Vor 50 Jahren: Unsere Welt live
Geschrieben am 20.06.2017 von HNF
Am 25. Juni 1967 strahlte das Fernsehen in 14 Ländern dasselbe Programm aus: „Unsere Welt“ Möglich machten es geostationäre TV-Satelliten. Federführend war die BBC, und auch die ARD nahm teil. Die Sendung zeigte live das Leben und Treiben der Menschen, dazu Kultur- und Sportereignisse. Höhepunkt war die Premiere des Beatles-Songs „All you need is love“.
Wenn man einen Satelliten 35.786 Kilometer über dem Äquator installiert, dann umkreist er in 24 Stunden die Erde. Er folgt der Erdrotation und steht von unten gesehen am Himmel still. Der erste geostationäre Satellit war 1964 der amerikanische Syncom 3. Er schwebte über dem Pazifik und diente als Relaisstation für Fernsehsendungen. Sie wurden in Japan hochgeschickt und vom Syncom empfangen. Er verstärkte die TV-Signale und strahlte sie hinunter nach Kalifornien.
Ab 1965 wurden weitere Fernsehsatelliten ins All geschossen. Im Blog schrieben wir bereits über den Intelsat I. 1966 startete die NASA den ATS-1, 1967 folgten zwei Trabanten der Intelsat-II-Serie. Während die amerikanischen Satelliten über Atlantik und Pazifik funkten, wählte die Sowjetunion einen anderen Weg. Ihr Molnija-1 umrundete ab 1965 auf einer langgestreckten Bahn zweimal täglich die Erde. Dabei flog er acht Stunden hoch über der UdSSR. In dieser Zeit übertrug er Sendungen von einem Ende des Landes zum anderen.
Die Nachrichtensatelliten brachte Aubrey Singer auf eine Idee. Der 1927 geborene Engländer war in der BBC für Fernseh-Features zuständig; er produzierte auch Filme über Wissenschaft und Technik. Am 9. Dezember 1965 schlug Singer dem sowjetischen TV-Korrespondenten Genrich Trofimenko ein gemeinsames Projekt vor. Fernsehanstalten aus Ost und West erstellen die Abschnitte einer Live-Sendung und leiten sie per Satellit in die übrigen Länder weiter. Das gesamte Programm würde dann Hunderte Millionen Zuschauer erreichen.
Das sowjetische Staatsfernsehen nahm Singers Vorschlag positiv auf. Die Planung zog sich über Monate hin, am Ende einigte man sich auf den Sendetermin 25. Juni 1967, 19 Uhr englische Zeit. Der Titel lautete „Our World“ – unsere Welt. Neben der BBC beteiligten sich dreizehn westliche Rundfunkanstalten, darunter auch die ARD. Ausführender Sender war der WDR. Die UdSSR brachte das Fernsehen der CSSR, der DDR und von Polen und Ungarn ins Projekt. Die Oberaufsicht hatte die Europäische Rundfunk-Union EBU in Brüssel.
Thema der Sendung war der Mensch, wie er lebt, arbeitet, sich vergnügt, kulturelle Werke schafft, Musik macht und Sport treibt. Politiker mussten draußen bleiben. Eine Vorschau auf die Mondovision brachte der SPIEGEL am 19. Juni 1967. Interessant ist der Hinweis auf den Beitrag der DDR: der Deutsche Fernsehfunk plante einen Besuch im „Observatorium von Jena“. Wir vermuten hier eher die Sternwarte im nahe gelegenen Tautenburg, die seit 1960 ein Teleskop mit einem Zwei-Meter-Spiegel besaß.
Aus dem Besuch wurde aber nichts. Am 21. Juni zogen sich die Sowjets aus der Sendung zurück und mit ihnen die vier Ostblock-Sender. Grund war der am 10. Juni 1967 beendete Sechstagekrieg, in dem Israel die Länder Ägypten, Jordanien und Syrien besiegt hatte. Das Moskauer Staatsfernsehen warf den USA eine Verschwörung gegen die arabischen Völker vor. Andere Unsere-Welt-Länder aus dem Westen hätten eine Verleumdungskampagne gegen die Araber und gegen die sozialistische Friedenspolitik betrieben.
