Wenn die Maus zweimal klingelt
Geschrieben am 04.10.2016 von HNF
Neben der Tastatur ist die Maus das praktischste Gerät zur Arbeit am Computer. Erfunden wurde sie doppelt. 1965 beschrieb der amerikanische Ingenieur Douglas Engelbart eine Maus mit zwei Rädern. 1968 zeigte er sie bei einer Konferenz. Im gleichen Jahr stellte die Firma Telefunken die mausähnliche Rollkugel vor. In kleiner Stückzahl kam sie auf den Markt.
Ein Computer, ob groß oder klein, besteht aus fünf Elementen: Rechenwerk, Leitwerk, Speicher, Ein- und Ausgabe. Die Eingabe gliedert sich in Daten und Anweisungen. Diese wurden früher mit Lochkarten oder Lochstreifen zugeführt, später tippte man sie auf einer Tastatur ein. Und für den Mensch-Maschine-Dialog mit grafischen Benutzeroberflächen erschien in den 1980er-Jahren die Maus.
Eine Maus kann man nicht beschreiben, man muss sie erleben. Tablet- oder Smartphone-Benutzer, die mausfrei aufwuchsen, möchten wir deshalb auf ein erklärendes Video verweisen. Erfunden wurde die Maus zwischen 1965 und 1968 nahezu parallel in Amerika und Europa. Die Entwickler-Teams wussten nichts voneinander. Das erste saß im Städtchen Menlo Park 45 Kilometer südöstlich von San Francisco. Die zweite Gruppe arbeitete in Konstanz am Bodensee.
Der Vater der amerikanischen Maus war Douglas Engelbart, geboren 1925 in Portland im US-Bundesstaat Oregon. 1948 erhielt er einen Bachelor in Elektrotechnik in einem College seines Heimatstaats. In den frühen Fünfzigern setzte er das Studium an der kalifornischen Universität Berkeley fort. Hier lernte er bereits einen Elektronenrechner kennen. 1955 machte Engelbart seinen Doktor. Von 1957 an arbeitete er im Stanford Research Institute SRI, einem Forschungsinstitut in Menlo Park.
In den frühen 1960er-Jahren gründete Douglas Engelbart im SRI eine Abteilung namens Augmentation Research Center. Das Forschungszentrum für Erweiterungen, so die wörtliche Übersetzung, befasste sich mit Verbesserungen von Computern und Peripheriegeräten und der Konstruktion von interaktiven Systemen. Das Hauptprodukt war das NLS oder oN-Line System, das viele Eigenschaften heutiger Computer vorwegnahm. Finanziert wurden Engelbarts Aktivitäten von der NASA und der ARPA, der Forschungsagentur des US-Verteidigungsministeriums.
Die Idee für die Maus kam Douglas Engelbart, das zeigen seine Notizbücher, im November 1963. Die erste detaillierte Beschreibung stand im Juli 1965 auf Seite 92 einer Broschüre über computerunterstützte Display-Steuerung; auf Seite 91 sieht man ein Foto. Den Text verfassten Douglas Engelbart und seine Kollegen William English und Bonnie Huddard für die NASA. Neben dem Joystick und dem heute vergessenen Grafacon-Eingabezeiger wird die Maus als ein Instrument herangezogen, das den Cursor – die Autoren sagten „Bug“ oder Käfer – über den Bildschirm bewegt.
Im März 1967 schilderte Engelbart die Maus und die anderen Geräte zur Cursor-Steuerung in einer Fachzeitschrift. Am 21. Juni 1967 meldete er den X-Y-Positionsanzeiger für ein Display-System als Erfindung an. Das Patentamt ließ sich Zeit, gewährte am 17. November 1970 aber das Patent. Dabei drückte man vermutlich beide Augen zu, denn die Maus war spätestens seit dem oben erwähnten Zeitschriftenartikel öffentlich und nicht mehr patentierbar. Das typische Merkmal sind zwei um 90 Grad versetzte Rädchen, deren Drehungen auf zwei Potentiometer übertragen werden.
Am Nachmittag des 9. Dezember 1968 zeigte Engelbart auf einer Informatiktagung in San Francisco die Schöpfungen seiner SRI-Abteilung. Die Mutter aller Produktvorstellungen dauerte 100 Minuten und wurde mit einem analogen Videoprojektor an die Wand des Saals geworfen. Sie kombinierte die Ansicht von Engelbart, der im Saal saß und kommentierte, mit Bildern eines Computermonitors, auf dem Programme abliefen, und Fernsehaufnahmen aus dem SRI. Die Maus erscheint hier.
Die Präsentation erregte viel Aufsehen, brachte aber nicht den Durchbruch für Douglas Engelbart. In der Folgezeit schieden wichtige Mitarbeiter aus seiner Abteilung aus. Der erste Computer mit Mausbedienung stand woanders. Die Kopierfirma Xerox hatte 1970 in Palo Alto in der Nachbarschaft von Menlo Park ein Forschungszentrum gegründet. Dort befassten sich Spitzenkräfte der Informatik mit Zukunftskonzepten. Ihre Rechner bauten sie selbst, und so entstand 1973 der Alto. Einer fand auch den Weg ins HNF, siehe unser Eingangsbild (Foto: Jan Braun, HNF). Erkennen Sie die Maus?
Vom Alto wurden rund 2.000 Exemplare gefertigt und vor allem bei Xerox und in Hochschulen eingesetzt. Eine Maus erhielt 1981 die Workstation Xerox Star, die aber auf dem Markt durchfiel. 1983 folgten die mausbestückte und ebenso erfolglose Apple Lisa sowie die Microsoft-Mäuse. 1984 brachte Apple dann den Macintosh mit Maus heraus; danach gab es für die Eingabetechnik kein Halten mehr. Douglas Engelbart erhielt den Turing-Preis, den Nobelpreis der Informatik, für das Jahr 1997 und 2000 die Nationale Technologiemedaille der USA. Er starb 2013.
