Computer am Steuer

Geschrieben am 14.08.2015 von

Seit den 1930er-Jahren träumen Ingenieure von selbst fahrenden Autos, in denen es sich die Familie bequem machen kann. In der Nachkriegszeit wurden Systeme getestet, die im Boden eingelassenen Leitkabeln folgten, später entstanden Fahrzeuge, die mit Computern die Daten mitgeführter Kameras auswerteten. Inzwischen gibt es echte Roboterautos, die sich ohne menschliche Hilfe im fließenden Verkehr bewegen.

Erfunden hat es – natürlich – ein Deutscher. 1930 beschrieb Werner Illing im Science-Fiction-Roman „Utopolis“ eine verborgene Insel im Pazifik, deren Bewohner in einer hochtechnologischen Welt leben. Dort gibt es auch autonome Kraftfahrzeuge – ein Zitat: „Ehe wir recht zum Bewußtsein kamen, hatten sie uns im Auto verstaut. Wir sausten los, ohne daß jemand das Steuerrad hielt, flitzten um Ecken, wichen anderen, ebenso feinen Kraftkutschen aus, niemand hupte…“

Erklärt werden die fantastischen Fähigkeiten des Fahrzeugs mit einer optischen Lenkautomatik und einer mechanischen Speicherung des Straßennetzes. Fünf Jahre später entdeckte der amerikanische Utopist David H. Keller in seiner Erzählung „Die lebende Maschine“ noch andere Qualitäten selbst fahrender Pkw: „Alte Leute durchquerten den Kontinent endlich im eigenen Wagen. Junge Leute fanden das fahrerlose Auto ideal zum Gefühlsaustausch.“

1939 zeigte der Konzern General Motors auf der New Yorker Weltausstellung das Futurama, ein großes Landschaftsmodell, das in die USA des Jahres 1960 führte. Glaubte man den Modellbauern, so brachte die Zukunft bequeme und sichere Autos, die von allein über Schnellstraßen fuhren, durch Funkwellen auf Abstand und durch ein U-förmiges Straßenprofil in der Spur gehalten. Der 2. Weltkrieg unterband die Realisierung der Vision, doch in den 1950er-Jahren gingen die Ingenieure daran, den Traum zur Wirklichkeit zu machen.

1956 präsentierte GM den Firebird II, der nicht nur eine Gasturbine, sondern auch ein „elektronisches Gehirn“ enthielt. Das verkündete jedenfalls die Werbung. In einem PR-Film rollte eine Familie im Feuervogel durchs Land, ohne einmal das Steuer anzufassen. 1958 baute GM ein funktionierendes Fahrsystem in eine Limousine der Marke Chevrolet ein. Dabei orteten Detektoren an der Stoßstange ein in der Straße verlegtes Kabel, das Radiowellen ausstrahlte. Die Daten der Spulen gingen an einen kleinen Analogrechner, der den Chevy über eine kurze Teststrecke lenkte.

In den 1960er-Jahren starteten ähnliche Experimente auch in England, unter anderem mit einem schwarzen Citroen DS 19, der später im Londoner Science Museum landete. In den Siebzigern endeten die Versuche mit Leitkabeln, vermutlich weil keine Aussicht auf die nötige Infrastruktur bestand. Ein Erbe aus der Pionierzeit des fahrerlosen Fahrens sind visionäre Zeichnungen, die in den USA und in der Bundesrepublik erschienen und bis heute ihren Reiz bewahrten.

Die digitale Antwort auf die analogen kabelgestützten Systeme kam nicht vom Autobau, sondern aus der Robotik. Von 1966 bis 1972 testete das Stanford Research Institute in Menlo Park (Kalifornien) den rollenden Roboter Shakey, der sich mit Fernsehkamera und Minicomputer im Labor orientierte. In der benachbarten Stanford-Universität baute der Maschinenbaustudent James Adams schon 1960 eine Plattform mit vier Rädern, Elektromotoren und einer Fernsehkamera und untersuchte die Frage, ob sich Fahrzeuge auf dem Mond fernsteuern lassen.

