Nobelpreis für Mathematik

Geschrieben am 11.10.2024 von

Am 11. Oktober 1994 verkündete die schwedische Akademie der Wissenschaften den Preis der Nationalbank, auch bekannt als Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Er ging an die US-Forscher John Nash und John Harsanyi und den Bonner Professor Reinhard Selten. Alle drei widmeten sich der Spieltheorie. Damit wurden zum ersten Mal Forschungen zur Mathematik mit dem größten Wissenschaftspreis gewürdigt.

„Das Getöse dauert minutenlang. Etwa 500 Studenten klatschen, pfeifen und trommeln; sie schleudern bunte Ballons in die Luft und schwenken farbige Glückwunschtransparente. Alle jubeln, einer schweigt: Schleppenden Schrittes geht ein kleiner Mann mit schütterem Haar und Goldrandbrille zum Dozentenpult. … Ein knappes Dankeschön ringt sich der Gefeierte noch ab, dann beginnt die Vorlesung über Außenhandelstheorie.“

So schrieb der SPIEGEL vor dreißig Jahren. Der kleine Mann hieß Reinhard Selten, lehrte Volkswirtschaft an der Universität Bonn und hatte in seinem Fach den Nobelpreis erhalten. Das ist der populäre Name, die offizielle Bezeichnung lautet Alfred-Nobel-Gedächtnispreis der schwedischen Nationalbank für Wirtschaftswissenschaften; es gibt ihn seit 1969. Reinhard Selten war 1994 nicht der einzige Gewinner. Ausgezeichnet wurden ebenso der amerikanische Mathematiker John Nash und der in Budapest geborene und in Berkeley tätige Ökonom John Harsanyi.

John Nash (Foto Peter Badge/Typos1 CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten)

Die Mitteilung der schwedischen Akademie der Wissenschaften – sie wählt jedes Jahr die Preisträger aus – erläuterte die Hintergründe der Verleihung. Demnach machten sich die drei Forscher um die Untersuchung von Gleichgewichten in nichtkooperativen Spielen verdient. Sie behandelt die Spieltheorie, die Analyse von zielgerichtetem Verhalten vor allem in der Marktwirtschaft. Ein nichtkooperatives Spiel umfasst zwei oder mehr Parteien, die durch Feedback-Prozesse verbunden sind; ein Gleichgewicht ist eine Spielsituation, in der eine Partei eine ihr günstig erscheinende Strategie verfolgt.

Der Erfinder des spieltheoretischen Gleichgewichts befand sich unter den Preisträgern. John Nash kam 1928 im US-Bundesstaat West Virginia zur Welt; der Vater war Elektroingenieur, die Mutter Lehrerin. Er studierte Chemie in Pittsburgh, wechselte dann aber zur Mathematik. 1950 vollendete er in der Universität Princeton seine nur 27 Seiten starke Dissertation über nichtkooperative Spiele. Sie beschrieb das später nach ihm benannte Nash-Gleichgewicht. Von 1951 an war er am Massachusetts Institute of Technology tätig.

Wer den Film A Beautiful Mind sah oder das zugrunde liegende Buch las, weiß von der psychischen Krankheit, unter der Nash ab 1959 litt. Er konnte sie mit der Zeit überwinden und auch wieder wissenschaftlich arbeiten. Der Nobelpreis machte ihn international bekannt, der Hollywood-Streifen weltberühmt. John Nash war einige Male in Deutschland; er starb 2015 mit seiner Frau bei einem Autounfall. Auf seinen Leistungen in der Spieltheorie bauten die beiden anderen Preisträger von 1994 auf, John Harsanyi und Reinhard Selten.

John Harsanyi (Foto University of California Berkeley Wikipedia Fair Use)

Harsányi János – das ist die ungarische Schreibweise des Namens – wurde 1920 als Sohn eines Apothekers in Budapest geboren; er besuchte dasselbe Gymnasium, das zuvor John von Neumann absolvierte. 1944 entkam er der Judenverfolgung der Nazis in Ungarn. Nach Kriegsende machte er den Doktor in Philosophie, doch der Stalinismus im Land trieb ihn 1950 in die Emigration. In Australien studierte John Harsanyi Wirtschaftswissenschaften und entdeckte die Spieltheorie. Er erhielt auch eine Dozentenstelle, zog 1961 aber in die USA.