Nun kommen wir zur deutschen Maus, die aber nie so hieß. Die offizielle Bezeichnung war Rollkugel-Steuerung RKS 100-86, und so wurde sie 1968 mit Großrechnern Telefunken TR 440 angeboten. Das Gerät hing an einem Monitor – Telefunken bevorzugte den Namen „Sichtgerät“ – des Typs SIG-100. Der war mit einem Satellitenrechner Telefunken TR 86 verbunden und über diesen mit der Mainframe. Der TR 440 war einer der leistungsfähigsten Computer seiner Zeit, aber zu teuer für eine größere Verbreitung. Insgesamt entstanden nur 46 Stück.
Die Heimat der Telefunken-Rechner war ein Werk in Konstanz, das bis 1958 der Pintsch-Elektro GmbH gehörte. Dort arbeitete der 1933 in Karlsruhe geborene Rainer Mallebrein. Er hatte 1957 in Konstanz die Ausbildung als Nachrichtentechniker beendet und ging zunächst zu Pintsch. Als die Firma von Telefunken gekauft wurde, setzte er dort die Karriere fort. 1960 entwickelte er eine der ersten Videokameras mit Transistoren. 1962 übernahm er die Leitung der Laborgruppe für Datensichtgeräte.
In dieser Funktion erfand Mallebrein irgendwann nach 1965 die Rollkugel. Wie bei Engelbarts Maus schiebt man damit den Cursor über den Bildschirm. Unter der Haube saß eine kleine Kugel, deren Bewegung durch zwei rechtwinklig angeordnete Räder abgegriffen wurde. Bei seinem Geistesblitz kehrte Mallebrein den schon von Radargeräten bekannten Trackball um. Telefunken bemühte sich um ein Patent; erhielt aber keines. Ein Prototyp der Rollkugel lag im Laufe des Jahres 1968 vor. Die erste Veröffentlichung mit Bild erfolgte in einer Firmenzeitschrift am 2. Oktober 1968.
Mit der Ausmusterung der TR-440-Rechner und des Nachfolgers TR 445 in den 1980er-Jahren war die Rollkugel vergessen. 2009 wurde sie wiederentdeckt, auch das amerikanische Computer History Museum bezeugt ihre Existenz. Im Februar 2018 führte ein Mitarbeiter des Museums ein ausführliches Interview mit Rainer Mallebrein, das auch online ist. Zudem besitzt das Museum eine der wenigen überlebenden Rollkugeln, vermutlich die für die TR 440 der RWTH Aachen.
Andere liegen in computerhistorischen Sammlungen in Stuttgart und in Garching. Und natürlich zeigt das Heinz Nixdorf MuseumsForum eine fabrikneue Rollkugel, die in einer kleinen Präsentation zur Geschichte der Computermaus zu sehen ist. Der moderne Trackball, der manchmal als Rollkugel bezeichnet wurde, hat mit der Telefunken-Maus nur indirekt zu tun.
Und damit endet eine der faszinierendsten Doppelerfindungen der IT-Geschichte. Halten wir fest, dass Douglas Engelbart die erste Maus anfertigte und sie 1965 und 1967 publizierte. Telefunken, seit 1967 AEG-Telefunken, brachte als erstes Unternehmen die Rollkugel auf den Markt. Wir haben also nicht nur zwei Mäuse, sondern auch zwei Sieger. Das Foto unten zeigt Rainer Mallebrein 1980. Wir bedanken uns bei ihm herzlich für das Bild und die Erlaubnis, es im Blog verwenden zu können.
Dass waren noch Zeiten
Update vom 14.5.2019: Rainer Mallebrein hat heute „seine“ Rollkugel dem HNF als Dauerleihgabe übergeben!
Bestimmt gibt’s irgendwo hier auf den HNF-Seiten eine Meldung dazu, und hoffentlich gibt es die Rollkugel jetzt in der Dauerausstellung zu sehen.
Die Meldung gibt es hier: https://www.hnf.de/das-hnf/presse/pressemitteilungen/ansicht/artikel/von-rollkugeln-und-maeusen.html Und natürlich ist die Rollkugel neben 46 anderen Mäusen in der Ausstellung zu sehen: https://www.hnf.de/dauerausstellung/ausstellungsbereiche/global-digital/interfaces-kommunikation-zwischen-mensch-und-maschine/von-der-hand-in-den-rechner-computermaeuse.html
Can you please tell me if the rotational sensors used with the Rollkugel Steurerung were potentiometers (i.e. limited travel rotational resistors) or infinite rotational shaft-encoders?
If the latter, this would represent another important innovation of this device.
Thanks.
Thank you for the comment. We will see what we can do to help you. Do you know this site? http://www.e-basteln.de/computing/rollkugel/rollkugel/
Das Engelbart-Paper von 1967 ist unter dem angegebenen Link bei der Stanford University nicht mehr abrufbar. Einen Scan des Originals gibt es z.B. hier: https://dougengelbart.org/pubs/papers/scanned-original/1967-augment-9694-Display-Selection-Techniques-for-Text-Manipulation.pdf.
Der Hinweis, dass bei der Erteilung des Engelbart-Patents „beide Augen zugedrückt“ worden seien, ist übrigens nicht zutreffend. In den USA gilt eine 12-monatige Neuheitsschonfrist (grace period), innerhalb derer man nach einer eigenen Vorveröffentlichung noch ein Patent anmelden kann.
Besten Dank für den Hinweis! Wir haben den Link ergänzt.