25 Jahre MP3
Geschrieben am 10.07.2020 von HNF
Am 14. Juli 1995 fand im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen eine Abstimmung statt. Wie sollten Musikdateien heißen, die mit dem im Institut entwickelten Verfahren komprimiert wurden? Die Wahl gewann die Dateiendung mp3. Damit begann eine Revolution in der Verbreitung von Musik. Die MP3-Technik ist der wohl wichtigste deutsche Beitrag zur Welt des Internets.
„Hallo, nach der überwältigenden Meinung aller Befragter: die Endung für ISO MPEG Audio Layer 3 ist .mp3. D.h. wir sollten für kommende WWW-Seiten, Shareware, Demos, etc. darauf achten, dass keine .bit Endungen mehr rausgehen. Es hat einen Grund, glaubt mir :-)“
Diese Mail verschickte Jürgen Zeller am Mittag des 14. Juli 1995 an seine Kollegen vom Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen. Das IIS, wie es meist abgekürzt wird, saß und sitzt im Süden von Erlangen, nahe der Technischen Fakultät der örtlichen Universität. Zeller gehörte im Institut zu einer Abteilung, die sich mit der Kompression digitaler Audiodaten befasste. Der zitierte Audio Layer 3 – „Layer“ bedeutet Schicht – war solch ein Verfahren. Die Arbeitsgruppe MPEG der internationalen Standardorganisation ISO hatte es bereits 1993 als weltweite Norm verkündet.
Die Technik kann digitale Musikaufzeichnungen auf ein Zwölftel der ursprünglichen Größe reduzieren, ohne dass die Hörer einen Qualitätsunterschied bemerken. Sie nutzt dabei die Eigenheiten des menschlichen Gehörs. So nehmen wir Töne einer bestimmten Frequenz nicht wahr, die von einem kräftigeren Ton der gleichen oder einer benachbarten Frequenz überdeckt werden. Die Daten der schwächeren Schallwelle werden bei der Kompression eingespart. Eine Wiederherstellung des unkomprimierten Musikstücks ist nicht möglich.
Die genaue Entwicklungsgeschichte des Audio Layer 3 möchten wir überspringen, die entscheidenden Schritte fanden aber im Fraunhofer-Institut und seinem Vorläufer statt, der Arbeitsgruppe für Integrierte Schaltungen AIS. Das Entwicklerteam bestand im Kern aus sechs Forschern; der wichtigste war der 1954 geborene Mathematiker und Elektroingenieur Karlheinz Brandenburg. Seine Dissertation von 1989 befasste sich mit Verfahren der hochwertigen Musikcodierung. Ab 1993 leitete Brandenburg die Audio-Abteilung des IIS.
Bei einer Tagung in New York musste er erfahren, dass das neue Kompressionsverfahren kaum in der Praxis angewendet wurde. Im Frühjahr 1994 beschlossen er und seine Mitarbeiter, das zu ändern. Die Lösung sollte die Verteilung von Musik über das Internet sein. 1994 bot das Fraunhofer-Institut ein Codier- und ein Decodier-Programm als Shareware an, also mit freiwilliger Bezahlung. Die Dateien kosteten 85 DM und kamen auf Disketten oder online per FTP-Versand. Einen Encoder für höhere Bitraten gab es für 350 DM.
Der größte Erfolg der Aktion war, dass ein australischer Hacker den Encoder mit einer gestohlenen Kreditkarte erwarb und nachprogrammierte. Unter dem Titel „Thank you Fraunhofer“ stellte er ihn ins Netz. Nun musste sich Karlheinz Brandenburg eine bessere Marketing-Methode einfallen lassen. Das war ein neuer Name für die anonymen oder mit der provisorische Endung „bit“ versehenen Musikdateien. Er wurde am 14. Juli 1995 in der erwähnten Abstimmung im Fraunhofer-Institut gefunden und festgelegt. Er lautete mp3.
Die drei Buchstaben, groß oder klein geschrieben, brachten die Wende. Der 14. Juli 1995 gilt mittlerweile als der Geburtstag der Erlanger Kompressionstechnik. Jetzt konnte man die Dateien im World Wide Web herunterladen, wenig später auch auf dem eigenen Computer abspielen. Im September 1995 brachte das Fraunhofer-Institut das entsprechende Programm WinPlay3 heraus. 1997 erschien in den USA die MP3-Software WinAMP, die wir bereits im Blog schilderten. Im Folgejahr waren die ersten tragbaren MP3-Player erhältlich.
Der SPIEGEL witterte schnell die Gefahr für den Musik-Absatz. Im August 1997 schrieb das Magazin anlässlich der Kölner Popkomm-Messe: „Ein neues, vom Erlangener Fraunhofer-Institut entwickeltes Programm kann die Daten von Musikstücken zehnfach verkleinern, in sogenannte Mp3-Dateien verwandeln und durchs Netz schicken.“ Ein Jahr später hieß es: „Es wimmelt von Musikstücken aller Art im Internet, sehr zum Verdruß der Plattenindustrie, die das Treiben kaum noch kontrollieren kann.“
Zur Jahrtausendwende kam es zur Napster-Affäre; über die MP3-Tauschbörse berichteten wir ebenfalls im Blog. Zum Audio Layer 3 gesellten sich dann andere Kompressionsverfahren. Dem Programm aus Erlangen bleibt der Ruhm, den entscheidenden Durchbruch geschafft zu haben. Es ist der größte deutsche Beitrag zur Internet-Technik. MP3-Vater Karlheinz Brandenburg wurde im Jahr 2000 Professor an der Technischen Universität Ilmenau; von 2004 bis 2019 leitete er dort das Fraunhofer-Institut für Digitale Medientechnologie IDMT.
Das Eingangsbild zeigt den Prototypen eines MP3-Players, der 1994 vom IIS entwickelt wurde (Foto Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin / Clemens Kirchner).
Eine Ergänzung:
MP3 Surround
https://www.research-collection.ethz.ch/handle/20.500.11850/68641
Interessanter Artikel! Ich wusste nicht, dass die Mp3 schon so alt ist. Danke, dass Sie darüber geschrieben haben. Ich hoffe, in Zukunft mehr auf Ihrem Blog zu lesen.