Wahlnacht mit Computer

Geschrieben am 21.02.2025 von

Am Sonntag gibt es wieder eine Bundestagswahl. Direkt nach Schließung der Wahllokale wird das Fernsehen eine Prognose zum Ergebnis verkünden, später am Abend folgen mit Computerhilfe erstellte Hochrechnungen. Die erste Wahlnacht, in der Elektronenrechner mitwirkten, fand 1952 in den USA statt. 1959 zeigten die BBC und der private TV-Kanal ITV Computer in Sendungen zur Unterhauswahl.

„Kannst Du etwas sagen, UNIVAC?“ Diese Frage stellte Charles Collingwood, ein Moderator des Fernsehnetzwerks CBS, am 4. November 1952 in der Livesendung zur amerikanischen Präsidentenwahl. Sie ging gegen 8.20 Uhr abends an eine blinkende Computerkonsole im New Yorker CBS-Studio, der echte UNIVAC stand derweil beim Hersteller in Philadelphia. Ein Fernschreiber neben der Konsole war mit ihm verbunden, er sagte aber wenig. Er tippte nur einen kurzen Gruß und keinerlei Prognose zum Gewinner der Wahl.

Die lieferte zwei Stunden später der kleinere Elektronenrechner Monrobot im Studio des Networks NBC. Ihm zufolge hatte General Dwight D. Eisenhower von den Republikanern den demokratischen Rivalen Adlai Stevenson haushoch geschlagen. Später stellte sich heraus, dass das auch schon der UNIVAC wusste, doch das CBS-Team in Philadelphia wagte nicht, das Resultat nach New York durchzugeben. Für Details verweisen wir auf diesen Vortrag von 2024 im Computer History Museum, Collingwood kommt bei Minute 21:00, der Monrobot erscheint bei Minute 30:00.

So begann die Geschichte der computergestützten Hochrechnungen, die auf der Basis von teilweise ausgezählten Stimmzetteln das Resultat einer wichtigen Wahl prophezeiten. Der europäische Pionier war die BBC. Für die Unterhauswahl vom 26. Mai 1955 mietete sie einen Röhrenrechner des Typs DEUCE; er basierte auf der von Alan Turing konzipierten Pilot ACE. Die DEUCE stand in Stafford bei der Firma English Electric und schickte ihre Daten per Kabel nach London. Wie es scheint, wurden sie aber nur vom BBC-Radio genutzt.

Der erste Wahlcomputer in Europa war eine DEUCE ähnlich diesem System in Norwegen.  (Foto Leif Ørnelund, Oslo Museum CC BY-SA 4.0 seitlich beschnitten)

Das änderte sich vier Jahre später. Zur Unterhauswahl vom 8. Oktober 1959 schaffte die BBC eine Elliott 402F ins Fernsehstudio; man sieht „Ella“ in diesem Videoclip. Sie half dem Team, das den Swingometer bediente; der Zeiger deutete das Wahlergebnis an. Der private Konkurrent der BBC, der Kanal ITV, mobilisierte eine DEUCE. Ein dritter Elektronenrechner, ein Ferranti Pegasus, arbeitete in der Wahlnacht für die Zeitung „Guardian“. Dazu erschien später ein Artikel in einer Fachzeitschrift.

Die Wahlen von 1955 und 1959 gewannen die Konservativen, bei der nächsten Entscheidung am 15. Oktober 1964 siegte die Labour-Party. Im Fernsehstudio verwendete die BBC damals eine transistorbestückte Elliott 803, das Radio hatte Zugriff auf eine ebenso ausgestattete IBM 7094. Am 3. November 1964 folgte eine amerikanische Präsidentenwahl. CBS griff diesmal zu einer IBM 7010; man sieht sie ab Minute 19:45 im Video. Der Wahlsieger kam von den Demokraten und hieß Lyndon B. Johnson.

Ob bis 1964 noch weitere Länder Computer-Hochrechnungen erlebten, wissen wir leider nicht. Am 19. September 1965 fand dann die erste Bundestagswahl mit jener Technik statt. Nachtragen können wir einen Bericht über das Institut für angewandte Sozialwissenschaft in Bad Godesberg, das im Auftrag des WDR den Computer betrieb. Die IBM 1620 gab zweieinhalb Stunden nach Schließung der Wahllokale den Gewinner bekannt, den amtierenden Bundeskanzler Ludwig Erhard.

Die Konsole einer IBM 1620 mit einem Plotter – dieses System stand in den Niederlanden.

Der WDR schlug damit die Canadian Broadcasting Corporation CBC. Sie strahlte erst im November 1965 eine Computerwahl aus, allerdings schon in Farbe. Das Jahr 1966 brachte hochgerechnete Wahlnächte in Österreich und erneut in Großbritannien sowie in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Bayern. 1967 entstand eine Wochenschau mit Computer bei der niederländischen Parlamentswahl, 1968 wurden die Entscheidungen in Belgien und in Schweden digitalisiert. Ein Video von 1970 zur Nationalratswahl in Österreich zeigt den „Hochrechner der Nation“, den Statistikprofessor Gerhart Bruckmann.

Ein Bericht aus dem Bundestagswahlkampf 1972 führte zum wohl ersten Fernsehauftritt von Heinz Nixdorf; wir sehen ihn bei Minute 5:35 zusammen mit SPIEGEL-Chef Rudolf Augstein und Innenminister Hans-Dietrich Genscher. Augstein kandidierte für die FDP in Paderborn, rückte auch über die Landesliste ins Parlament ein, verließ es jedoch bereits nach drei Monaten wieder. Nixdorf-Computer haben vermutlich nie an politischen Hochrechnungen mitgewirkt, das HNF präsentierte aber 2017 eine Foyer-Ausstellung zu Wahlmaschinen.

Unser Eingangsbild zeigt keine Wahlmaschine zur Stimmabgabe, sondern eine UNIVAC-Konsole ähnlich der, die bei der legendären Wahlnacht von 1952 zum Einsatz kam (Foto National Museum of American History, Smithsonian Institution).

Tags: , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , , ,

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Wir stellen diese Frage, um Menschen von Robotern zu unterscheiden.