KayMcNultyAlyseSnyderSisStumpDifferentialAnalyzer

Das Neunzig-Tonnen-Gehirn

Geschrieben am 09.12.2025 von

Einige Jahre lang war er der größte Analogrechner der Welt: der Rockefeller Differential Analyzer. Von 1942 bis 1954 stand er im Massachusetts Institute of Technology, bekannt wurde er erst im Oktober 1945. Das Konzept stammte vom Ingenieur Vannevar Bush, für den Bau sorgte sein Kollege Samuel Caldwell. Erhalten ist zu ihm ein Film der Wochenschau.

Die Computer gliedern sich bekanntlich in digitale und analoge. Der erste funktionsfähige Digitalrechner war 1941 die V3, später Z3 genannt, von Konrad Zuse. 1931 stellte Vannevar Bush, Ingenieurprofessor des Massachusetts Institute of Technology im amerikanischen Cambridge, den Differentialanalysator fertig. Er war ein programmierbarer Analogrechner und führte zu Nachbauten in den USA, England, Norwegen und Japan. Unser Eingangsbild zeigt den Analysator der Universität von Pennsylvania in den frühen 1940er-Jahren. Links sitzt Kay McNulty, die später das digitale Elektronengehirn ENIAC programmierte

Vannevar Bush wurde am 11. März 1890 im US-Bundesstaat Massachusetts geboren und wuchs in einem Pfarrhaus auf. 1913 erhielt er den Bachelor und den Master von einer lokale Hochschule, 1916 promovierte er in Elektrotechnik an der Universität Harvard und zugleich im MIT. 1919 wurde Bush hier Professor, 1938 übernahm er die Leitung der Carnegie-Stiftung. Nach dem Eintritt der USA in den Zweiten Weltkrieg war er der Chefkoordinator für die militärische Forschung; ohne ihn hätte es keine Atombombe gegeben.

In den späten 1930er-Jahren dachte Bush über einen digitalen Elektronenrechner nach; das Projekt verlief aber im Sande. Die Förderung des Großcomputers ENIAC überließ er der US-Armee. Im Juli 1945 erschien sein Aufsatz „As We May Think“. Darin skizzierte er das mit Mikrofilmen arbeitende Hypertext-System Memex, einen stationären Vorläufer des World Wide Web. 1948 verließ er den Staatsdienst, 1955 beendete er die Tätigkeit für die Carnegie-Stiftung. Vannevar Bush starb am 28. Juni 1974 in seinem Wohnort nahe Boston.

Vannevar Bush 1927 an einem Vorläufer seines Differentialanalysators

Technikgeschichte schrieb er durch seine analogen Rechengeräte. Der Differential Analyzer arbeitete rein mechanisch. Als Grundelemente dienten mehrere Integriereinheiten, in denen Scheiben rotierten. Ihre Drehungen nahmen Reibrädchen ab, die sich entlang der Achse verschieben ließen. Die schwachen Drehmomente der Räder wurden verstärkt und als Inputs wieder dem Rechner zugeführt. Die in dem Differentialanalysator eingestellten Parameter entsprachen den Koeffizienten einer Differentialgleichung und ermöglichten ihre Lösung.

Der Rechner wurde 1931 in Betrieb genommen und rasch bekannt. Bald fielen Vannevar Buch diverse Verbesserungen ein. 1935 gab die Rockefeller-Stiftung 10.000 Dollar für die Planung eines Nachfolgers, 1936 kamen weitere 85.000 Dollar für die Entwicklung. Zwei Jahre später wechselte Bush zur Carnegie-Stiftung; die Arbeit am neuen Differentialanalysator setzte ein MIT-Kollege fort, der Elektrotechnik-Professor Samuel Caldwell. Am 13. Dezember 1941 erfolgte eine Vorführung des „Rockefeller Differential Analyzer“ in der Hochschule.

Sechs Tage vorher griffen japanische Flugzeuge die US-Flotte in Pearl Harbour an; am 8. Dezember 1941 erklärten die USA Japan den Krieg. Wie man sich denken kann, nutzte das MIT den Rockefeller-Rechner nun für militärische Zwecke und unter strenger Geheimhaltung. Die Öffentlichkeit erfuhr von ihm am 29. Oktober 1945 vor einer Tagung der Hochschule über fortschrittliche Rechentechnik – wir haben sie im Blog geschildert. Damals entstand auch dieses Bild; Vannevar Bush ist der Zweite von links, ganz rechts steht Samuel Caldwell.

Integrator eines englischen Analysators. Rechts sitzt die Scheibe mit dem Reibrad, links der Drehmoment-Verstärker. (Foto Science Museum Group CC BY-NC-SA 4.0 seitl. beschnitten)

Weitere Fotos der Anlage finden sich hier und hier. Eine genaue Beschreibung, verfasst von Bush und Caldwell, brachte das Journal of the Franklin Institute. Ihr zufolge enthielt der Rechner zweitausend Elektronenröhren, mehrere Tausend Relais und 150 Motoren; die in ihm gelegten Drähte summierten sich auf zweihundert Meilen, das Gerät wog hundert amerikanische oder neunzig europäische Tonnen. Die Resultate wurden in Ziffernform auf Papier ausgegeben. Die mathematischen Bauelemente waren aber die gleichen wie im ersten „Differential Analyzer“ von 1931, nämlich achtzehn Scheiben-Integratoren.

Anders formuliert, der Rockefeller-Analysator war eine technische Sackgasse, was die Urheber spätestens 1950 wussten. 1946 nahm in Philadelphia der ENIAC den Betrieb auf, weitere digitale Elektronengehirne liefen in New York sowie in England. Im MIT wuchs in den frühen 1950er-Jahren der Digitalcomputer Whirlwind heran. 1954 wurde das System von Vannevar Bush und Samuel Caldwell stillgelegt. Neben den Fotos überlebten zwei größere Teile und die Trommel von einem Bedienplatz; mit ihrer Hilfe ließ sich der Graph einer mathematischen Funktion verfolgen und ins Gerät eingeben.

Es existiert außerdem ein Wochenschau-Clip, der den Analysator im November 1945 zeigt. Anfang 1946 entstand eine deutsche Fassung, bitte zu Minute 11:20 gehen! Zu Beginn sehen wir allerdings keine Rechenmaschine, sondern einen Locher. Der Ausschnitt ist eines der wenigen Bewegtbilder eines klassischen Analogrechners, wir wissen sonst nur von einem Film mit dem Differentialanalysator der Universität Los Angeles aus dem Jahr 1948. Dieser erschien auch in zwei Science-Fiction-Streifen, alle Clips sind hier zusammengefasst. Die Technikgeschichte geht manchmal seltsame Wege.

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.