Wenn der Dichter am Computer sitzt

Geschrieben am 23.10.2015 von

Vor seiner Ausstellung im Jahr 1987 zur Literatur im Industriezeitalter fragte das Deutsche Literaturarchiv in Marbach knapp 100 Lyriker, Dramatiker, Drehbuch- und Prosaautoren, ob sie ihre Texte schon am Computer schreiben würden. Das Resultat der Umfrage vermittelt uns einen amüsanten Blick in die Frühzeit der Textverarbeitung, als Stift, Schreibmaschine und PC noch hart miteinander konkurrierten.

Der Philosoph Friedrich Nietzsche kämpfte noch mit einer Schreibkugel, wie in einem früheren Beitrag dieses Blogs geschildert, und gab nach anderthalb Monaten entnervt das Tippen auf. 1987 war die Schreibmaschine hochentwickelt und narrensicher, doch eine andere Neuerung auf dem Markt: der Personal Computer mit Textverarbeitung. Damit konnte man Artikel und Bücher produzieren, vorausgesetzt, man besaß Datenspeicher und Drucker.

In jenem Jahr lud das Deutsche Literaturarchiv in Marbach am Neckar zu einer Ausstellung „Literatur im Industriezeitalter“ ein, die mit einer Fülle von Unterlagen zeigte, wie im 19. und 20. Jahrhundert Dichter, Dramatiker und Schriftsteller die Technik sahen. Vor ihrem Start hatte das Archiv an die 100 Autoren kontaktiert und gefragt, ob sie dem Nietzsche-Spruch „Unser Schreibzeug arbeitet mit an unseren Gedanken“ zustimmen würden, ob sie selbst schon einen PC nutzten und wenn ja, ob er den Schreibprozess verändert hätte.

Auf die Umfrage gingen 48 Antworten ein, 37 von Männern und 11 von Frauen, die in der Ausstellung auf einem PC-Monitor angezeigt, aber auch ganz klassisch im zweiten Band des Katalogs abgedruckt wurden. In unserem Rückblick beschränken wir uns auf die Antworten zur zweiten Frage, der nach dem Computer, und es sei schon verraten, dass die Literaten des Jahres 1987 alle drei möglichen Techniken verwendeten, Handschrift, Schreibmaschine und Textverarbeitung.

Lesenswert sind natürlich die temperamentvollen Ablehnungen des elektronischen Schreibens, etwa durch Lothar-Günther Buchheim („Personal Computer? Um Gotteswillen, nein!“), Heike Doutiné („Nein! Das Personal und der Computer bin ich selbst“), Walter Jens („Also kein Diktaphon und schon gar keine PCs – da macht mir schon der Name Angst.“) oder Johannes Mario Simmel („Nein. Die blasse Vorstellung ist mir entsetzlich.“). Und Eva Demski, Witwe eines Strafverteidigers, fand „das Grün der Buchstaben so verwesungsartig“.

Mancher Autor bzw. Autorin drückte sich bei seiner/ihrer Computerkritik neutral aus, so Gabriele Wohmann („Grund: Die Macht der Gewohnheit“), Karl Krolow („Ich fühle mich unterlegen und hilflos.“) oder Michael Krüger („Ich bin altmodisch und schreibe wenig.“). Mancher verfasste schöne Sprüche wie Curt Meyer-Clason („Die hinter der undurchlässigen Scheibe flirrenden, körper- und geschlechtslosen Buchstaben befremden mich.“) oder Oskar Pastior („Für ein tüftelndes Arbeiten mit und an und in der Sprache scheint mir der PC nicht zu taugen.“).

Andere gaben pekuniäre Gründe für den Nichtgebrauch eines Computers an, zum Beispiel Barbara Bronnen („mir fehlen die zehntausend Mark!“) oder Sten Nadolny („Was mich abhält: abwechselnd Mittellosigkeit und nackter Geiz.“), und Herbert Rosendorfer vertrug den Bildschirm nicht – „mir tun nach zwei Minuten die Augen weh“. Erika Runge und Hans Wollschläger dachten dagegen ernsthaft über die Anschaffung eines „(idiotisch so genannten) Personal Computer“ nach.

Wo bleibt das Positive? Nun, in der Liste der Feedbacks finden wir sechs aktive PC-Freunde, nämlich F. C. Delius, Rainer Erler, Zsuzsanna Gahse, Will Heinrich, Karl Hoche und Ulrich Mihr, der auf seiner – inzwischen gelöschten – Homepage auch auf seine IT-Erlebnisse einging. Erwin Wickert besaß immerhin eine Bildschirmschreibmaschine mit einem Diskettenlaufwerk, Marie Louise Fischer verwendete einen Mikrocomputer, um ihre zahllosen Verlagsverträge abzuspeichern.

Die interessanteste Antwort kam von Peter Rühmkorf, den eine elektrische Schreibmaschine verrückt machte, der aber Folgendes mitzuteilen wusste: „Was mir wirklich nützlich schiene wäre dagegen Anschluß an BTX-System: direktes Kabel zur Stabi, und dann digital die Kataloge gewälzt und die gewünschten Bücher im Geschwindflug gemustert, wobei ich mir längere Zitate/Exzerpte postwendend aus dem Copykasten erhoffe. Zumindest hätte ich gern diesen schnellen Zugang zu allen Wörterbüchern der Welt: ein faustischer Trieb, ich möchte alles wissen.“

Gäbe es ein schöneres Schlusswort zu unserer kleinen Retrospektive? Wir wissen keines. (Für Details zu einzelnen Autoren und Autorinnen bitte Wikipedia konsultieren.)

 

 

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