Einige Jahre später übernahm die Abteilung für Künstliche Intelligenz der Uni das Gefährt und baute es zu einem mobilen Roboter wie Shakey um. Die von der TV-Kamera aufgenommen Bilder wurden einem stationären Computer zugeleitet. 1979 durchfuhr der Stanford Cart in fünf Stunden einen mit Stühlen vollgestellten Raum. Die meiste Zeit verbrachte der Roboter bzw. sein Computer damit, die digitalisierten Fernsehbilder zu analysieren und die weitere Route zu planen.

Der Fortschritt der Computertechnik verkürzte aber die Rechenzeiten dramatisch. 1986 entstand in der Carnegie Mellon Universität im amerikanischen Pittsburgh das erste Modell der Navlab-Serie, ein Chevrolet-Lieferwagen mit einem Spezialcomputer, vier Workstations und einer Videoausstattung. In den späten 1980er-Jahren schaffte es 20 Meilen pro Stunde (32 km/h) in autonomer Fahrt; es folgten weitere zehn Navlabs, eher das Programm nach der Jahrtausendwende auslief.

1987 brauste das „Versuchsfahrzeug für autonome Mobilität und Rechnersehen“ VaMoRs mit 96 km/h über die (gesperrte) Autobahn bei Dingolfing, gesteuert von einem Intel-8086-basierten Computer, der die Bilddaten der bordeigenen Kamera verarbeitete. Der Mercedes-Transporter  kam von der Münchner Universität der Bundeswehr, wo sich Professor Ernst Dickmanns und seine Mitarbeiter schon länger mit „kognitiven Fahrzeugen“ befassten.

1994 rüstete Dickmanns im Rahmen des Prometheus-Programms einen Mercedes der S-Klasse aus, der dann in der Nähe von Paris problemlos im fließenden Verkehr mitfuhr. Im Folgejahr absolvierte der VaMP oder „VaMoRs Passenger Car“ die Strecke München-Kopenhagen und zurück und erreichte unterwegs bis 175 km/h. Für Baustellen und Tunnels saß ein Mensch im Wagen, der längste autonom zurückgelegte Fahrtabschnitt umfasste immerhin 158 Kilometer.

Inzwischen wurden und werden in aller Welt autonome Automobile entwickelt, auch in Berlin, wo an der Freien Universität Informatikprofessor Raúl Rojas den VW-Abkömmling AutoNOMOS baute. Star der Szene ist aber der aus Solingen stammende und in Kalifornien tätige Sebastian Thrun, dessen Roboterauto 2005 das DARPA Grand Challenge und zwei Millionen Dollar gewann und der anschließend der Firma Google bei ihren selbstfahrenden Pkws half. Utopolis steht also vor der Tür.

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4 Kommentare auf “Computer am Steuer”

  1. Sebastian Hamburger sagt:

    Bin dringend auf der Suche nach dem Urheber zu dem Utopiebild, das unter Bundesrepublik verlinkt ist (Im Satz: „Ein Erbe aus der Pionierzeit des fahrerlosen Fahrens sind visionäre Zeichnungen, die in den USA und in der Bundesrepublik erschienen und bis heute ihren Reiz bewahrten.“). Wissen Sie woher das Bild stammt und wer der Urheber ist?
    Danke und Gruß

    1. HNF sagt:

      Das Foto stammt von dieser Seite: http://www.retro-futurismus.de/radtke_zukunft.htm
      Beste Grüße

      1. Sebastian Hamburger sagt:

        Super! Vielen Dank für die schnelle Antwort!

  2. Winfried Wengenroth sagt:

    Hallo,

    klasse Beitrag. Was super interessant.

    Ich bin gespannt was die Zukunft und die Technologie uns noch alles geben werden.

    Beste Grüße
    Winfried

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