Wenn die Watte verschwindet

Geschrieben am 19.06.2015 von

Beim Aufräumen gefunden: der (leicht gekürzte) Artikel des Bloggers zum MP3-Verfahren, der am 18. Juni 1996, dem Eröffnungsjahr des HNF, in der Technik-Beilage der „Süddeutschen Zeitung“ stand. Damals gab es das vom Erlanger Ingenieur Karlheinz Brandenburg und seinem Team entwickelte MP3 seit vier Jahren, es war aber noch längst nicht klar, wie seine Zukunft aussieht.

Die Streicher klingen zwar, als wären sie in Watte gepackt, doch das Frühlingsmotiv aus Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ tönt zumindest gleichmäßig und rauschfrei aus dem Lautsprecher. „Das sind 16 Kilobit pro Sekunde“, erklärt Stefan Meltzer, „die Tonqualität ist etwa die von Mittelwelle-Sendungen im Radio, nur gibt es bei uns keine Störungen.“ Als Meltzer auf 32 Kilobit umschaltet, scheint die Watte zu verschwinden, und der Klang gleicht dem einer UKW-Sendung. Bei einer Datenrate von 64 Kilobit pro Sekunde erklingt das Stück in Stereo und bei nochmaliger Verdoppelung in CD-Qualität.

Ort der musikalischen Demonstration ist der Vorführraum des Fraunhofer-Instituts für Integrierte Schaltungen (IIS) in Erlangen. Vorgeführt wird die digitale Kompression von Audiodaten: Eine Tonaufnahme wurde im Computer gespeichert und so bearbeitet, dass für die Wiedergabe nur ein Bruchteil der Daten der Originalversion vonnöten ist. Hierbei sind mehrere Kompressions- und Qualitätsstufen möglich.

Stefan Meltzer hört bei solchen Experimenten immer genau hin. Der Projektleiter arbeitet an einem Verfahren, das in wenigen Jahren der halben Welt digital komprimierte Töne ins Haus bringen soll. Den Empfang der digitalen Klänge übernehmen handliche und einfach zu bedienende Radios, deren Antennen geostationäre Satelliten in 36.000 Kilometer Höhe anpeilen.

„Im Herbst 1995 erhielt das IIS vom französischen Alcatel-Konzern den Auftrag, die Decoder und die Encoder für die Bodenstationen der WorldSpace-Radios zu konzipieren“, berichtet Melzer. WorldSpace Inc. ist ein amerikanisches Unternehmen mit Sitz in Washington, das 1998 und 1999 drei Rundfunk-Satelliten auf einer Bahn direkt über dem Äquator installieren will, wo sie in 24 Stunden einmal um den Globus kreisen.

Da auch die Erde selbst sich mit dieser Frequenz um die eigene Achse dreht, scheinen die künstlichen Trabanten am Himmel stillzustehen. Jeder von ihnen wiegt 2,7 Tonnen, hat eine Lebendauer von 15 Jahren und strahlt drei Sendekegel in Richtung Erde. CaribStar soll Süd- und Mittelamerika abdecken, AfriStar den Schwarzen Kontinent, den Mittelmeerraum und den Nahen Osten, AsiaStar schließlich Indien und den Fernen Osten.

WorldSpace orderte letztes Jahr bei Alcatel Espace in Toulouse für 600 Millionen Dollar die Satelliten, Raketen und Bodenstationen. Alcatel gab daraufhin Unteraufträge an Matra Marconi für die Satelliten-Strukturen sowie an die Raumfahrtfirma Arianespace für die Trägerraketen. Die Elektronik für die drei Trabanten baut Alcatel selbst. Das Fraunhofer-Institut, sprich das fünfzehnköpfige Team von Stefan Meltzer, ist vor allem für die Schaltkreise der WorldSpace-Empfänger zuständig.

Schon im Spätsommer 1996 werden die ersten Signalprozessoren getestet, die eben jene Schaltungen realisieren. Im dritten Quartal 1997 beginnen Halbleiterfirmen nach den Vorgaben des IIS mit der Mikrochip-Entwicklung, und ein Jahr später kommt das tragbare Radio StarMan auf den Markt. […] Für das Fraunhofer-Verfahren, das bislang hauptsächlich in Tonstudios zum Einsatz kam, bedeutet der weltweite Einsatz in Satellitenradios einen großen Sprung nach vorn.

SatRadio

Nachtrag 2015  AfriStar und AsiaStar starteten 1998 bzw. 2000 erfolgreich ins All, der in AfriStar 2 umbenannte CaribStar blieb am Boden. WorldSpace machte 2008 Bankrott. MP3 entwickelte sich dank des Internets, an das 1996 noch kaum jemand dachte, zum populärsten Audiokompressionsverfahren des Planeten Erde. Das Foto der Fraunhofer-Gesellschaft von 1999 zeigt Stefan Meltzer (Mitte) mit zwei Kollegen, einem Radio und einem Satellitenmodell. Und noch ein kleiner Hinweis: Karlheinz Brandenburg hat am 20. Juni Geburtstag.

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