Wir tauschen Musik
Geschrieben am 28.05.2019 von HNF
Die blaue Katze mit grünen Augen und Kopfhörer war das Logo der Internetplattform Napster. Erfunden vom 18-jährigen Shawn Fanning, startete sie am 1. Juni 1999 nahe Boston. Ihre Benutzer konnten Musikdateien im Format MP3 austauschen. Nach mehreren verlorenen Gerichtsprozessen musste Napster im Juli 2001 schließen. In ihrem kurzen Leben revolutionierte die Plattform aber die Unterhaltungsindustrie.
Eigentlich ist Karlheinz Brandenburg an allem schuld. Der Ingenieur war Hauptentwickler des MP3-Verfahrens im Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen in Erlangen. Es komprimierte Audiodateien auf ein Zehntel des Umfangs, ohne dass die Qualität litt. MP3 machte Musik internetfähig, denn die Dauer von Downloads schrumpfte auf einige Minuten. Wir nehmen hier die Datenrate von 56 Kilobit pro Sekunde an, die Modems in den 1990er-Jahre schafften. Ab 1994 eroberte Brandenburgs Technik die Welt.
In den Neunzigern war Shawn Fanning ein computerbegeisterter Teenager. Er wurde am 22. November 1980 in Brockten nahe Boston geboren. Bei seinem Onkel lernte er das Internet und seine Möglichkeiten kennen: John Fanning hatte 1996 die kommerzielle Schachplattform Chess.net gegründet. Sein Neffe begann 1998 ein Informatik-Studium an der in Boston ansässigen Northeastern University. Daneben betätigte er sich in der exklusiven Hackergruppe wOOwOO, ausgesprochen „Wuhwuh“.
Viele Studenten surften bereits im Internet und durchs World Wide Web. Sie suchten vor allem nach Musikdateien. Seit 1997 bot die Seite www.mp3.com Stücke zum Herunterladen an, doch die jungen Leute wollten immer mehr. Leider waren kleinere MP3-Sammlungen mit damaligen Suchmaschinen schwer zu finden, und Google kam erst langsam ins Geschäft. Shawn Fanning erkannte das Problem und dachte über eine Lösung nach. Könnte man nicht auf Suchmaschinen verzichten und stattdessen die Musikfans direkt zusammenbringen?
Im Herbst 1998 schrieb Fanning die erste Fassung eines Filesharing-Programms. Innerhalb einer Netzgemeinde sammelte es die gewünschten Dateien; andererseits öffnete es anderen Usern die Inhalte der Festplatte. Freunde aus der wOOwOO-Gruppe halfen beim Verbessern der Software und beim Aufbau der Server; zu nennen sind Jordan Ritter und Sean Parker. Aus Zeitgründen gab Fanning das Studium auf, im Frühjahr 1999 war er am Ziel: das Programm lief perfekt. Im Mai gründeten Sean Fanning und sein Onkel die Napster Incorporated.
Die Firmenanteile waren allerdings ungleich verteilt. John Fanning hielt siebzig Prozent, sein Neffe die restlichen dreißig, und in der Geschäftsführung hatte er nichts zu sagen. Die erste Adresse der Firma war das Städtchen Hull auf einer Landspitze, die vor Boston in den Atlantik ragt. Die Bezeichnung Napster ging auf den Spitznamen von Sean Fanning zurück; das Wort bedeutet Krauskopf. Fanning zog es jedoch vor, seinen widerspenstigen Haarschopf zu scheren und eine Baseballkappe draufzusetzen. Am 1. Juni 1999 setzte er dann die erste Napster-Version ins Internet.
Die Resonanz war überwältigend. Die Nutzerzahlen schossen hoch, kurz nach dem Start waren es schon mehrere Tausend. Im Oktober 1999 luden täglich eine Million Teilnehmer Musik herunter. Der Aufwärtstrend setzte sich fort und erreiche Anfang 2001 den Höhepunkt: vierzehn Millionen User in den USA, 26 Millionen auf der ganzen Welt. Schon im Sommer 1999 fand sich ein Investor, der 250.000 Dollar ins Unternehmen steckte. Voraussetzung dafür war ein Umzug nach Kalifornien; ab September des Jahres saß Shawn Fanning in einem Büro in San Francisco.
Napster zählte zu den Mega-Erfolgen der Dotcom-Ära; im Jahr 2000 schmückte Fannings Konterfei das Cover von TIME. Juristisch bewegte sich die Firma aber auf dünnem Eis. Am 6. Dezember 1999 traf die erste Klage wegen Copyright-Verletzung ein; eingereicht hatte sie die RIAA, die amerikanische Vereinigung der Musikindustrie. Am 26. Juli 2000 verlas Richterin Marilyn Hall Patel das Urteil: Napster musste binnen zwei Tagen seine Tauschbörse durch ein gesetzestreues System ersetzen. Das was natürlich technisch unmöglich.
Die Napster-Anwälte gingen in die Berufung, und die Firma setzte noch elf Monate den Betrieb fort. Nach weiteren negativen Gerichtsurteilen schaltete sie aber Anfang Juli 2001 ihre Server ab; ein Jahr später meldete das Unternehmen Konkurs an. Eine schon länger laufende Rettungsaktion der deutschen Bertelsmann AG brachte wenig Hilfe. Im Juli 2002 musste Bertelsmann-Chef und Napster-Freund Thomas Middelhoff seinen Posten räumen. Später ist Napster in reduzierter Form wiederauferstanden; das ist die aktuelle Version.
So endete der erste heroische Versuch, Musikdateien im großen Stil ins Internet zu bringen. Mittlerweile haben wir Streaming und YouTube und was noch wichtiger ist: eine schnellere Datenübertragung. Wer sich für die gute alte Napster-Zeit interessiert, findet hier einen informativen Bericht in deutscher Sprache; er basiert auf einem amerikanischen Buch. Das Eingangsfoto stammt von Ekkin (CC BY-NC 2.0); es wurde an den Rändern beschnitten.