Eine Zahl für jedes Buch
Geschrieben am 05.11.2021 von HNF
Im Oktober gab das HNF einen neuen Museumsführer heraus, in einer deutschen und in einer englischen Fassung. Die „Geschichte der Zukunft“ und die „History of the Future“ tragen beide eine Internationale Standardbuchnummer, bekannt als ISBN. Sie wurde bei uns vor fünfzig Jahren als DIN-Norm 1462 eingeführt. Heute tragen fast alle Druckwerke der Welt diese Zahl.
Bücher haben ihre Schicksale und darüber hinaus Titel, Autoren oder Herausgeber, Verlage und Erscheinungsjahre. An die Stelle des Verlags tritt ab und zu der Verlagsort, und manches Werk kommt „o. J.“ heraus, sprich ohne Jahr. Gelegentlich bleibt auch der Verfasser oder die Verfasserin unbekannt. Die Angaben genügten aber jahrhundertelang, um Druckwerke zu identifizieren und zu katalogisieren. Das änderte sich in den 1960er-Jahren.
Den Anstoß gab Peter Bagnall, technischer Direktor der englischen Buchhandelskette W. H. Smith. Er informierte 1965 den englischen Verlegerverband über Pläne seiner Firma, ein computerisiertes Bücherlager einzurichten. Er bat den Verband, über die Nummerierung von Büchern nachzudenken. Bagnall schrieb auch Gordon Foster an, Statistikprofessor an der London School of Economics. Foster wurde 1921 in Belfast geboren; im Krieg arbeitete er im Entschlüsselungszentrum Bletchley Park. Später lernte er bei Alan Turing an der Universität Manchester seinen ersten Elektronenrechner kennen
1966 legte Gordon Foster ein Konzept mit einer neun Ziffern langen Codierung vor. Daraus entstand 1967 die im Vereinigten Königreich benutzte Standard Book Number SBN. 1968 übernahmen die USA das System. Es galt aber noch nicht überall, denn globale Standards regelt die Internationale Organisation für Normung ISO. Sie wurde 1946 gegründet und begann im Februar 1947 in Genf mit ihrer Tätigkeit. Diese spielte sich meist in Ausschüssen und Unterausschüssen ab, deren Mitglieder alle paar Monate in verschiedenen Städten auf der Welt zusammenkamen.
Der Technische Ausschuss Nr. 46 oder ISO/TC 46 widmete sich der Information und Dokumentation. Im Jahr 1967 leitete ihn Johanna Eggert. Sie wurde am 18. Juli 1921 in Berlin geboren und wuchs dort auf. Später erwarb sie das Diplom in Chemie und arbeitete bei einem Hersteller von Schallplatten. Dort zog sie sich eine Vergiftung zu. Sie musste den Beruf aufgeben und lebte von kleinen Jobs wie Übersetzerin oder Empfangsdame. 1961 erhielt sie wieder eine gut bezahlte Stelle beim Deutschen Normenausschuss (ab 1975 Deutsches Institut für Normung DIN).
Daneben wirkte Johanna Eggert in der ISO. 1967 traf sich ihr Ausschuss in Moskau; dabei erhielt sie ein Papier des New Yorker Verlegers Daniel Melcher über die Notwendigkeit von Bücherdaten. Sie schuf nun eine Arbeitsgruppe; zu ihr gehörten Daniel Melcher, sein englischer Kollege David Whitaker, Hans Jürgen Ehlers vom Stuttgarter Ernst Klett Verlag und Suzanne Honoré von der französischen Nationalbibliothek. Alle wussten natürlich von der englischen Buchnummer; 1968 fand ein ISO-Meeting zum Thema in London statt.
Dort wurde aus der angloamerikanischen SBN die übernationale ISBN; die Diskussion der Details geschah im April 1969 auf einer Tagung des ISO/TC 46 in West-Berlin. Der wichtigste Beschluss war die Festlegung auf zehn Ziffern. Die ISO-Vollversammlung nahm den Entwurf am 21. Oktober 1969 in Stockholm an; sie publizierte ihn als Empfehlung ISO/R 2108. In der Bundesrepublik erschien er im November 1971 als DIN-Norm 1462. International erfolgte die Einführung als ISO-Standard 2108-1972. Ab 2007 hatte die ISBN dreizehn Stellen.
Die Internationale Standardbuchnummer gliederte sich in vier Ziffern oder Ziffernfolgen. Sie begann mit der Kennzeichnung der Sprache, des Landes oder der geografischen Region. Danach kamen Nummern für den Verlag und das spezifische Werk. Die Zahl am Ende diente als Prüfziffer; der dahinter stehende Algorithmus wird hier erläutert. Die dreizehnstellige ISBN enthält am Anfang das Tripel 978, die Zuweisungen für Sprache, Verlag und Werk bleiben im Wesentlichen gleich. Komplizierter wurde allerdings das Prüfverfahren.
Ein Verlag oder eine Institution, die eine Publikation erstellt, kann sich selbst keine ISBN verleihen; man muss die ISBN gegen eine Gebühr beantragen. Zuständig ist der Marketing- und Verlagsservice des Buchhandels in Frankfurt am Main; unsere Nummer gibt es dort im ISBN-Shop. Weitergehende Informationen liefert ein Handbuch. Buchnummern tragen auch die neuen Museumsführer des HNF, die im Eingangsbild zu sehen sind. Das Original erhielt ISBN 978-3-9805757-7-5, die englische Übersetzung hat ISBN 978-3-9805757-8-2.
Die ISBN gehört zu den erfolgreichsten Standardisierungen aller Zeiten. Leider weilen die Urheber nicht mehr unter uns. Johanna Eggert, die „Mutter der ISBN“, starb am 1. Februar 2018 in Berlin. Nach dem Ende ihrer Berufstätigkeit organisierte sie noch Ausstellungen über Künstler und Musiker. 2004 erhielt sie das Bundesverdienstkreuz.
Eine spannende Geschichte! Parallel dazu setzt sich ja auch der Strichcode durch, der ab 1968 in der Schweiz getestet und in den 1970er Jahren schließlich von Wall Mart zur Durchsetzung gebracht wird. Gibt es zur Geschichte der ISBN auch bereits wissenschaftliche Publikationen?
Zum Strichcode haben wir auch einen Artikel im Angebot: https://blog.hnf.de/mathematik-fuer-den-supermarkt/