Nema – die Schweizer Enigma
Geschrieben am 21.05.2021 von HNF
Im Zweiten Weltkrieg erwarben die Armee und die Luftwaffe der Schweiz Chiffriergeräte aus der Enigma-Familie. Sie besaßen aber kryptologische Schwächen. Ab 1941 entwickelte das Chiffrierbüro der Armee eine verbesserte Nachfolgerin, die „Neue Maschine“ oder Nema. 1947 lief sie beim Militär und im diplomatischen Dienst. Am 4. Mai 1994 wurden einige hundert Nemas an Sammler verkauft.
Im ersten Obergeschoss des HNF liegt die Kryptologie-Abteilung, die seit 2001 in die Welt der Codes und Chiffren einführt. Zu den schönsten Objekten der kleinen Ausstellung zählt die Nema. Das ist die Abkürzung für Neue Maschine. Der Name bezeichnet ein Gerät, dessen Entwicklung vor achtzig Jahren in der Schweiz begann.
Ab 1938 schaffte das Schweizer Militär – wie andere Streitkräfte auch – Chiffriermaschinen an. Bei der Firma Heimsoeth & Rinke in Berlin erwarb es Enigma-Geräte, allerdings nicht die Versionen für die deutsche Wehrmacht, sondern die Typen Enigma D und Enigma K. Ihnen fehlte das Steckerbrett an der Vorderseite, das die Sicherheit der Verschlüsselung erhöhte. Im Juli 1942 verfügte die Schweiz über 265 importierte Maschinen; benutzt wurden sie von der Armee, der Luftwaffe und dem Politischen Department, dem Schweizer Außenministerium.
Die Experten der Armee wussten von den Schwächen ihrer Chiffriermaschinen, und sie versuchten sie zu beheben, zum Beispiel durch Neuverdrahtung der Walzen und Ändern der Walzendrehungen. Bald erfuhren sie aber, dass Kryptologen in Frankreich Funksprüche decodierten, die Schweizer Enigmas verschlüsselt hatten. Englische, amerikanische und deutsche Stellen taten das Gleiche. 1941 ging deshalb eine kleine Gruppe in Bern an die Konstruktion eines verbesserten Chiffriergeräts.
Das Team bestand aus Professoren und Studenten der Universität Bern, die mittlerweile eine Uniform trugen. Unter dem Kommando von Arthur Alder, im zivilen Leben Professor für Versicherungsmathematik, arbeiteten der Mathematiker Hugo Hadwiger, der Ingenieur Heinrich Weber und der Statistiker Arthur Linder. Mitte 1943 lag ein Bauplan vor; bis zum Jahresende erstellte die Firma Zellweger in Uster – die Stadt liegt östlich von Zürich – zwei Prototypen. Nach vielen Tests wurde die „Neue Maschine“ 1945 für truppentauglich erklärt, danach begann die Fertigung.
1947 erreichten 640 Nemas die Truppe und den diplomatischen Dienst. Die Codiermaschine basierte auf der Enigma und funktionierte ähnlich. Ein Tastendruck löste einen elektrischen Strom aus, der durch vier intern verdrahte Kontaktwalzen, durch eine Umkehrwalze und zurück durch die Kontaktwalzen floss. Außerdem lief er zweimal durch die Eintrittswalze. Am Ende leuchtete der Buchstabe für den Geheimtext auf. Zu jeder Kontaktwalze gehörte eine Fortschaltwalze; insgesamt ergaben sich so zehn Räder.
Im Gegensatz zur Enigma drehen sich bei einem Tastendruck mehrere Walzen; die Weiterschaltung von einem Buchstaben zum nächsten erfolgte über einen komplizierten Mechanismus. Hier wird er genauer erklärt, und das Video zeigt einige Details. Die Bedienung der Nema erforderte etwas Kraft, was ihr den Namen Tasten-Drücker-Maschine und die inoffizielle Bezeichnung „Fingerbrecher“ eintrug. Zur Ausrüstung gehörte neben der Batterie auch ein Schraubgewinde, das man in eine Lampe eindrehen konnte. Schweizer Geheimagenten wurden nicht durch unbekannte Steckdosen gestoppt.
Die Chiffriermaschinen leisteten bis 1979 ihre Dienste, danach kamen sie ins Depot. Im April 1994 verschickte das Schweizer Bundesamt für Übermittlungstruppen ein Rundschreiben, das in den Liquidations-Shop des Zeughauses Meiringen im Kanton Bern einlud. Dort wurden am 4. Mai 1994 eine dreistellige Zahl Nemas und 25 Enigmas verkauft. Die „Neue Maschine“ kostete 50 Franken, die aus Deutschland das Dreifache. Eine der ausgesonderten Nemas gelangte nach Paderborn, alles weitere möchten wir geheim halten und unseren Lesern zum Schluss noch frohe Pfingsttage wünschen.