Der Mann, der in die Zukunft sah
Geschrieben am 15.12.2017 von HNF
Rotierende Raumstationen, Menschen auf fernen Planeten, denkende Computer und außerirdische Intelligenzen. Das stand früher in Science-Fiction-Romanen, aber auch in Sachbüchern über die Zukunft. Ein Meister in beiden Feldern war Arthur C. Clarke. Vor 100 Jahren wurde er in Südengland geboten; er starb 2008 auf Sri Lanka. Clarke zählt auch zu den großen Visionären der Informationstechnik.
Immer zur Mittagspause zog es den bebrillten Gymnasiasten vom Schulhof in die nahe Woolworth-Filiale des südenglischen Städtchens Taunton. Hier lagen die „Yank Pulps“ aus Amerika aus, billige Western, Krimis, Liebes- und Zukunftsromane, auch Science-Fiction genannt. Letztere studierte der Teenager eifrig. Die Hefte und ihre bunten Cover entführten ihn ins Weltall, wo superintelligente Erdenmenschen, hinterlistige Außerirdische und unberechenbare Roboter aufeinanderprallten.
So startete in den frühen 1930er-Jahren die literarische Karriere des Arthur Charles Clarke. Geboren an 16. Dezember 1917 in Minehead gegenüber der walisischen Südküste, besuchte der Bauernsohn die lokale Grundschule und die Grammar School im nahen Taunton. Danach wurde er Bilanzprüfer in der Finanzverwaltung; für die Universität reichte das Geld nicht. Der Job in London erlaubte es ihm aber, an den Aktivitäten der British Interplanetary Society teilzunehmen. Die Mitglieder des Vereins glaubten an Raketenflüge ins All und eine künftige Landung von Menschen auf dem Mond.
Clarke war Schatzmeister, schrieb Artikel für das Vereinsblatt und Kurzgeschichten für kleine Science-Fiction-Magazine. In diesem Foto von 1938 ist er ganz rechts zu sehen. Den Krieg erlebte er in der Royal Air Force, ab 1943 wirkte er an der Erprobung von Radaranlagen mit. Nach Kriegsende absolvierte Clarke ein schnelles Studium der Physik und wagte dann den Sprung in die ungewisse Existenz eines freien Schriftstellers. Mit dem Roman „Die letzte Generation“ schaffte er 1953 den Durchbruch in der Science-Fiction-Szene.
In vielen Romanen und Sachbüchern und Hunderten von Stories und Artikeln malte Arthur C. Clarke die bemannte Raumfahrt aus, die er als Auslöser eines neuen Zeitalters sah. Zugleich betätigte er sich als Unterwasserforscher. Ab 1956 wohnte er auf Sri Lanka, musste aber aus Steuergründen jedes Jahr Monate außerhalb der Insel verbringen. Weltbekannt wurde er durch die Zusammenarbeit mit dem amerikanischen Regisseur Stanley Kubrick. Daraus entstanden 1968 der Film 2001: Odyssee im Weltraum und Clarkes gleichnamiger Roman. Später schrieb er noch drei Fortsetzungen.
Der Bösewicht von „2001“ ist der intelligente Computer HAL 9000 – das Wort könnte eine Caesar-Verschlüsselung von IBM sein. Sowohl im Roman als auch im Film treffen wir auf Tablets, und wer im Kino scharf hinsieht, erkennt darauf den Namen jener Firma. Der reale Arthur C. Clarke benutzte ab 1969 einen programmierbaren elektronischen Tischrechner des Typs HP 9100A; er war ein Geschenk des Herstellers Hewlett-Packard. Die Presse nannte das Gerät schon einen „personal computer“.
Clarke war auch Experte für Kommunikationstechnik; 1958 verfasste er ein Sachbuch über Seekabel. 1945 schilderte er in einer englischen Fachzeitschrift ein anderes Verfahren. Er schlug vor, drei Raumstationen zu installieren, die einmal täglich um die Erde kreisen. Sie stehen am Himmel still und können als Brücke für den Funk- und Telefonverkehr zwischen entfernten Orten dienen. Außerdem würden sie fast den gesamten Globus mit Radio- und Fernsehwellen abdecken. Aus Clarkes Konzept entwickelte sich dann der geostationäre Nachrichten- und TV-Satellit.
