Forscher in Denkerpose. Zunächst befasst er sich mit dem Aufbau und der Funktion des Auges. Seine Helfer, die Barockengel, haben gerade den Augapfel des mythischen Riesen Polyphem herausoperiert und beginnen, ihn zu sezieren.

Im zweiten Band geht es um Strahlenausbreitung. Unser Forscher visiert den Koloss von Rhodos an, eins der Sieben Weltwunder. Rubens folgte der Darstellung seines Landsmanns Maarten van Heemskerck, die durch Drucke weit verbreitet war.

Im dritten Teil machen die Engel ein Experiment: Kann ein Mensch mit einem geschlossenen Auge einen Punkt im Raum treffen? Das Versuchskaninchen ist der Forscher, dem langsam die Haare ausgehen. In der Studierstube finden wir die Armillarsphäre und einen Erdglobus.

Der Forscher und die Putten analysieren nun Doppelbilder. Sie entstehen, wenn wir etwa eine entfernte Wand betrachten, vor der sich in einigem Abstand ein Objekt befindet. Dieses sehen wir zweifach. Man beachte die fantastischen Tischbeine unter dem Versuchsaufbau.

Im fünften Band illustrierte Rubens die Lichtabnahme über wachsende Distanzen. Eine Lampe und ein weiter entferntes Lampenpaar erzeugen gleich helle Lichtflecke. Das Bild gibt gut die Rate der Abschwächung wieder, die dem Quadrat der Entfernung entspricht. Autor Franciscus Aguilonius nahm fälschlicherweise eine lineare Lichtabschwächung an.

Der sechste Kupferstich zeigt den Forscher in der Rolle des Titanen Atlas, der den Himmel trägt. Die Engel erläutern die Zentralprojektion, bei der das Licht von einem Punkt außerhalb des Objekts ausgeht. Aguilonius war ein Experte für die stereografische Projektion.

Unser letztes Bild zeigt das Firmenzeichen der Druckerei. Es war ebenfalls ein Entwurf von Rubens. Das Band trägt die Worte „Labore et Constantia“ – mit Arbeit und Beharrlichkeit.

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