Zahlen für alle
Geschrieben am 23.03.2021 von HNF
Der in St. Louis geborene Charles Eames und seine aus Kalifornien stammende Ehefrau Ray zählten zu den bekanntesten Designern der Welt. Ihre Möbel wurden zu Klassikern, ihre Filme bezaubern bis heute. Am 24. März 1961 öffnete die von ihnen gestaltete Ausstellung „Mathematica“ in Los Angeles. 1971 startete in New York die Eames-Schau „A Computer Perspective“.
1912 wurde in Los Angeles ein Ausstellungshaus eröffnet, das den Besuchern die Schätze von Kalifornien vor Augen führte. Das waren Agrarprodukte, die Erfolge des Bergbaus, der Ölförderung und der Holzwirtschaft sowie die landschaftliche Schönheit des Bundesstaats. Nach 1945 kamen Exponate zur Technik hinzu. Ab 1951 hieß das Gebäude California Museum of Science and Industry und heute California Science Center.
Vor sechzig Jahren, am 24. März 1961, weihte das Museum einen neuen Flügel ein; das Geld stiftete IBM. Das Unternehmen hatte Kontakt zu zwei Designern, die sich mit Möbeln wie mit Medien auskannten: Charles und Ray Eames. Die zwei hatten den Film erstellt, der 1958 im IBM-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung zu sehen war: Die Informationsmaschine. 1960 drehten sie für Big Blue eine Einführung in die Rückkopplung. Sie erhielten dann auch den Auftrag, eine Ausstellung für den neuen Museumsbereich zu gestalten.
Charles Eames wurde 1907 in St. Louis am Mississippi geboren. Ab 1930 betrieb er dort ein Architekturbüro. Ab 1938 studierte er in einer Kunstakademie im US-Bundesstaat Michigan; schnell rückte er zum Leiter der Design-Abteilung auf. 1941 heiratete er eine Studentin aus Kalifornien, Bernice Alexandra Kaiser, geboren 1912. Charles und Ray, wie sie meist genannt wurde, zogen nach Los Angeles, und es begann eine kreative Partnerschaft, die ihresgleichen suchte. Ab 1949 wohnten sie in einem selbst entworfenen Haus im Stadtteil Pacific Palisades.
Bald gehörten „Eames und Eames“ zur Spitzengruppe der Formgestalter. Ihre Stühle aus Holz, Kunststoff und Drahtgeflecht eroberten das Land, der Lounge Chair wurde ein Möbel-Klassiker. Ein zweites Standbein waren Medienproduktionen. Für eine amerikanische Ausstellung in Moskau – es herrschte gerade Tauwetter im Ost-West-Verhältnis – erdachten sie 1959 eine Installation, bei der Projektoren sieben Dia-Serien auf sieben Leinwände warfen. Hier ist ein Ausschnitt aus dem Programm; es spricht Charles Eames.
Die Schau in Los Angeles belegte 280 Quadratmeter und galt der Mathematik. Das Thema wurde bereits in Technikmuseen behandelt, die Rechenmaschinen und analoge Geräte zeigten, und Hochschulen besaßen Sammlungen geometrischer Modelle. Der Ansatz von Charles und Ray Eames war jedoch neu und verspielt; Trickfilme stellten mathematische Prinzipien wie die Symmetrie vor. Fachlicher Berater war der Universitätsprofessor Raymond Redheffer, den wir im Blog beim Nim-Spiel trafen.
Mathematica: Die Welt der Zahlen… und mehr wies schon in Richtung Science Center. Die Ausstellung enthielt aber auch historische Texte zur Geschichte der Wissenschaft. Sie beeindruckte jedenfalls Laien und Experten; mittlerweile gibt es von ihr drei Exemplare in Boston, New York und Dearborn. Dort steht „Mathematica“ im Henry-Ford-Museum, wie im Video zu sehen. Geistige Nachfahren waren 2008 die Ausstellungen Zahlen, bitte! des HNF und Mathema vom Deutschen Technikmuseum in Berlin. Schon 2002 eröffnete das Science-Center Mathematikum in Gießen.