In den 1960er-Jahren baute der Schriftsteller die Idee weiter aus. Artikel aus seiner Feder beschrieben eine zukünftige Wissensgesellschaft, in der man an jedem Ort Datenbanken, Informationsdienste und elektronische Bibliotheken kontaktiert. Clarke schwebte eine Art Internet auf Satellitenbasis vor, das er 1964 in der BBC skizzierte. Zehn Jahre später erläuterte er die neue Welt der Information im australischen Fernsehen. Von Satelliten hören wir wenig, das Verfahren basiert eher auf Terminals, die an Zentralcomputern hängen.
In den frühen Achtzigern kaufte sich Arthur C. Clarke zwei Mikrocomputer, einen Apple II und den heute weitgehend vergessenen Archives III. Mit diesem tippte er die „2001“-Fortsetzung „2010“ auf eine Floppy Disk; in Druck erschien das Buch 1982. Im darauffolgenden Jahr bereitete der amerikanische Regisseur Peter Hyams schon die Verfilmung des Romans vor. Beide Männer legten sich einen Kaypro II zu, einen leicht zu bedienenden 8-bit-Rechner aus Kalifornien; dazu kamen Modems für die Anbindung ans Telefon.
Ab dem 16. September 1983 schickten Clarke und Hyams elektronische Briefe zwischen Colombo – Clarkes Wohnsitz auf Sri Lanka – und Los Angeles hin und her. Es handelte sich nicht um E-Mails, sondern um simple Textdateien; die immensen Telefonkosten trug das Filmstudio MGM. Die Kommunikation lief bis zum 7. Februar 1984; danach begann Peter Hyams mit den Dreharbeiten. In den US-Kinos startete der Film im Dezember; die deutsche Premiere erfolgte im Februar 1985. 2010: Das Jahr, in dem wir Kontakt aufnehmen war kein Meilenstein wie „2001“, spielte aber die Unkosten wieder ein.
Im Herbst 1984 erschien der Briefwechsel von Clarke und Hyams leicht überarbeitet im Druck; der Titel des Paperbacks lautete „The Odyssey File“. Die Odyssee-Akte dürfte das allererste Internet-Buch der Literaturgeschichte sein. Das ultimative Ende des Internets malte Arthur C. Clarke zur Jahrtausendwende aus. Mit Co-Autor Stephen Baxter erstellte er den Roman „Das Licht ferner Tage“; das Thema ist die Übertragung von Information zwischen zwei beliebigen Punkten in Raum und Zeit. Auf diese Weise kann man überall spionieren, aber auch nachprüfen, was in der Weltgeschichte tatsächlich passierte.
Erwähnen müssen wir Clarkes Liebe zur fraktalen Geometrie. Diese finden wir im Roman „Aus einem anderen Jahrtausend“ aus den frühen Neunzigern. Das Hauptthema war allerdings das Wrack der „Titanic“; die Kritiken fielen nur mittelmäßig aus. 1994 behandelte Clarke die Fraktale noch einmal im Video. Sein Schlusswerk hatte ebenfalls mit Mathematik zu tun. „Das letzte Theorem“ – bei der Vollendung des Romans half der SF-Autor Frederik Pohl – ist der berühmte Satz von Fermat. Meist geht es im Buch aber um die Begegnung mit Aliens.
Seit 1988 war Clarke an den Rollstuhl gefesselt. Das hinderte ihn nicht daran, von 1979 bis 2002 als Kanzler der Technischen Hochschule von Sri Lanka zu amtieren. (Ein geändertes Steuergesetz erlaubte ihm, das ganze Jahr im Land zu verbleiben.) Als Schriftsteller gewann er alle wichtigen Science-Fiction-Preise, dazu Auszeichnungen für Wissenschaftspublizistik. Die Gesamtauflage seiner rund 70 Titel liegt bei über 100 Millionen. Seit dem Jahr 2000 durfte er sich Sir Arthur nennen
Arthur C. Clarke starb am 19. März 2008 in seiner Wahlheimat Sri Lanka, wo er auch begraben ist. Sein Nachlass liegt seit Dezember 2015 im Archiv des National Air and Space Museum in Washington. Seine Ideen gehören uns allen.