Wollen wir ein Spiel spielen?
Geschrieben am 18.05.2018 von HNF
Vor 35 Jahren wurde der amerikanische Film „WarGames“ auf dem Festival von Cannes uraufgeführt. Teils Politthriller und teils Science-Fiction, zeigte er die Abenteuer eines Computer-Hackers aus Seattle. David Lightman beginnt ein Spiel mit einem militärischen Superrechner, das beinahe als Atomkrieg endet. Damit spiegelte der Film auch die gespannten Beziehungen zwischen den USA und der Sowjetunion wider.
Wir schreiben das Jahr 1983. In Amerika regiert Präsident Ronald Reagan, in der Sowjetunion Generalsekretär Juri Andropow. Sie kommandieren eine Vielzahl von Kernwaffen in U-Booten, Flugzeugen und Raketen. Sie reichen aus, um den jeweiligen Gegner und dessen Verbündete mehrfach zu zerstören. Radarschirme und Satelliten überwachen ständig den Himmel in Ost und West. Die Militärs hoffen, damit einen Angriff rechtzeitig erkennen und Gegenschläge starten zu können.
Im US-Bundesstaat Colorado, tief in den Rocky Mountains, sitzt die Zentrale des NORAD, des Nordamerikanischen Verteidigungskommandos gegen Bomben und Raketen. Das NORAD existiert seit 1957; es ist ein kanadisch-amerikanisches Gemeinschaftsprojekt. Die Gänge und Räume im Berg belegen insgesamt 20.000 Quadratmeter; sie wurden 1967 fertig und gelten als atombombensicher. In den NORAD-Computern strömen die Daten der Luft- und Weltraumüberwachung zusammen und werden rund um die Uhr ausgewertet.
Das ist der Hintergrund das Films WarGames, zu Deutsch Kriegsspiele. Er erlebte seine Premiere vor 35 Jahren am Ende des Festivals von Cannes, also am 19. Mai 1983. In den USA lief „WarGames“ am 3. Juni an, in den bundesdeutschen Kinos am 7. Oktober. Viele DDR-Bürger konnten ihn am 7. Dezember 1986 sehen, als ihn das Abendprogramm der ARD zeigte. Der Film schilderte aber nicht nur den Kalten Krieg und die atomare Rüstung, sondern skizzierte auch die Kultur der jugendlichen und meist männlichen Computerfreaks.
Die Hauptperson des Streifens ist so einer: David Lightman, verkörpert vom zwanzigjährigen Matthew Broderick. David besucht die High School in Seattle – eine kleine Verbeugung vor Microsoft – und widmet die Freizeit seinem Computer, einem IMSAI mit angeschlossenem Diskettenlaufwerk. Er war 1983 schon acht Jahre alt, im Film geht David aber via Modem und Akustikkoppler ins Internet. Manchmal besucht er online den Schulcomputer und verbessert Zensuren, doch jetzt interessiert ihn das neue Spiel der Firma Protovision aus Kalifornien.
Nach einigen Fehlversuchen hat er Kontakt zu einem dialogfähigen Rechner und zu seinen Spielprogrammen. David tippt das letzte der Liste ein: globaler thermonuklearer Krieg. Nach und nach stellt sich heraus, dass er nicht mit dem Silicon Valley kommuniziert, sondern mit dem Strategie-Computer des NORAD, dem lernenden System WOPR. Und zweitens wird klar, dass dieses nicht zwischen Spiel und Wirklichkeiten unterscheidet. Plötzlich erscheinen sowjetische Raketen auf den NORAD-Bildschirmen, und es werden immer mehr.
Viel mehr möchten wir von der aktionsreichen Handlung nicht preisgeben. Erzählt sei aber das Schicksal von WOPR-Schöpfer Stephen Falken, den der Engländer John Wood spielte. Er starb nicht, wie der Film zunächst andeutet, im Jahr 1973. Er sagte nur der Informatik Adieu, lebte unter neuem Namen weiter und baut an der Pazifikküste Drohnen in Form flugfähiger Dinosaurier. Sein Computer kommt schließlich von selbst darauf, dass in einem Atomkrieg kein Teilnehmer gewinnen kann. Kurz, WOPR bläst das Ende der Welt wieder ab.
Hier nahm unser Film bereits das Deep Learning vorweg, das in der Künstlichen Intelligenz gegenwärtig Triumphe feiert. Dafür verzeiht man dem Studio gerne das 1950er-Jahre-Design des schlauen Rechners, der so schön blinkt wie das Elektronenhirn EMMARAC im Streifen „Desk Set“. Auch bei der Gestaltung der NORAD-Halle dachten die Filmarchitekten wohl eher an Stanley Kubricks Dr. Seltsam als an die Stollen in Colorado. Ein Film der US Air Force aus den späten Siebzigern zeigt ab Minute 10:00, wie eng es dort wirklich zuging.
Bahnbrechend wirkte „WarGames“ für die Zunft der Hacker. Die Drehbuchautoren erhielten viele Informationen von einem echten Nerd aus Los Angeles, David Scott Lewis. Der Film machte die Zuschauer mit der Existenz von Computernetzen bekannt und ebenso mit dem Überwinden von Passwort-Schranken und dem Öffnen von Programm-Hintertüren. Manche User versuchten es David Lightman gleichzutun, etwa die Hackergruppe der 414s, die 1983 in Dutzende von Systemen einbrach.
In den Kinos ließ der Streifen die Kassen klingeln. Bei Kosten von zwölf Millionen Dollar spielte er allein in den USA und Kanada 79 Millionen Dollar ein. Einen Oscar gewann „WarGames“ nicht, er zählt aber nach Ansicht des British Film Institute zu den besten Computerfilmen. Eine Online-Fassung des Originals ist hier zu finden. Nach Stephen Falken wurde 1994 das erste deutsche Internet-Café benannt. Die NORAD-Zentrale verließ 2006 ihren Berg und zog in einen oberirdischen Air-Force-Stützpunkt in der Nachbarschaft um.