Gegen die Fälscher – für die Computer
Geschrieben am 31.03.2017 von HNF
Ab 1938 gab es in Deutschland Kennkarten. Aus ihnen entstanden die Personalausweise. Sie waren kleine Hefte mit mehreren Seiten und einem Portraitfoto. 1979 beschloss die Bundesregierung einen neuen Ausweis-Typ und brachte auch ein Gesetz auf den Weg. Es dauerte aber bis zum 1. April 1987, bis der fälschungssichere und maschinenlesbare Personalausweis in durchsichtigem Kunststoff erschien.
Im März 1987 spielten sich in westdeutschen und West-Berliner Waschsalons skurrile Szenen ab. Manche Kunden steckten neben den Textilien auch ihre Personalausweise in die Trommel und setzten sie dem heißen Wasser und dem Waschprogramm aus. Anschließend gingen sie mit dem malträtierten Dokument zum Rathaus und beantragten ein neues.
Zweck der Aktion war, noch einmal einen Personalausweis alten Stils zu erhalten. Denn ab April 1987 gaben die Ämter nur Dokumente eines neuen Typs ab. Es waren in Kunststoff eingeschweißte Papiere der Größe 10,5 x 7,4 cm alias DIN A7. Auf der Vorderseite befanden sich zwei Zeilen in der Schrift OCR-B, die elektronische Lesegeräte verstanden. Es war die Computerlesbarkeit, die den Argwohn der Wäscherinnen und Wäscher erregte. Meist kamen sie aus dem links-alternativen Spektrum und trauten Vater Staat alles Mögliche zu.
Die Geschichte des maschinenlesbaren und fälschungssicheren Personalausweises, der vor dreißig Jahren erschien, begann schon ein halbes Jahrhundert früher. Im Juli 1938 schuf das Innenministerium des Deutschen Reiches die Kennkarte. Sie hatte das Format A6 und trug Personalangaben, Fingerabdrücke und ein Passbild. Eine Kennkarte mussten junge Männer vor dem 18. Geburtstag besitzen, wenn sie wehrpflichtig wurden, und alle jüdischen Bürger. Außerdem diente die Karte als Ausweis im kleinen Grenzverkehr.
Der Ausbruch des 2. Weltkriegs brachte uns den Ausweiszwang, der bis heute besteht. Jeder Deutsche legt sich spätestens am 16. Geburtstag einen amtlichen Identitätsnachweis zu. Zum Tragen ist er aber nicht verpflichtet. 1951 führten die Bundesrepublik und West-Berlin Personalausweise in Heftform ein, im Bundesgebiet mit grauem und in Berlin mit grünem Einband. Das Format war A7; innen befanden sich acht Seiten. Seite 3 trug das Portrait des Inhabers und die Unterschrift. Ab 1953 gab die DDR blaue Ausweise heraus.
Die Ausweise ließen sich leicht fälschen. Man konnte zum Beispiel leere Vordrucke für die Ausweisseiten stehlen und mit geschickter Hand und geklauten Stempeln ausfüllen. Ein anderer Weg bestand darin, den Ausweis einer anderen Person zu besorgen und das Foto auszutauschen. Der Nutzer des gefälschten Papiers schlüpfte dann in die Rolle des früheren Inhabers. Experten für das Erstellen von falschen Papieren waren die westdeutschen Terroristen der 1970er-Jahre und ihre Helfer.
1979 beschloss die von SPD und FDP geführte Bundesregierung ein Gesetz für einen neuen Personalausweis und leitete es dem Bundestag zu. Er hatte die Form der Kunststoffkarte, war kaum zu fälschen und elektronisch zu lesen. Das Projekt löste einen Aufschrei in den Medien und bei den Bürgern aus. Laut SPIEGEL jagte er den Datenschützern kalte Schauer über den Rücken; ein Leserbriefautor der „Süddeutschen Zeitung“ befürchtete gar die Mutation der Deutschen in ein Volk von wandelnden Steckbriefen.
1981 wurde der Plastikausweis aus finanziellen Gründen auf Eis gelegt. Erhalten blieb nur Renate Mustermann, deren Kopf für eine ominöse Passkarte warb. 1958 in Bonn geboren, trug sie schulterlanges Haar und war noch unverheiratet. Den neuen Personalausweis aber erbte die Regierung aus CDU, CSU und FDP, die 1982 die sozialliberale Koalition ablöste. Im Dezember 1982 verabschiedete der Bundestag das entsprechende Gesetz, und selbst die SPD stimmte zu. Die Harmonie sollte aber nicht von Dauer sein.
Die Achtziger brachten der Bundesrepublik nicht nur den Mikrocomputer, sondern auch ein verstärktes Bewusstsein für Datenschutz. Ein Auslöser war die Debatte um die 1983 geplante Volkszählung. Am 13. April des Jahres wurde diese vom Bundesverfassungsgericht gestoppt. Das erneuerte die Diskussion um den Personalausweis. Am 8. August 1983 beschwor der SPIEGEL die Totale Überwachung. Dagegen konnte auch die neue Erika Mustermann, geborene Gabler, mit ihrer modischen Frisur nichts ausrichten.
Ende 1983 definierte das Verfassungsgericht in seinem Volkszählungsurteil den Datenschutz neu. Das darin hervorgehobene Recht auf informationelle Selbstbestimmung machte ein neues Ausweisgesetz unausweichlich. In seiner endgültigen Form wurde es im April 1986 bekanntgemacht. Paragraph 1, Punkt 3, regelte die Maschinenlesbarkeit ; die Paragraphen 3 und 3a enthielten Passagen zum Datenschutz. In Kraft trat das Gesetz am 1. April 1987.
Seitdem leben wir mit fälschungssicheren und computerverständlichen Personalpapieren. 2010 schrumpften sie auf Scheckkartengröße und enthalten einen Chip für individuelle und biometrische Daten. Nähere Informationen vermittelt das Personalausweisportal; zur Ausweis-Mathematik weiß Wikipedia mehr. Frau Mustermann wurde älter und Berlinerin, und wegen der Biometrie lächelt sie lesende Scanner und kontrollierende Polizisten nun direkt von vorne an.