Mythos Megabit
Geschrieben am 18.04.2016 von HNF
Die 1980er-Jahre bescherten uns viele Berichte und Debatten über Spitzen-, Schlüssel-, Hoch- und Zukunftstechnologien und die Fortschritte in der Informatik. Ein wichtiges Thema war dabei die Speichertechnik. Am 18. April 1986 verkündete die Firma IBM die Fertigung und den Einsatz von Chips mit der Kapazität von einem Megabit, was mehr als einer Million Bits entspricht.
Mega, das wissen nicht nur Altphilologen, steht für eine Million. Ein Megabit ist demnach dasselbe wie eine Million Dateneinheiten, und ein Megabit-Chip enthält eben diese Menge. Ein mikroelektronisches Bauelement zur Speicherung von Daten kann aber aus technischen Gründen nicht genau 1.000.000 Bit, sondern 1.048.576 Bit aufnehmen. Unser Chip fasst also 48.576 Bit mehr als der Name verlangt, aber das stört niemanden und ändert auch nichts an unserer Geschichte.
Diese führt uns wieder einmal in die 1980er-Jahre, in denen die Bürger Heim- und Personalcomputer, Computerkids, Computercamps und Computeranalphabetismus sowie das Silicon Valley kennenlernten. Neu war auch das Megabit. Im November 1980 tauchte es im SPIEGEL auf, und im Mai 1984 meldete das Magazin, dass der Computer-Gigant IBM einen „Megabit“-Chip entwickelt hätte, „eine Recheneinheit mit einer Million Speicherzellen“. Im Oktober folgte ein Artikel zum „Unternehmensprojekt Mega“ des Siemens-Konzerns, das für 1987 die Serienfertigung solcher Speicher vorsah.
Die Nase vorn hatte dann die IBM. Vor 30 Jahren, am 18. April 1986, gab Mother Blue bekannt, dass Werke im schwäbischen Böblingen und im amerikanischen Burlington Speicherchips für eine Million Bits fertigen würden. Die Siliziumplättchen maßen 7,7 x 10,5 Millimeter und gingen direkt ins neue Computermodell IBM 3090. Zwar hatten zu jenem Zeitpunkt schon mehrere japanische Unternehmen die Produktion von Megabit-Chips gestartet, aber IBM war die erste Firma, die einen Abnehmer vorweisen konnte – sich selbst.
Der Chipmarkt teilt sich in Logikbausteine und Mikroprozessoren einerseits und Speicherelemente andererseits. In den ersten Bereichen konnten amerikanische und westeuropäische Hersteller zufrieden sein, im Feld der Speicher führten in den 1980er-Jahren die Asiaten. Bei Standardchips für 256 Kilobit beherrschten sie durch eine geschickte Preispolitik – böse Zungen sagten auch Dumping – 85 Prozent des Marktes. Japan und die USA schlitterten nur mit Mühe an einem Handelskrieg vorbei.
Siemens versuchte derweil, mit ausländischen Partnern im Rennen zu bleiben. Hatte man zunächst nur mit dem niederländischen Philips-Konzern kooperiert, so wandte man sich 1985 Hilfe suchend an eine fernöstliche Firma. Anfang 1987 begann mit Know-how von Toshiba die Fertigung von Megabit-Chips in einer Fabrik in Regensburg. Im Sommer des darauffolgenden Jahres stellte Siemens Labormuster einer 4-Megabit-Speichereinheit vor, die Serienproduktion startete jedoch erst Ende 1989.
Auch die DDR-Spitze war, aus welchen Gründen auch immer, vom Megabit angetan, und beschloss im Februar 1986, binnen drei Jahre an den Weltstandard der Mikroelektronik heranzukommen. Am 12. September 1988 übergaben Vertreter des VEB Carl Zeiss Jena ein funktionierendes Exemplar des Megabit-Chips U61000 an Erich Honecker. In der Pilotproduktion entstanden bis zum Mauerfall 1989 rund 35.000 Exemplare des Speicherbausteins. Für den Herbst 1990 war ein Modell für 4 Megabit geplant, das aber ein schöner Traum blieb.
Nach dem Mooreschen Gesetz vergrößert sich jährlich die Leistung von Halbleiter-Bauelementen und die Kapazität von Speicherchips. Heute werden solche mit 8 Gigabit angeboten, wobei sich speziell der südkoreanische Hersteller Samsung auszeichnet. Giga steht für die Milliarde; in der technischen Realität handelt es sich in der Regel um den Wert 1.073.741.824. Den Experten sei mitgeteilt, dass wir dabei stets von DRAMs oder dynamischen Random-Access-Speichern ausgehen und die von den USB-Sticks vertrauten Flash-Speicher außer Acht lassen.
Noch etwas für Megabit-Archäologen: Das Gebäude in Dresden-Klotzsche, wo die DDR-Megachips entstanden, gehört heute dem US-Hersteller Integrated Device Technology. Die Chipfabrik der IBM in Böblingen wechselte mehrmals den Besitzer und wurde dann abgerissen. Die Speicherchip-Sparte von Siemens ging zunächst zu Infineon, danach zu Qimonda und 2009 in die Insolvenz. Das Regensburger Gebäude steht aber noch und gehört zu Infineon. Gefertigt werden darin Halbleiter-Bauelemente, jedoch keine Megabit-Chips. Von denen bleibt nur der Mythos und die Chipausstellung im HNF.
Eingangbild: ZeptoBars, CC BY 3.0