Videospiele: Körting macht’s möglich
Geschrieben am 27.02.2024 von HNF
Ältere Leser und Leserinnen unseres Blogs kennen noch die großen Versandhäuser. Sie boten auch Radios, Fernseher und Heimcomputer an. Die Firmen griffen oft auf Hausmarken zurück, man denke etwa an die Privileg-Produkte von Quelle. Der Konkurrent Neckermann verschickte Unterhaltungselektronik des Herstellers Körting; er saß im oberbayerischen Grassau. In den 1970er-Jahren fertigte Körting ebenso Spielkonsolen.
Vor den Heimcomputern kamen die Spielkonsolen. Die erste namens Odyssee war 1973 in der Bundesrepublik erhältlich, sie stammte aus Amerika und besaß analoge Elektronik. 1977 stellte der niederländische Philips-Konzern ein Tele-Spiel mit integrierten Schaltkreisen vor. Die teils analogen, teils digitalen Spiele der Kölner Firma Interton schilderten wir im Blog.
Damals brachte noch eine andere deutsche Firma elektronische Spielgeräte heraus. Die Körting Radio Werke fertigten seit 1951 Rundfunkempfänger und anschließend Fernseher in Grassau am Chiemsee. Sie gingen auf die Dr. Dietz & Ritter GmbH zurück, die 1925 in Leipzig gegründet wurde. An ihr beteiligte sich die Lampenfabrik Körting & Mathiesen. Ab 1932 bauten Dietz & Ritter Radios der Marke Körting. Im Krieg erfolgte die Verstaatlichung und 1948 die Enteignung. Der einstige Inhaber Oswald Ritter setzte sich nach Westen ab.
1951 wagte Ritter den Neubeginn in Grassau, er zog sich jedoch bald aus der Firma zurück. Ab 1954 belieferten die Körting Radio Werke das Versandhaus Neckermann in Frankfurt am Main; es nahm die Geräte in seine Kataloge auf und verkaufte sie weiter. In jenem Jahr kostete ein Körting-Fernseher 648 DM, 1955 nur noch 548 DM. 1967 war der Farbempfänger „Weltblick color Supermatic“ für 1.990 DM erhältlich. Die im Vergleich zur Konkurrenz geringen Preise bedeuteten keine Einbußen an Qualität. 1973 setzten die Radio Werke 320 Millionen DM um; am Chiemsee arbeiteten 2.300 Menschen.
Im Herbst-Winter-Katalog von 1977/78 erschienen dann Körting-Spielkonsolen. Das Video zeigt ab Minute 5:15 die betreffenden Seiten – bitte das kleine Quadrat rechts unten im YouTube-Fenster anklicken! Wir beschränken uns auf die preiswerteste Version rechts oben und die teuren links und rechts unten. Erstere trug den Namen Tele-Multiplay und kostete 88 DM. Der Hinweis auf eine Preissenkung lässt vermuten, dass sie schon vorher verfügbar war, wahrscheinlich im Sommer 1977.
Zur Konsole gehörten Drehregler, mit denen zwei User gegeneinander antreten konnten. Möglich war auch ein Solitärspiel, zu den vier Programmen zählte ein Trainingsmodus. Die übrigen drei Programme entsprachen Tennis, Squash und Hockey oder Fußball. Im Inneren der Konsole steckte ein Mikrochip AY-3-8500 der US-Firma General Instrument. Er enthielt Pong-ähnliche Spiele und wurde in der Games-Branche oft eingesetzt. Wir entdeckten ihn unter anderem in der Interton-Konsole Video 2400 und im Bildschirmspiel 01 aus der DDR.
Der große Bruder des Multiplay hieß Tele-Multiplay 8000 und war für 228 DM zu haben. Sein General-Instrument-Prozessor AY-3-8600 zauberte acht Ballspiele auf den Fernseher, die vor einem grünen Hintergrund abliefen. Gesteuert wurde er mit Schiebereglern. Das Design der Konsole treffen wir im Tele-Multiplay 4000 und 6000 wieder. Sie boten vier Games an und auf Wunsch ein Schießspiel. Unser Eingangsbild zeigt die Version 4000 mit Tennis, Fußball, Squash und Pelota, einem halbierten Squash. Neckermann nannte für sie einen Kaufpreis von 149 DM.
Der Katalog 1977/78 zeigte neben den Körting-Spielen ein Palladium Tele-Match 4000; man erkennt es ganz gut in der Mitte der Seite. Es ist unbekannt, ob es gleichfalls aus Grassau stammte oder von einem anderen Zulieferer erstellt wurde. Fest steht, dass der Katalog vom Sommer 1978 nur noch Palladium-Spiele aufwies; die Marke Körting war verschwunden. Die Screenshots – bitte zu Minute 6:30 des Videos gehen – verraten aber, dass es sich um die bekannten Pong-Versionen handelte.
Das änderte sich im nächsten Herbst-Winter-Katalog. Ende 1978 schmückte der Name Palladium eine ganz neue Konsolen-Generation. Das Tele-Cassetten-Game Color wurde mit einsteckbaren Modulen gefüttert, die mehrere Spiele mitbrachten. Jedes Modul enthielt einen General-Instruments-Chip mit der zugehörigen Software; die grafische Qualität hatte sich gebessert. Wer sich für die Details interessiert, möge dieses und dieses Video aufrufen. Schöne Fotos von Körting-, Palladium- und anderen Konsolen finden sich hier und hier.
Was wurde aus den Körting Radio Werken? Sie steckten schon 1977 einen Tiefschlag ein. Am 21. November kündigte Neckermann den Liefervertrag. Am 22. Februar 1978 stellte Körting beim Amtsgericht den Insolvenzantrag, am 9. Juli kam der Konkurs. Am 1. September 1978 übernahm der jugoslawische Hersteller Gorenje die Firma. Die lahme Konjunktur und die japanische Konkurrenz ließen der Kooperation kaum Chancen. Am 31. März 1983 schloss die Gorenje Körting Elektronik GmbH & Co. KG die Werkstore. Das Versandhaus Neckermann hielt bis Juli 2012 durch, dann war auch hier nichts mehr möglich.