Kathleen Booth – Jahrhundertfrau der Informatik
Geschrieben am 12.07.2022 von HNF
Sie ist nicht so bekannt wie Grace Hopper oder Ada Lovelace, am 9. Juli feierte sie aber den 100. Geburtstag: Kathleen Booth. 1922 nahe Birmingham geboren, arbeitete sie ab 1946 im Londoner Birkbeck College. Dort entwickelten sie und ihr Mann Andrew mehrere Computer. 1962 zogen sie nach Kanada. Bis 1978 lehrte Kathleen Booth an Hochschulen.
In den 1940er-Jahren war England führend im Bau von Computern. Rechner entstanden in Manchester, Cambridge, Harwell und London. Hier ging im Nationalen Physiklabor die Pilot ACE der Vollendung entgegen. Auch im Birkbeck College im Stadtteil Bloomsbury widmete sich ein Team der neuen Technik. Es umfasste den Physiker Andrew Booth und zwei junge Frauen. 1950 heiratete er eine von ihnen. Jetzt wurde Kathleen Booth hundert Jahre alt.
Zur Welt kam sie als Kathleen Britten am 9. Juli 1922 in Stourbridge, westlich von Birmingham. Sie studierte Mathematik in London; nach dem Bachelor-Examen 1944 arbeitete sie im Forschungsinstitut für Luftfahrttechnik in Farnborough. 1946 wechselte Kathleen Britten ins Birkbeck College der Universität von London. Ihr Chef Andrew Booth untersuchte vor allem Kristalle. Er bestrahlte sie mit Röntgenlicht; die dadurch erzeugten Beugungsbilder lieferten Aufschlüsse über die Kristallstruktur.
Booth wurde am 11. Februar 1918 geboren und wuchs in der Nähe von London als Sohn eines Ingenieurs auf. Er studierte Mathematik und Physik in Cambridge, London und Birmingham; 1944 schrieb er seine Doktorarbeit über Kristallographie, ein Jahr später erhielt er die Stelle im Birkbeck College. Seine Analysen erforderten viel Rechenarbeit; dazu schuf er mehrere Spezialrechner. 1946 konnte Andrew Booth Computerpioniere in den USA besuchen. Besonders interessierte ihn die Entwicklung der IAS-Maschine in Princeton.
1947 verbrachte Both noch einmal ein halbes Jahr im Institute for Advanced Study und studierte die Unterlagen zum geplanten Elektronengehirn. Mit von der Partie war seine Assistentin Kathleen Britten. Danach begann Booth den Bau eines Relaisrechners mit Von-Neumann-Architektur, des ARC oder Automatic Relay Computers. Die Hauptarbeit leisteten allerdings Kathleen Britten und ihre Kollegin Xenia Sweeting. Britten kümmerte sich auch um die Software. Im Eingangsbild ist Britten links zu sehen (Foto International Union of Crystallography).
Der Beitrag von Andrew Booth zur Hardware war der Trommelspeicher, ein mit Nickel überzogener Zylinder mit einem Durchmesser von fünf Zentimetern. Er fasste 256 Worte zu zwanzig Bit. Das Rechenwerk des ARC enthielt 800 Siemens-Relais, die Ein- und Ausgabe geschah per Fernschreiber. Aus Platzmangel wurde der Computer nördlich von London im Forschungsinstitut der britischen Gummi-Industrie BRPRA montiert. Die erste Vorführung fand am 12. Mai 1948 statt, genau sieben Jahre nach dem Start von Konrad Zuses Z3.
Das Jahr 1950 bescherte Kathleen Britten den Doktor in Mathematik und einen Ehemann in Gestalt von Andrew Booth. 1951 entstand der erste Elektronenrechner des Birkbeck College, der Simple Electronic Calculator SEC mit 230 Röhren. Er war die Magisterarbeit von Norbert Kitz, einem Studenten von Booth, und nicht praktisch einsetzbar. Der SEC diente aber als Grundlage für eine Rechnerfamilie namens APE(X)C („All Purpose Electronic Computer“). An die Stelle des X trat jeweils ein Buchstabe, der den Auftraggeber kennzeichnete.
Das erste Modell APE(R)C bekam 1953 ein Institut für Kunstfaserforschung – das R stand für Rayon. Es wies knapp 500 Röhren auf; seine Trommel speicherte 512 Worte von 32 Bit. In den nächsten Modellen wurde die Zahl der Elektronenröhren reduziert; sie gingen an das Birkbeck College, nach Norwegen und an die Fabrik von Andrew Booths Vater. Die British Tabulating Machine Company BTM brachte den APE(X)C als Hollerith Electronic Computer oder HEC in den Handel. Insgesamt wurden von ihm mehr als hundert Stück produziert.
In der Folgezeit bauten Booth und sein Vater den Magnetic Automatic Calculator MAC und drei Exemplare des Nachfolgers M.2. Es waren Röhrenrechner mit den Maßen eines Klaviers. Kathleen Booth widmete sich der Entwicklung von Software und dem Schreiben von Artikeln und Büchern; als ihr Hauptwerk gilt „Programming for an Automatic Digital Calculator“ von 1958. Im Jahr zuvor wurde das Computerlabor des Birkbeck College zum Department of Numerical Automation, der ersten Infomatik-Abteilung einer englischen Hochschule.
Andrew Booth hoffte nun auf die Einrichtung eines permanenten Informatik-Lehrstuhls. Als die Universität dies verweigerte, emigrierte er mit der Familie nach Kanada. 1962 erhielt er sofort eine Professur in der Universität von Sasketchewan, 1972 wurde er Präsident der Lakehead-Universität in der Provinz Ontario. Kathleen Booth lehrte an beiden Hochschulen. 1978 zog sich das Ehepaar aus der akademischen Welt zurück. Von Kathleen Booth ist bekannt, dass sie in den 1990er-Jahren zu neuronalen Netzwerken forschte. Eine Website des Birkbeck College zeigt sie und ihren Mann 2008: Bitte das Foto ganz unten anklicken.
Am 29. November 2009 starb Andrew Booth in seinem Wohnsitz an der kanadischen Pazifikküste. Hier ist er noch einmal in einem Video von 1976 zu sehen; außerdem erinnert ein Algorithmus an ihn. Kathleen Booth feierte am 9. Juli den hundertsten Geburtstag; wir gratulieren mit einigen Tagen Verspätung. Dieser Link führt zu einem Foto von ihr aus den frühen 1950er-Jahren, und das ist ein Programm, das sie 1947 als Kathleen Britten für den noch unrealisierten Relaisrechner ARC schrieb. Einen richtigen Informatik-Lehrstuhl erhielt das Birkbeck College übrigens im Jahr 1970.
Kathleen und Andrew Booth publizierten ein Buch über ihren Computer:
Automatic Digital Calculators, Butterworths Scientific Publications, London 1953. Dort ist ausführlich der technische Aufbau ihres APE(X)C beschrieben.