Agentin H 21 antwortet nicht
Geschrieben am 10.10.2017 von HNF
Der Name Mata Hari ist weltweit ein Synonym für eine schöne Spionin. Die echte Mata Hari hieß Margaretha Zelle und wurde 1876 im holländischen Leeuwarden geboren. Vor 100 Jahren, am 15. Oktober 1917, starb sie in Vincennes bei Paris durch die Kugeln eines Erschießungskommandos. Im Folgenden versuchen wir, die Wahrheit von den Mythen zu trennen.
Der Prozess dauerte nur anderthalb Tage. Er begann am 24. Juli 1917 um 13 Uhr im Pariser Justizpalast. Zu Beginn wurden die Angeklagte und einige Zeugen befragt. Am zweiten Tag hielten Ankläger und Verteidiger die Plädoyers. Am Nachmittag zogen sich die Geschworenen zur Beratung zurück. Es waren Soldaten; das Verfahren geschah nach Kriegsrecht. Nach 45 Minuten – es können auch weniger gewesen sein – kamen sie wieder und verkündeten das Urteil. Es lautete auf Tod durch Erschießen wegen Spionage für Deutschland.
Nach Ablehnung von Revisionsantrag und Gnadengesuch wurde das Urteil vollstreckt. In den Morgenstunden des 15. Oktober 1917 stellten sich zwölf Infanteristen im Park des Schlosses von Vincennes auf. Es liegt am südöstlichen Stadtrand von Paris. Zwölf Gewehre richteten sich auf Margaretha Geertruida MacLeod, geboren als Margaretha Zelle. Sie hatte die Augenbinde verweigert und schaute den Schützen ins Gesicht. Die Salve tötete sie sofort. Der Leichnam gelangte in die Medizinische Fakultät der Sorbonne.
So endete das Leben der Tänzerin, Kurtisane und Amateuragentin Mata Hari. Unter diesem Namen ging sie in die Geschichte ein; er steht bis heute für eine verführerische Spionin. Margaretha Zelle kam am 7. August 1876 als Tochter eines Hutmachers in der holländischen Stadt Leeuwarden zur Welt. Mit 18 Jahren heiratete sie den Kolonialoffizier John MacLeod und begleitete ihn nach Ostasien. Das Paar lebte auf den Inseln Java und Sumatra. Margaretha brachte zwei Kinder zur Welt, von denen eines früh starb. 1902 war die Ehe zerrüttet.
Die MacLeods kehrten nach Holland zurück; 1906 wurden sie geschieden. Schon vorher begann Margaretha, ein eigenes Leben zu führen. Ihre Zukunft sah sie in Paris, wo am 13. März 1905 der große Durchbruch erfolgte. Im Privatmuseum des Industriellen Émile Guimet führte sie, nur spärlich bekleidet, exotische Tänze vor. Als Mata Hari – „Sonne“ in malaiischer Sprache – wurde sie in Europa bekannt und verdiente durch ihre Auftritte gutes Geld. Daneben pflegte sie intime Herrenbekanntschaften, speziell zu solchen in Uniform.
1914 lebte Margaretha in Berlin. Nach Ausbruch des 1. Weltkriegs zog sie in ihre Heimat und wohnte in Den Haag. Hier trat nun Carl Cremer an sie heran. Er war Großkaufmann, trug den Titel eines Konsuls und leitete das deutsche Pressebüro in Amsterdam. Daneben arbeitete er für den Geheimdienst, der Abteilung IIIb des deutschen Generalstabs. Cremer bot ihr 20.000 Franc, wenn sie in Frankreich Informationen sammeln würde, die Deutschland nützen könnten. Zum Vergleich: Ein Mechaniker verdiente damals 2.000 Franc im Jahr.
Margaretha nahm das Geld dankend an; dazu gab ihr Cremer unsichtbare Tinte und den Decknamen H 21. Den Dezember des Jahres 1915 verbrachte sie in Paris. Holland nahm nicht am Krieg teil, dennoch war das Reisen schwierig. Man fuhr mit dem Schiff nach England und von dort nach Frankreich; manchmal führte der Weg auch zuerst nach Spanien und dann weiter mit der Eisenbahn. Als Margaretha am 3. Dezember 1915 in einem englischen Hafen einen Zwischenstopp einlegte, wurde ihr Gepäck durchsucht. Die Polizei fand aber nichts.