Er lehrte in Detroit und ab 1964 an der Universität von Kalifornien in Berkeley. Dort untersuchte er Spiele, in denen eine Partei von anderen Teilnehmern nur beschränktes Wissen besitzt. Die Forschung brachte ihm später den Nobelpreis ein. Er befasste sich außerdem mit Ethik. 1967 traf Harsanyi in den USA seinen deutschen Kollegen Reinhard Selten, zu dem wir gleich mehr sagen. Daraus entstand eine fruchtbare Zusammenarbeit; ein Beispiel ist dieser Aufsatz von 1972. John Harsanyi starb im Jahr 2000 in Berkeley,

Damit sind wir beim Nobelpreisträger Nr. 3. Reinhard Selten erblickte 1930 in Breslau das Licht der Welt; sein Vater betrieb einen Lesezirkel. Mit vierzehn musste er das Gymnasium verlassen, denn im Sprachgebrauch der Zeit war er Halbjude. 1945 glückte der Familie die Flucht vor der Roten Armee; das Abitur legte Selten in Hessen ab. Er studierte in Frankfurt Mathematik und Volkswirtschaft und erhielt eine Assistentenstelle sowie einen Lehrauftrag. Nach der Habilitation in Volkswirtschaft 1968 bekleidete er Professuren in Berlin, Bielefeld und Bonn. Reinhard Selten starb 2016 in Posen, dem polnischen Poznań.

Reinhard Selten vor dem HNF (Foto: Jan Braun/HNF)

In seinen Arbeiten zur mathematischen Spieltheorie verfeinerte Selten die Konzepte von John Nash; er erfand das teilspielperfekte Gleichgewicht und das perfekte Gleichgewicht der zitternden Hand. Darüber hinaus befasste er sich mit ökonomischen Simulationen und mit Entscheidungen von begrenzter Rationalität. Der Urheber dieses Forschungsfeldes, der Amerikaner Herbert Simon, machte sich auch einen Namen in den Anfängen der Künstlichen Intelligenz. 1978 erhielt er seinen wirtschaftswissenschaftlichen Nobelpreis.

Ökonomie hat immer mit Zahlen zu tun, die Nobel-Auszeichnungen von Selten, Nash und Harsanyi möchten wir dennoch die ersten für Mathematik nennen. 2005 wurde der 1930 in Frankfurt geborene und 1938 vor den Nazis geflohene Spieltheoretiker Robert Aumann geehrt. Der wichtigste Mathematikpreis ist natürlich die alle vier Jahre vergebene Fields-Medaille, hier gab es mit Gerd Faltings und Peter Scholze zwei deutsche Träger. 2002 lobte die norwegische Akademie der Wissenschaften den jährlich verliehenen Abelpreis aus

Eingangsbild © Nobel Prize Outreach. Photo: Clément Morin

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2 Kommentare auf “Nobelpreis für Mathematik”

  1. Erhard Anthes sagt:

    Im Wintersemester 1966/67 hatte ich die Gelegenheit, die Vorlesung Mathematik für Wirtschaftswissenschaftler (Spieltheorie) von Reinhard Selten an der Uni Frankfurt zu besuchen. Er war damals Privatdozent. Ich habe noch eindrückliche Erinnerungen an den zurückhaltenden Menschen. Seine Vorlesung hat mich beeindruckt und mich veranlasst, das Buch von Neumann/Morgenstern, Spieltheorie und wirtschaftliches Verhalten (1961) zu kaufen und z.T. durchzuarbeiten. Mich hat es sehr gefreut, als die Nachricht von der Zuerkennung des Nobelpreises durch die Presse ging.

    1. Leider habe ich beim Nobelpreis für Mathematik gleich dreimal Pech gehabt. Erstens gibt es den gar nicht. Zweitens habe ich beim Foto von Reinhard Selten neben diesem gestanden, bin aber raus geschnitten worden. Mein Termin mit John Nash in Düsseldorf – im Rahmen eines Abendessens in großer Runde – endete für mich schon in einem stundenlangen Stau in Dortmund. Es hätte nicht einmal zum Nachtisch gereicht. Und meine lange überlegten Fragen konnte ich auch knicken

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