Nach „Mathematica“ produzierte das Ehepaar Eames Filme für das Wissenschaftshaus der Weltausstellung, die 1962 in Seattle stattfand. 1964 gestalten Charles und Ray den Beitrag der IBM zur Weltausstellung von New York. Sie leisteten außerdem Vorarbeiten für ein Firmenmuseum, doch blieb das Projekt im Planungsstadium. Fertig wurde dagegen die IBM-Ausstellung A Computer Perspective, was man mit „Den Computer im Blick“ übersetzen könnte. Die Eröffnung war am 17. Februar 1971 in New York.
„A Computer Perspective“ zeigte mit dicht gepackten Informationen und Bildern die Genese der Rechentechnik von 1890 bis 1950; die historischen Objekte traten in den Hintergrund. Die Schau lief vier Jahre lang. Der Computerpionier Heinz Zemanek erstellte nach einem Besuch eine deutsche Version, die 1974 ins Technische Museum von Wien kam. Sie war wohl die erste Ausstellung in Europa zur Informatik-Geschichte. Wer sich auf www.archive.org anmeldet, kann das schöne Begleitbuch zu „A Computer Perspective“ durchblättern.
Charles Eames starb 1978, seine Frau auf den Tag genau zehn Jahre später. Eine ihrer letzten gemeinsamen Produktionen war der Film Powers of Ten, eine Reise durch den Makro- und Mikrokosmos. Hier sieht man die beiden in einer Fernsehsendung aus dem Jahr 1956. Nun folgen noch einige Fotos zur Ausstellung „Mathematica“. Wenn nicht anders angegeben, stammen sie von Dr. Jochen Viehoff, dem Geschäftsführer des HNF. Für die beiden Fotos oben bedanken wir uns beim Eames Office.
Zur weiteren, wissenschaftlichen Lektüre zu diesem Thema kann ich empfehlen: Harwood, John: The Interface: IBM and the Transformation of Corporate Design, 1945–1976, Minneapolis, MN 2011.
In dem Film „A Powers of Ten“ picknickt ein junges Paar auf einer Wiese in Chicago, ganz nahe bei dem zukünftigen Presidential Center von Barack Obama. Diese Reise durch die Dimensionen unseres Kosmos würde gut zu Barack passen.
Ein wichtiger Hinweis zu „Zahlen, bitte“ fehlt. Der Gießener Mathematiker Prof. Dr. Albrecht Beutelspacher hat in Gießen in jahrzehntelanger Arbeit mit dem „Mathematikum“ das erste mathematische Mit-Mach-Museum geschaffen. Ohne Formeln, spielerisch für Jung und Alt. Das Museum hat inzwischen sicher schon an die drei Millionen Besucher gesehen.
Sehr sehenswert sind die geometrischen Sammlungen in Göttingen und Dresden, die in den mathematischen Instituten den Krieg überstanden haben.
Klein aber fein ist auch das „Mathematische Kabinett“ im Deutschen Museum in München, das der Mathe-Informatik-Oberguru F.L. Bauer
entworfen hatte. Es sollte viel Interaktiv sein.
Das Mathematikum in Giessen verkauft brauchbare Bleistifte, auf denen berühmte Zahlen aufgebracht sind. Bisher π, π/4, e, ϕ. Hinzu gekommen ist (m)ein Bleistift, betitelt „Einmal Pi, immer Pi“. Die abgebildete Zahl ist eine 24-stellige Primzahl, die die größte ihrer Art ist. Sie hat die für Bleistifte erfreuliche Eigenschaft, dass das „Aufschreiben“ des Bleistifts der übrigbleibenden Zahl nicht ihre Primalität rauben kann. Ich stelle den Profi-Mathematikern frei, noch weitere Zahlen für den Bleistift zu finden.