Von der Rotoskopie zum Motion Capture
Geschrieben am 13.08.2021 von HNF
Wer heute am Computer oder an der Game-Konsole Fußball spielt, der erlebt eine alte Technik. 1915 erfand der Amerikaner Max Fleischer die Rotoskopie. Dabei entsteht aus Filmbildern eine Animation. Die Rotoskopie führte in den 1980er-Jahren zum Motion Capture. Hier werden mit Markierungen oder durch Mustererkennung Körperbewegungen erfasst. Die Daten bilden dann die Grundlage für Computerspiele.
Es begann in den 1890er-Jahren. Thomas Edison in den USA und die Brüder Lumiere in Frankreich drehten die ersten Filme; Menschen, Tiere und Sensationen lebten von nun an auf Zelluloid weiter. 1892 führte Émile Reynaud in Paris Animationen vor; die Bilder trug er direkt auf den Filmstreifen auf. Sein Landsmann Émile Cohl schuf 1908 den modernen Trickfilm. Für seine „Phantasmagorie“ fertigte er von Hand 700 Zeichnungen an, die er einzeln mit der Kamera aufnahm.
Der 1883 in Krakau geborene und ab 1887 in New York lebende Max Fleischer verband die Techniken. 1915 meldete er eine Methode zum Erzeugen von Zeichentrickfilmen zum Patent an. Dabei werden die Bilder eines Realfilms abgezeichnet und liefern eine Animation. Die Rotoskopie ist in der Branche bis heute präsent. Wir finden sie etwa in den Siebzigern bei der Verfilmung der Romantrilogie „Der Herr der Ringe“ und in Gestalt der Laserschwerter im „Krieg der Sterne“. Max Fleischer starb 1972 in Los Angeles.
In den 1980er-Jahren setzten Entwickler von Computerspielen rotoskopische Verfahren ein. So diente 1988 das englische Fotomodell Corinne Russell als Vorbild für die Hauptfigur des Spiels „She-Fox“; außerhalb Deutschlands hieß es „Vixen“. Die junge Frau sprang und turnte zwei Tage lang im hautengen Trikot vor der Videokamera; die Resultate gingen in die Pixel der Heldin ein. 1989 entstand in ähnlicher Weise „Prince of Persia“ – hier ist ein Making-of. Das Duell basiert allerdings auf dem amerikanischen Robin-Hood-Film von 1938.
Weitere Rotoskopie-Spiele waren 1991 „Another World“ und 1992 „Flashback“. Dann wurden die Computer und Konsolen immer leistungsfähiger und die Spielfiguren immer natürlicher. Die Designer hielten Ausschau nach neuen Techniken, um reale in digitale Körperaktionen umzuwandeln; sie fanden das Motion Capture. Die Bewegungserfassung, wie die deutsche Übersetzung lautet, geschah zunächst durch Markierungen, die auf den menschlichen Akteuren saßen, in der Regel Kügelchen oder LEDs.
Die Wege der Markierungen im Raum wurden mit Kameras verfolgt. Durch Triangulation ergaben sich die Bewegungsdaten. Sie lieferten dreidimensionale Modelle im Computer; diese bildeten wiederum die Grundlage für die Figuren des Spiels. Das erste so erzeugte Game war 1994 „Virtual Fighter 2“ von Sega. 1995 folgte von der Firma Namco „Soul Edge“, das in Europa den Titel „Soul Blade“ trug. Dieses Video zeigt die Dynamik des Spiels, doch sind die Proportionen der handelnden Personen gewöhnungsbedürftig.
2008 agierte die virtuelle Archäologin Lara Croft mit Hilfe von Motion Capture. Im Spiel „Tomb Raider Underworld“ führte sie die Bewegungen der amerikanischen Stuntfrau Heidi Moneymaker aus. 2013 trat an ihre Stelle die Engländerin Camilla Luddington; sie stellte Lara in drei Spielen dar. Zu „Rise of the Tomb Raider“ von 2016 gibt es ein Video. Darin erkennen wir gut die Punkte im Gesicht der Schauspielerin, die zur Erfassung der Mimik dienten. Das Verfahren wird allgemein als Performance Capture bezeichnet.
Lara Crofts Abenteuer verdeutlichen die künstlerische Annäherung von Gaming und Kino, denn auch Hollywood schätzt das Motion Capture. Hier ist eine Auflistung von Filmen. Das wichtigste Einsatzfeld bei Computerspielen dürfte die Fußballsimulation sein; viele Stars des runden Leders standen mittlerweile vor den Motion-Capture-Kameras. Marktführer ist die US-Firma Electronic Arts mit der höchst erfolgreichen FIFA-Serie. Programmiert werden die Spiele von einem Studio in Kanada. Mehr erzählt ein Artikel aus dem Jahr 2018.
Dank der Fortschritte in der Mustererkennung kommt das Motion Capture heute ohne Markierungen aus. Ein Beispiel ist diese Aufnahme des britischen Schiedsrichters Mike Dean. Die Bewegungserfassung wird außerdem für echtes Training eingesetzt; einer von mehreren System-Anbietern sitzt in Kloten bei Zürich. Eine Motion-Capture-Datenbank für Tänze besitzt die Universität von Zypern. Wer aber den Haushund in einem Computerspiel verewigen möchte, sollte sich an die Universität im englischen Bath wenden.