Jay W. Forrester (1918-2016)
Geschrieben am 22.11.2016 von HNF
Am 16. November starb im US-Bundesstaat Massachusetts der Ingenieur und Betriebswirtschaftler Jay Forrester. Sein Whirlwind war 1951 der erste Computer, der in Echtzeit rechnete. Der dafür entwickelte Kernspeicher beherrschte mehr als zwei Jahrzehnte die Speichertechnik. Als Management-Professor erfand Forrester die Systemdynamik. Auf seinen Konzepten basierte die Studie „Die Grenzen des Wachstums“, die 1972 Furore machte.
Jay Wright Forrester war vermutlich der einzige Computerpionier, der in einem Blockhaus aufwuchs und anderthalb Meilen zur Grundschule ritt. Zu größeren Einkäufen fuhr er 18 Meilen mit dem Pferdewagen. Als Teenager baute er eine Windmühle und schloss eine alte Auto-Lichtmaschine an. So kam seine Familie zum ersten Mal in den Genuss von elektrischem Strom.
Geboren wurde Jay Forrester am 14. Juli 1918 im Örtchen Climax in der Prärie von Nebraska. Seine Eltern betrieben Rinderzucht. Jay besuchte die High School im Städtchen Anselmo und studierte anschließend Elektrotechnik an der Universität seines Bundesstaats. 1939 wechselte er ans Massachusetts Institute of Technology MIT in Boston. Hier befasste er sich mit Servotechnik und Feedback-Systemen. 1945 machte er den Master und begann mit der Arbeit an einem analogen Flugsimulator.
Ein Jahr später wurde der analoge Ansatz zu den Akten gelegt. Im Digitalen Computerlabor leitete Jay Forrester nunmehr den Bau des Whirlwind, des ersten Elektronenrechners im MIT. Er enthielt 4.000 Röhren und arbeitete in Realzeit: Man konnte seine Resultate auf dem Monitor ablesen. Er verfügte außerdem über einen von Forrester erfundenen Magnetkernspeicher. Die Technik verbreitete sich schnell und war bis weit in die 1970er-Jahre der Standard für Arbeitsspeicher. Das Video von Ende 1951 zeigt Whirlwind in Aktion – man beachte das Weihnachtslied am Schluss.
Nach der Fertigstellung seines Wirbelwinds wurde Jay Forrester Chefentwickler für die Computer des SAGE-Projekts. Das landesweite System sollte einfliegende sowjetische Bomber entdecken und abwehren. SAGE wurde im Januar 1956 öffentlich gemacht. Die zugehörigen Rechner baute IBM nach den Vorgaben von Forrester. Der wechselte im Laufe des Jahres auf eine neue Stelle. Er wurde Professor an der Sloan School of Management, dem betriebswirtschaftlichen Institut des MIT.
Hier schuf Forrester die Systemdynamik, eine Methode zu Analyse und Simulation von Systemen mit vielfältigen In- und Outputs. Solche Simulationen nannte er auch Weltmodelle. Sie sind hochkomplexe Weiterentwicklungen der Regelkreise, die er als junger Ingenieur im Servolabor kennenlernte. Sie lassen sich nur mit Computern realisieren. Forrester verfasste drei Lehrbücher und ein viertes, das eher populär gefasst war. In Deutschland erschien es 1972 als „Der teuflische Regelkreis“.
Im gleichen Jahr machte ein anderes Buch die Systemdynamik weltweit bekannt. „The Limits to Growths“ fasste ein Projekt zusammen, das 1970 am MIT startete. Projektleiter war der junge Ökonom Dennis Meadows. Der Auftrag kam vom Club of Rome, das Geld von der Volkswagenstiftung. „Die Grenzen des Wachstums“, so der deutsche Titel, basierte auf der Software World3, die die ganze Erde simulierte. Die Vorläufermodelle World1 und World2 hatte Jay Forrester entworfen.
