Das war Donald Davies
Geschrieben am 07.06.2024 von HNF
Von den Vätern des Internets ist er wohl der unbekannteste. Donald Davies wurde am 7. Juni 1924 in Wales geboren. Er studierte Physik und Mathematik in London und arbeitete unter anderem am Computer Pilot ACE des Nationalen Physiklabors. Ab 1965 entwickelte er die Paketvermittlung, die technische Grundlage des Internets. Er starb am 8. Mai 2000.
Im Kino lief die Wochenschau im Juli 1949; sie entstand im Nationalen Physiklabor NPL in Teddington am westlichen Rand von London. Das NPL ist für Maße und Gewichte zuständig und ein staatliches Forschungsinstitut. Im Film erschien auch ein junger Forscher und ein von ihm gebauter Relaisrechner. Er beherrschte Tic-Tac-Toe oder Naughts and Crosses, wie die Engländer sagen. Die Züge wurden auf einer Mattscheibe angezeigt; es war vielleicht das erste funktionsfähige Videospiel.
Der Konstrukteur des Automaten, Donald Davies, machte sich jedoch einen Namen in einer anderen Technik, zu der wir noch kommen. Geboren wurde er vor hundert Jahren, am 7. Juni 1924, im walisischen Bergbaustädtchen Treorchy. Er wuchs in Portsmouth am Ärmelkanal auf und besuchte dort das Gymnasium; anschließend studierte er Physik in London. Im Zweiten Weltkrieg wirkte er in Birmingham am englischen Atombombenprojekt mit; einer seiner Kollegen war der später als sowjetischer Spion enttarnte Klaus Fuchs. Nach Ende des Krieges setzte Davies das Studium im Fach Mathematik fort.
Ab 1947 arbeitete er im Nationalen Physiklabor als Assistent des Computerpioniers Alan Turing. 1948 ging Turing zur Universität Manchester und hinterließ einen unvollendeten Elektronenrechner. Davies schloss sich dem Team an, das die Konstruktion der Pilot ACE fortsetzte und sie 1950 zum Laufen brachte. Danach befasste er sich mit Kryotronen, auf Supraleitung basierenden Schaltelementen, und mit maschineller Sprachübersetzung. Er verbrachte außerdem ein Jahr im Massachusetts Institute of Technology und in Indien.
1960 wurde Donald Davies Abteilungsleiter im NPL. Im Mai 1965 besuchte er eine Informatik-Konferenz in New York sowie einige Universitäten; er interessierte sich besonders für das neue Time-Sharing, das mehrere Terminals mit einem Computer verband. Im November 1965 veranstaltete das NPL dazu eine Tagung, an der auch Forscher aus den USA anreisten. Die Technik des Time-Sharing erinnerte Davies an die Speichervermittlung von telegrafischen Netzen: hierbei werden Telegramme in Netzknoten in Papierstreifen gestanzt und danach zum nächsten Knoten geschickt.
Das message switching für Telegramme brachte Davies zum packet switching für Daten. Die Paketvermittlung teilt eine Botschaft in kurze Abschnitte auf, die in einem Netz unabhängig voneinander zum Adressaten finden. Dort werden sie zusammengesetzt und ausgegeben. Ein Modell jener Vermittlung zeigt, siehe Eingangsbild, das Deutsche Technikmuseum in Berlin. Am 18. März 1966 trug Donald Davies seine Idee im NPL vor, im Juni 1966 brachte er sie zu Papier. Er beschrieb Nachrichten aus sechs Byte langen Datenworten und nahm eine Übertragung von anderthalb Megabit pro Sekunde an.
In seiner Schrift erwähnte Davies den amerikanischen Ingenieur Paul Baran, der in den frühen 1960er-Jahren in der RAND Corporation untersuchte, ob Kommunikationsnetze einen Krieg überstehen würden. Baran wies nach, dass die einzelnen Teile einer Nachricht – er sprach von Datenblöcken – auch durch ein beschädigtes Netz zum Empfänger gelangen. 1962 verfasste er einen ersten Bericht, 1964 lagen alle elf Kapitel seiner Studie vor. Sie wurde aber nur einem kleinen Leserkreis bekannt und führte noch nicht zum Internet.
Das tat eher das Konzept von Donald Davies. Sein NPL-Kollege Roger Scantlebury stellte seine Paketvermittlung 1967 auf einem Symposium im amerikanischen Gatlinburg vor. Zu den Zuhörern gehörte der Ingenieur Larry Roberts, der für das US-Verteidigungsministerium ein Computernetzwerk entwickeln sollte. Er wusste von der Paketvermittlung, doch erst der Vortrag von Roger Scantlebury überzeugte ihn von ihren Vorteilen. Auf diese Weise wurde die Idee von Donald Davies zur grundlegenden Technik des 1969 eingeweihten ARPANET.
Auch Davies schuf ein Netz für Datenpakete. Es startete Anfang 1970 auf dem Gelände des NPL, 1975 verband es zweihundert Terminals. Das ist ein Video dazu – wir entschuldigen uns für den Ton. Das NPL-Netz war bis 1985 in Betrieb. Ab den späten 1970er-Jahren beschäftigte sich Donald Davies vor allem mit Computersicherheit und Verschlüsselung. Diese Tätigkeit setzte er auch nach seiner Pensionierung 1984 fort. Er starb am 28. Mai 2000 im Londoner Vorort Esher nicht fern von seiner alten Arbeitsstätte. Man kann ihn den unbesungenen Helden der Internetgeschichte nennen.
Nun möchten wir noch an eine Heldin der Literaturgeschichte erinnern: Christa Anita Brück. Vor 125 Jahren, am 9. Juni 1899, kam sie als Christa Jaab im schlesischen Liegnitz zur Welt. 1930 erschien ihr Buch Schicksale hinter Schreibmaschinen, der vielleicht erste deutsche Büroroman. Ihr nächster Roman Ein Mädchen mit Prokura erschien 1932; es folgten zwei weitere Titel. Christa Anita Brück starb am 22. Februar 1958 in Königstein im Taunus.
Ich habe Donald Davis einmal bei einer Tagung zur Computersicherheit (?) in London getroffen. Er war schon damals eine große Autorität in der Computer Science.