Im Frühjahr 1916 absolvierte Margaretha in Köln – nach anderer Quelle in Frankfurt – einen Schnellkurs in Spionagetechnik. Daran wirkte Elsbeth Schragmüller mit, die die Sektion der Abteilung IIIb in Antwerpen leitete; Belgien war seit 1914 von deutschen Truppen besetzt. Am 24. Mai 1916 brach Margaretha erneut nach Frankreich auf. Über Spanien kam sie im Juni nach Paris. Hier knüpfte sie Beziehungen an und verliebte sich heftig in einen russischen Hauptmann. Außerdem ließ sie sich vom Geheimdienstoffizier Georges Ladoux anwerben.
Ob Ladoux sie als Agentin ernst nahm, ist unklar. Im November 1916 verließ sie Frankreich; von Spanien wollte sie mit dem Schiff über England nach Holland fahren. Im englischen Hafen Falmouth wurde Margaretha festgenommen und anschließend tagelang in London verhört. Am Monatsende konnte sie England wieder verlassen. Sie erhielt aber nur ein Visum für die Wiedereinreise nach Spanien. Am 11. Dezember 1916 war sie in Madrid. Sie quartierte sich im Palace Hotel ein, nach anderen Quellen im Hotel Ritz.
Bei ihrem Aufenthalt hatte Margaretha Kontakt zum deutschen Militärattache Arnold Kalle und seinem französischen Kollegen Danvignes. Nun trat sie als Doppelagentin auf: Was sie bei dem einen hörte, erzählte sie dem anderen. Die Qualität ihrer Informationen war aber dürftig. Wie es scheint, hat Kalle sie schnell durchschaut. Zwischen ihm und Abteilung IIIb liefen die Funksprüche hin und her; meist ging es um Geld für Margaretha. Sie wurden vom französischen Geheimdienst empfangen und entschlüsselt, vielleicht mit britischer Hilfe.
Als Margaretha am 2.Januar 1917 nach Frankreich abreiste, waren ihre Tage gezählt. Sie verbrachte noch einen glücklichen Monat in Paris. Am 13. Februar wurde sie verhaftet und kam ins Gefängnis. Jetzt begann die Voruntersuchung durch den Richter Pierre Bouchardon. Sie gestand ihre Kontakte zu Carl Cremer, doch nicht viel mehr. Einen Geheimnisverrat konnte ihr Bouchardon nicht nachweisen, belastend waren aber die Funksprüche von und nach Madrid. Am 24. Juli 1917 wurde der Prozess eröffnet, das Resultat ist bekannt.
Über Mata Haris Spionageversuche wissen wir durch Bücher von Ladoux, Bouchardon und des Mata-Hari-Forschers Sam Waagenaar. Er verwertete auch die Prozessakten. Seit Anfang 2017 sind sie im Internet: Bitte auf der Startseite den Satz „Consulter la base…“ anklicken. Danach im Menü oben „Zelle“ eintragen und abschicken und im nächsten Menü rechts das Blatt unter „Détail“ anwählen. In der folgenden Seite unten auf das Auge neben „Dossier(s) de procédure“ klicken: Es öffnen sich 1275 Scans. Das englische Nationalarchiv gab 1999 die Mata-Hari-Akten des Geheimdienstes MI5 frei. Ein dicker Ordner ist online.
1927 entstand in Berlin der erste Film mit Mata Hari im Titel. Er verlegte die Geschichte nach Russland. 1931 brachte Hollywood die besser bekannte Produktion mit Greta Garbo heraus. Das Fernsehspiel „Mata Hari – Tanz mit den Tod“ wurde am 8. Juni 2017 in der ARD gezeigt. Am kommenden Samstag eröffnet das Friesmuseum in Mata Haris Geburtsstadt eine große Ausstellung, der wir das Eingangsbild und obiges Farbfoto verdanken. Wir bedanken uns außerdem beim Behring-Archiv in Marburg für das Portrait von Carl Cremer.