Die BBC und Aubrey Singer machten dann mit dreizehn Partnern weiter. Am Sonntag, dem 25. Juni 1967, konnten die deutschen Fernsehzuschauer kurz nach 20 Uhr – einer Stunde zeitverschoben zu England – unsere Welt sehen. Nach den Wiener Sängerknaben hörten sie neugeborene Babys in Japan, Dänemark, Mexiko und Kanada. Erwachsene tauchten in einer Sequenz aus einem Stahlwerk in Linz auf. Danach ging es in schnellen Schnitten über die Autobahnen von Paris, in den Basar von Tunis und auf spanische Fischerboote.
Nun sprang „Unsere Welt“ über den Atlantik ins Städtchen Glassboro südlich von Philadelphia. Hier trafen sich gerade US-Präsident Lyndon B. Johnson und der sowjetische Premierminister Alexei Kossygin. Die Kameras des BBC-Partners NET zeigten aber nur die eindrucksvolle Medientechnik der großen US-Networks. Nächste Station war eine Ranch in Kanada, wo ein Cowboy das „Cutting“ demonstrierte; er musste dabei ein junges Rind von der Herde absondern. Auf die Prärie folgte die kanadische Pazifikküste, an der man den Bürgern beim Baden zuschauen konnte.
In diesem leicht hektischen Stil lief die ganze, rund zwei Stunden dauernde Sendung ab. Kleine Highlights waren Aufnahmen zum Film „Romeo und Julia“, die online erhalten sind, und ein leider missglückter Weltrekordversuch der kanadischen Meisterschwimmerin Elaine Tanner. Auch der zweite italienische Beitrag hatte mit Sport zu tun: Man sah die seinerzeit sehr bekannten Springreiter Piero und Raimondo D’Inzeo beim Training. Kulturschwer fiel der deutsche Abschnitt aus, eine Probe der Wagner-Oper Lohengrin in Bayreuth.
Den Höhepunkt sparte sich die BBC für den Schluss auf: Die Uraufführung des Songs „All You Need Is Love“ von und mit den Beatles. Ihr Beitrag passte perfekt in den damaligen Sommer der Liebe, und John, Paul, George und Ringo waren auf dem Gipfel ihrer Kunst. Im Video erkennt man mit Schlips und weißem Hemd den Beatles-Produzenten George Martin sowie gegen Ende Mick Jagger von den Rolling Stones. Das Lied erschien einen Monat später auf Platte und eroberte die Spitze der Hitparaden.
2017 ist das Programm nur noch fragmentarisch zu erleben. Neben den erwähnten Clips liegt online der Anfang der australischen Version vor. Die ersten zehn Minuten enthalten die dort ausgestrahlte Einführung; danach kommen zwanzig Minuten des internationalen Teils. In Australien entstand außerdem unser Eingangsbild (Foto CSIRO CC BY 3.0). Es zeigt einen der Drehorte, das riesige Parkes-Radioteleskop. Der Himmel ist dunkel, denn down under wurde „Unser Welt“ am frühen Morgen des 26. Juni 1967 ausgestrahlt.
Vor fünfzig Jahren war Fernsehen das modernste Medium. „Unsere Welt“ erschien als Zeichen einer neuen Zeit. Durch diverse Ereignisse gewöhnte sich das Publikum aber schnell an globale Satellitensendungen. Schon im Oktober 1968 wurden die Olympischen Spiele in Mexiko live übertragen; im Juli 1969 sahen eine halbe Milliarde Menschen die Landung von Neil Armstrong und Edwin Aldrin auf dem Mond. Unten auf der Erde erreichte „Unsere Welt“ 400 Millionen Zuschauer, was auch eine ganz gute Quote war.