Lang und länger: kurze Geschichte des Selfie-Sticks
Geschrieben am 26.01.2024 von HNF
Ab und zu erscheinen Erfindungen, die höchst einfach aussehen, doch immer funktionieren und sich ohne Ende verkaufen. Beispiele sind der Reißverschluss, die Büroklammer oder der Klebezettel. Ab 2014 eroberte das Selfie die Welt; ihm folgte der Selfie-Stick. Im Prinzip gibt es ihn seit 1925, Patente für die heutige Form wurden erst in den 1980er-Jahren erteilt.
Ein Selfie ist mehr als eine Fotografie des Fotografen. Es ist ein Bild, dessen Urheber die Kamera direkt unter Kontrolle hat und sie auf sich selbst richtet. Ein frühes Selfie machte der Lichtbildner Joseph Byron in den 1910er-Jahren in New York; dabei hielt er den Apparat in den ausgestreckten Händen. Seine Gestalt wurde dementsprechend verzerrt.
Aus dem Jahr 1925 liegt ein Foto vor, das zwei Personen – den Engländer Arnold Hogg und seine Frau Helen – und eine lange Stange zeigt. Was daran befestigt war, bleibt unklar, es könnte die Kamera gewesen sein oder eine Vorrichtung, um sie auszulösen. Ähnliche Fotos entstanden 1934 in Schweden und in den späten 1940er-Jahren in den USA. 1960 knipste der amerikanische Schriftsteller Hunter Thompson ein Stangen-Selfie. Die Fototechnik hielt noch den Fernauslöser bereit, der mit einem biegsamen Draht betätigt wurde, sowie den Selbstauslöser mit Uhrwerk.
Am 24. Oktober 1962 meldete Walter Schmolke eine „Vorrichtung zum Verschwenken des Fotoapparates bei Anordnungen zur Selbstaufnahme von Paßbildern o.dgl.“ zum Patent an. Schmolke besaß eine Drogerie in Rodenkirchen an der Unterweser. 1964 machte das Münchner Patentamt seine Erfindung unter Nummer 1.905.839 bekannt, ein Patent erteilte es nicht. Schmolkes Vorrichtung war aber, wie die Zeichnung unten beweist, eine Vorform des Selfie-Sticks. Der Druckknopf links mit der Zahl 10 aktivierte die Kamera.
Unsere nächste Patentanmeldung fand im Mai 1982 in Japan statt; ein Jahr später folgte die entsprechende Anmeldung in den USA. Hiroshi Ueda, Akira Yoshizaki und Yasuo Masaki arbeiteten bei der Firma Minolta in Osaka; dort erfanden sie eine „Flache Kamera mit einem Spiegel für Selbstaufnahmen“. Ihre Beschreibung erwähnte auch eine Stange („supporter rod“), mit der man die Kamera auf Abstand halten konnte. Das amerikanische Patent wurde am 24. Dezember 1985 unter Nummer 4.560.261 gewährt.
1983 brachte Minolta die Kamera mit dem Namen Disc-7 in den Handel. Sie benutzte den 1982 von Kodak eingeführten Scheibenfilm; das Format starb später aus. Dem Schweizer Fernsehen verdanken wir einen Bericht über die Disc-7, der im April 1984 gesendet wurde; sie tritt bei Minute 0:40 auf. Die Haltestange war mit der Kamera verbunden und ließ sich verlängern. Mit Hilfe des kleinen gewölbten Spiegels konnte der Benutzer den Fotoapparat so ausrichten, dass er genau das gewünschte Selbstportrait lieferte.
Hiroshi Ueda reichte zusammen mit einem Kollegen Anfang 1983 eine weitere Erfindung in Japan ein; die für die USA bestimmte Fassung meldete er am 17. Januar 1984 an. Am 23. Juli 1985 genehmigte das Patentamt in Washington den „Teleskopischen Verlängerer für den Einsatz von Kompaktkameras“. Das war nun ein echter Selfie-Stick für eine ganze Gruppe von Fotoapparaten. Die Zeichnungen verdeutlichen, dass Ueda eigentlich nur den Haltearm der Minolta-Kamera isolierte; die obige Grafik stand schon in seinem ersten Patent.
Die schlechte Nachricht war, dass sich das Gerät kaum verkaufte; 2003 liefen Ueadas Patente aus. 2006 erfand der Kanadier Wayne Fromm eine neue Version der Selfie-Stange. Im Frühjahr 2007 kam sie in Nordamerika und England unter dem Namen Quik Pod in den Handel. Fromms Erfindung besaß wie die Minolta-Kamera einen kleinen Visierspiegel. Der wurde entbehrlich, als sich das iPhone und seine technischen Verwandten durchsetzten. Auf ihren Displays sah man, was eine kleine aufgesetzte Kamera aufnahm. Das iPhone 4 brachte 2010 eine integrierte Frontkamera mit.
Es dauerte dann bis 2014, bis die Selfie-Welle über die Welt schwappte. Sie zog die Invasion der Selfie-Sticks nach sich. Belege fanden sich 2015 im SPIEGEL und bei Heise. Zuletzt lag die globale Nachfrage oberhalb von 600 Millionen Dollar im Jahr. Hierzulande wurde aber 2022 das Ende des Booms ausgerufen. Noch nicht zu Ende ist die Suche nach Vorläufern des Sticks in der Patent- und in der Foto-Literatur; hier würden wir uns über Hinweise aus dem Leserkreis freuen. Warnen müssen wir vor dem angeblichen Erfinder Gustav Szathmáry aus Ungarn, der ist nämlich ein Fake.