Am Anfang war das Verbmobil

Geschrieben am 03.04.2018 von

Vor 25 Jahren startete das größte deutsche Projekt der Künstlichen Intelligenz. Von 1993 bis 2000 arbeiteten 31 Unternehmen, Hochschulen und Forschungsinstitute am System Verbmobil; beteiligt waren Hunderte von Wissenschaftlern und Studenten. Das gesamte Budget betrug 168,6 Millionen DM. Am Ende lagen Computerprogramme vor, welche gesprochene deutsche Sätze ins Englische und Japanische und zurück übertrugen.

Am 7. Januar 1954 stanzte eine junge Frau in New York „Mi pyeryedayem mislyi posryedstvom ryechyi“ in Lochkarten. Das war Russisch in amerikanischer Schreibweise. Die Karten las ein Elektronenrechner des Typs IBM 701, der folgende Worte ausdruckte: „We transmit thoughts by means of speech.“ Oder deutsch: „Wir übertragen Gedanken durch Sprache.“

So lief vor 64 Jahren der erste Versuch ab, per Computer Sätze einer Sprache in analoge Aussagen einer anderen zu verwandeln. Die maschinelle Übersetzung wurde danach ein wichtiges Thema im Fach der Künstlichen Intelligenz. 2006 startete die Suchmaschine Google ihren Translator, drei Jahre später brachte die US-Firma Mobile Technologies die Software Jibbigo heraus. Wer einen englischen Satz in ein damit ausgerüstetes Smartphone sprach, konnte ihn anschließend zum Beispiel auf Spanisch hören.

Zu Jibbigo gesellten sich weitere Apps mit ähnlichen Funktionen, und 2017 hat auch Apples Fräulein Siri Fremdsprachen gelernt. Dabei wird übersehen, dass schon in den 1990er-Jahren viel Arbeit in akustische Übersetzungssysteme gesteckt wurde. So vereinte das C-STAR oder „Consortium for Speech Translation Advanced Research“ Firmen und Forschungsinstitute aus Asien, Amerika und Europa, darunter Siemens und die Universität Karlsruhe. Unser Thema soll aber ein überwiegend deutsches Projekt sein – Verbmobil.

Die Wurzeln des Verbmobils liegen in den frühen Neunzigern. Künstliche Intelligenz war bereits im Fokus der Politik. Das Bundesministerium für Forschung und Technologie BMFT überlegte, wie man die Wissenschaft und Technik auf jenem Gebiet fördern könnte. Seit den 1970er-Jahren befassten sich Universitätsforscher mit digitaler Sprachverarbeitung. In Hamburg hatte der Linguist Walther von Hahn das Hamburger Redepartnermodell entwickelt, ein Computerprogramm, das im Dialog Zimmer in einem fiktiven Hotel buchte.

Es erschien vernünftig, hier anzusetzen. 1991 bestellte das Ministerium zwei Studien zur Durchführbarkeit eines Sprachprojekts; eine kam von einem Verbund deutscher Forscher und Firmen, die andere von der Stanford-Universität. Die optimistischen Resultate lagen im selben Jahr vor. Anfang 1992 brachte die Presse erste Berichte. Es dauerte ein Jahr, bis die Projektpartner feststanden; am 1. Januar 1993 startete die erste Verbmobil-Phase und am 1. Januar 1997 die zweite. Das Projekt endete am 30. September 2000.

Das Ziel war ein Dolmetschersystem für die Sprachen Deutsch und Englisch sowie Deutsch und Japanisch; es ließ sich übers Festnetz oder per Mobiltelefon anrufen. Verbmobil nahm jeweils eine Äußerung in der einen Sprache entgegen, übersetzte sie in die andere und schickte die akustische Information an den Gesprächspartner. Dafür musste man dem System vorher die Telefonnummer sagen. War der Kontakt hergestellt, dann wurde der Dialog mit Übersetzung fortgesetzt. Die jeweilige Fremdsprache erkannte das System ganz allein.

Wie damals üblich, wurde ein flottes Video erstellt. Darin sehen wir bei Minute 3:25 den wissenschaftlichen Direktor des Verbmobils, Wolfgang Wahlster. 1953 in Saarbrücken geboren, studierte er Informatik und Linguistik in Hamburg. Hier befasste er sich mit dem Redepartnermodell und wurde später Projektleiter. Seit 1982 lehrt er das Fach Informatik in Saarbrücken. 1988 war Wahlster wissenschaftlicher Gründungsdirektor des Deutschen Zentrums für Künstliche Intelligenz DFKI, seit 1997 ist er Vorsitzender der Geschäftsführung.

Das DFKI gehörte zu den 31 Firmen, Universitäten und Instituten, die sich am Verbmobil beteiligten. Die Oberaufsicht hatte die Deutsche Forschungsanstalt für Luft- und Raumfahrt DLR. In knapp acht Jahren flossen 116 Millionen DM vom Staat ins Projekt, dazu kamen 52,6 Millionen aus der Privatwirtschaft. Insgesamt arbeiteten 369 Vollzeit-Wissenschaftler und mehr als 900 wissenschaftliche Angestellte und Studenten mit. Auf diese Weise führte Verbmobil zu 238 Diplomarbeiten, 164 Dissertationen und 16 Habilitationen.

Am Ende speicherte das System 10.157 deutsche, 6.871 englische und 2.566 japanische Wortformen und übertrug Dialoge zur Reiseplanung, Terminvereinbarung und zur Wartung von Computern. Die Software hörte genau hin und erkannte Bedeutungsvarianten, die aus unterschiedlichen Betonungen folgten. Man denke an Sätze wie „Wir brauchen noch einen Termin“ und „Wir brauchen noch einen Termin“. Sie merkte auch, wenn sich ein Sprecher mitten im Satz verbesserte, und übersetzte nur die korrigierte Aussage.

Wie oft in Deutschland führten die investierten Millionen zu keinem marktfähigen Produkt, brachten aber die Forschung voran. Das sieht man an Alexander Waibel, der im Verbmobil der Stellvertreter von Wolfgang Wahlster war. Waibel ist nicht nur Informatikprofessor in Karlsruhe und Pittsburgh, sondern ebenso geistiger Vater der oben erwähnten Jibbigo-App. 2012 entwickelte er den Lecture Translator zum Live-Übersetzen von Vorlesungen.

Wolfgang Wahlster referierte schon 1999 im Heinz Nixdorf MuseumsForum über das Verbmobil. Eine Verbmobil-Installation wurde 2001 in der großen HNF-Sonderausstellung Computer.Gehirn gezeigt. 2018 findet man Informationen zum Projekt vor allem im Internet – hier ist die Übersicht. Und ab Ende Oktober 2018 wird es im HNF völlig neue Bereiche zu den Themengebieten KI und Robotik geben, darunter natürlich auch etwas zur Spracherkennung.

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