Als Computer zu Experten wurden
Geschrieben am 24.05.2016 von HNF
Die Künstliche Intelligenz ist ein Teilgebiet der Informatik und widmet sich der Nachahmung des menschlichen Denkens durch Computer. In den frühen 1980er-Jahren stieg die Firma Nixdorf in das Feld ein. Der Schwerpunkt der Arbeit lag bei den Expertensystemen. Das waren Programme, die mit logischen Formeln operierten und die, wie es damals hieß, Wissen verarbeiten konnten.
Regelmäßige Leser unseres Blog wissen es natürlich. In den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz wurden Computer gewöhnlich als Denkmaschinen und Elektronengehirne bezeichnet. Um 1965 herum endete der Sprachgebrauch, doch halten wir sie immer noch für intelligent. Bester Beweis ist die Künstliche Intelligenz oder KI, die ein eigenes Fachgebiet der Informatik bildet.
Auf die wechselvolle Geschichte des KI wollen wir nicht näher eingehen, sondern in die 1980er-Jahre springen, als die Künstliche Intelligenz nach einer längeren Durststrecke wieder Schlagzeilen machte. Im Mittelpunkt des Interesses standen die Expertensysteme. Dahinter verbargen sich interaktive Computerprogramme, die Auskunft zu technischen oder wissenschaftliche Fragen gaben. Mit solcher Software beschäftigte sich auch eine Forschergruppe der Firma Nixdorf, die das Kürzel E05 trug.
Leiter des Teams war der 1944 im schottischen Edinburgh geborene Stuart Savory. 1966 beendete er in London das Studium der Physik, ab 1975 arbeitete er bei der Nixdorf Computer AG, seit 1981 als Vorstandsassistent. Ihm zur Seite standen unter anderem die Mathematiker Bernhard Mescheder und Werner Mellis, der Nachrichtentechniker Uwe Noelke und der Jurist und Informatiker Lothar Fohmann. Zu nennen sind außerdem zwei Forscherinnen, Hannelore Rösner und Britta Ladwig.
Was ist bzw. was war ein Expertensystem? Im Wesentlichen eine Menge logischer Formeln, die Sachverhalte ausdrücken, die mit einem bestimmten Thema zu tun haben. Aus der „Wissenbasis“ lassen sich durch Eingaben und Schlussregeln – der „Inferenzmaschine“ – weitere Aussagen gewinnen. Ein Beispiel ist eine Fahrplanauskunft wie www.bvg.de, in die man einen Start- und einen Zielpunkt sowie eine Zeit eingibt. Das Programm kennt sämtliche Linien der Berliner Verkehrsbetriebe und nennt dann Busse und Bahnen, die zur eingetippten Zeit von A nach B fahren.
In den frühen 1980er-Jahren lagen zwei bei Nixdorf entwickelte Expertensysteme vor, die aber nur in der Firma selbst eingesetzt wurden. FAULTFINDER-REPPLAN erkannte technische Fehler und lieferte Reparaturanweisungen; angewandt wurde es etwa bei der Fehlerdiagnose des Computers Nixdorf 8832. Der „configuration advisor“ CONAD stellte anhand der aktuellen Preisliste und der Wünsche des Kunden die passende Mischung aus Hardware, Software und Finanzierung zusammen.
Das große Projekt des Teams E05 war das Expertensystem TWAICE. Es lief ab Ende 1984 auf 32-bit-Rechnern von Nixdorf und ab Mitte 1985 auf fremden Computern. TWAICE war kein vollständiges System, sondern eine Expertensystem-Hülle oder -Schale. Es musste erst mit vielen Statements zu einem Gebiet gefüllt werden, um die gewünschten Expertisen produzieren zu können. Diese Füllung oblag „Wissensingenieuren“. Sie fragten Fachleute aus und lasen Fachbücher und wandelten anschließend die menschlichen Kenntnisse in maschinenlesbare Aussagen um.
Es ist nicht bekannt, wie viele Kunden ein TWAICE-Softwarepaket erwarben und installierten. Geld bekam Stuart Savory auf jeden Fall vom Bundesministerium für Forschung und Technologie in Bonn. Im März 1984 startete das BMFT ein Förderprogramm für Künstliche Intelligenz, das bis 1988 rund 200 Millionen DM verteilte. Die Nixdorf Computer AG machte mit Partnern aus Forschung und Wirtschaft bei drei Projekten mit. Sie betrafen den Mensch-Maschine-Dialog, juristische Expertensysteme und einen Parallelrechner für die KI-Programmiersprache PROLOG.
Das Engagement des Ministeriums zeigt, dass in den 1980er-Jahren ein großes Interesse für schlaue Computer existierte. Fachleute erwarteten den Übergang von der Daten- zur Wissensverarbeitung und eine 5. Generation der EDV. Der Begriff stammte aus Japan und bezeichnete ein milliardenschweres High-Tech-Programm des Industrieministerium MITI. Neben KI-Software und Datenbanken sollte es Supercomputer und Workstations fördern. 1992 stoppte das MITI das Programm aber wieder.
Zur gleichen Zeit endeten die goldenen Jahre der Expertensysteme, und ein KI-Winter setzte ein. Die öffentliche Aufmerksamkeit wandte sich anderen Themen zu wie Virtueller Realität (VR) und Netzwerken. (Wobei es auch zu einem VR-Winter kam, doch das ist eine andere Geschichte.) Die Vergangenheit der Künstlichen Intelligenz und der jeweiligen Hoffnungen und Ängste sollte uns lehren, neue Hypes und Schreckensvisionen kritisch zu sehen. Der Terminator steht noch lange nicht vor der Tür.
Ein Schlusswort zum Eingangsbild: Dieses entstand im heißen Sommer 1983 bei einer Expertentagung zu Expertensystemen in Paderborn. Es spricht Wolfgang Giloi, Professor an der TU Berlin. Vorn links sieht man den Gastgeber Stuart Savory und dahinter Günter Marx, IT-Spezialist des BMFT. Neben Marx sitzt mit Schnurrbart Wolfgang Wahlster, heute Chef des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz. Wir bedanken uns herzlich bei Bernhard Mescheder für das Foto.
Liebe Leser,
die „Heimat“ des Teams E05 war zu Zeiten des Nixdorf Fotos noch im Bau…siehe Hintergrund. Später war Informatik-Papst Donald Knuth dort zu Gast.
Und Nixdorf Vertriebsvorstand Klaus Luft machte seinerzeit stolze 5 Mio DM für die Nixdorf KI-Forschung locker.
Leider vergeblich: das unscharfe Wissen war nicht in den Griff, d.h. einen Algorithmus zu kriegen.
Im TWAICE könnte man mit Bayesian Statistics den „unscharfen Wissen“ durchrechnen. Ich kenne aber keine Kunden der dies tat denn sie hatten die bedingte Wahrscheinlichkeiten in der Praxis nie gesammelt 🙁
You rightly mention the support of the BMFT supporting the team, but I think it is also worth recalling that the ESPRIT Programme of the Eu supported this unique team. Savory’s visionary style was recognised and the source of much valuable input into the future shape of the EU Research programme, which at that time was 100Million Euros over 4 years for all, but now comes in at 100BIllion over 7 years. There is no doubt in my mind that the successful cooperation between universities and companies shaped the rejuvenation of European research in advanced devices and applications.