Die Hochrechnungen des MIT reichten von 1900 bis 2100 und untersuchten das Auf und Ab von fünf Werten: Erdbevölkerung, Industrieproduktion, Nahrungsversorgung, Rohstoffvorräte und Umweltverschmutzung. Aus vielen Einzelstudien schält sich eine Erkenntnis heraus: Nur wenn Pro-Kopf-Produktion und Bevölkerungszahl konstant bleiben und der Ressourcenverbrauch auf ein Viertel schrumpft, kann die Menschheit der Katastrophe entgehen. In allen anderen Fällen drohen im 21. Jahrhundert globale Hungersnöte und der Zusammenbruch der Industriekapazität.
Die Botschaft vom Nullwachstum hörte man rund um die Erde. „The Limits to Growth“ wurde in 37 Sprachen übersetzt und mehr als zwölf Millionen mal verkauft. 1973 erhielt der Club of Rome den Friedenspreis des deutschen Buchhandels. Während der Verleihung in der Frankfurter Paulskirche kämpften im Nahen Osten Israelis, Ägypter und Syrer im Yom-Kippur-Krieg. Im Winter 1973/74 folgte in der Bundesrepublik die Ölkrise mit autofreien Sonntagen und Tempo 100 auf allen Autobahnen.
Dennis Meadows und seine Co-Autoren trafen den Zeitgeist der frühen 1970er-Jahre, als in den USA und Europa die Ökologiebewegung anlief. Sie verknüpften zudem die Ausstrahlung weiser Männer – der Mitglieder des Club of Rom – mit dem Mythos vom unparteiischen und allwissenden Computer. „Die Grenzen des Wachtsums“ werden bis heute diskutiert. Wie kaum ein anderes Buch beeinflusste es die gesellschaftliche und politische Szene und trug zum Aufstieg der Grünen bei.
Jay Forrester war von der Aufregung nur wenig btroffen. Er lehrte weiter und nahm Auszeichnungen entgegen. 1979 erhielte er von der Universität Mannheim einen Ehrendoktor für politische Wissenschaft; 1982 bekam er den amerikanischen Computer Pioneer Award und 1989 die Nationale Technologiemedaille. Seine 76 Jahre als Forscher und Dozent des MIT dürften Rekord sein. Wie es scheint, blieb er bis ins hohe Alter geistig höchst aktiv und von schweren Krankheiten verschont. Er starb am 16. November 2016 in seinem Haus in Concord.
Die von Wang und Forrester erfundenen Magnetkernspeicher wurden manuell „gefädelt“. Diese Arbeit wurde unter der Lupe durchgeführt und erforderte besondere Fingerfertigkeit. Auch bei Nixdorf waren solche Fähigkeiten sehr gesucht. Am besten konnten – von Berufs wegen – Friseusen die Fädeldrähte durch die nur 0,25 – 1 mm großen Ringkerne manövrieren.
Von einer fast unglaublichen Fehlerquelle bei der Fertigung von Kernspeichern à la Forrester erzählte mir ein ehemaliger Produktionsleiter von Nixdorf.
Danach waren beim Fädeln von Magnetkernspeichern bei einigen Arbeiterinnen immer wieder unerklärliche Brüche in den Fädeldrähten aufgetreten. Der Gruppenleiter berichtete seinem Freund, dem Werksarzt von Nixdorf, beiläufig von diesem Malheur. Aber der hatte unerwartet eine Idee. Er schaute sich den Arbeitsplatz der betroffenen Frauen noch einmal an…und bat diese, doch einmal mit Handschuhen zu arbeiten. Und siehe: der Defekt trat nicht mehr auf! Der Werkarzt hatte den richtigen Verdacht entwickelt: alle Frauen mit dem Fehler waren schwanger. Es wurde im weiteren festgestellt, dass sich die Hautchemie in der Schwangerschaft verändert und die nur 0,15 bis 0,20 mm starken Kupferlackdrähte angreift.