100 Jahre EEG

Geschrieben am 05.07.2024 von

Am 6. Juli 1924 nahm Hans Berger, Direktor der Psychiatrischen Klinik der Universität Jena, zum ersten Mal Hirnströme eines Menschen ab. Daraus entwickelte sich die Technik der Elektroenzephalografie für die medizinische Diagnostik und Forschung. 1935 kam es zu einem Treffen von Berger und dem englischen Neurologen Grey Walter, der später durch mobile Roboter bekannt wurde.

Die alten Griechen interessierten sich nur wenig fürs Gehirn, ihr Wort dafür – „enképhalos“ („im Kopf“) – wurde aber zum medizinischen Fachausdruck. Dementsprechend ist die Elektroenzephalografie oder EEG die Aufzeichnung von Gehirnströmen. Das Kürzel meint sowohl die Technik als auch die anfallenden Daten, die Elektroenzephalogramme. Sie liegen meist als Wellen mit wechselnder Amplitude und konstanter Frequenz vor.

Dass Gehirne schwache Ströme erzeugen, entdeckte 1875 der englische Arzt Richard Caton bei Versuchen mit Kaninchen und Affen. Vor hundert Jahren zeigte Hans Berger, dass das ebenso für das menschliche Denkorgan gilt. Berger wurde am 21. Mai 1873 in der Nähe von Coburg geboren und wuchs hier auf. Sein Vater leitete das städtische Krankenhaus, der Großvater mütterlicherseits war der Dichter und Orientalist Friedrich Rückert. Hans Berger studierte Mathematik und Astronomie in Berlin, wechselte dann aber zur Medizin. 1898 machte er seinen Doktor in Jena, 1901 folgte die Habilitation.

Neuzeitliches EEG mit achtzehn Kanälen (Copyright UKJ/Klin. Medienzentrum/I. Rodigast)

Ab 1897 arbeitete Berger in der Psychiatrischen Klinik der Universität Jena, 1919 wurde er Direktor. Schon 1906 unterrichtete er als außerordentlicher Professor. Er befasste sich vor allem mit der Hirnrinde und suchte nach Beziehungen zwischen biologischen und geistigen Vorgängen. Er kannte die Resultate von Richard Caton und anderen Forschern, die tierische Gehirnströme analysierten, und wagte den Sprung zum Menschen. Der Patient war ein junger Mann, der nach einer Tumor-Operation eine Öffnung in der Schädeldecke aufwies.

Am 6. Juli 1924 verband Berger zwei Elektroden direkt mit dem Gehirn des Mannes und registrierte mit einem Galvanometer die elektrische Spannung. Später steckte er feine Nadeln in den Schädel der jeweiligen Versuchsperson. Publiziert hat er seine Ergebnisse erst 1929. Sein Artikel Über das Elektrenkephalogramm des Menschen umfasste 44 Seiten und enthielt siebzehn Abbildungen von EEG-Wellen. Berger unterschied Alpha-Wellen mit zehn Hertz von anderen mit zwanzig bis dreißig Hertz, die er Beta-Wellen nannte. Im Laufe der Zeit kamen Gamma-, Theta- und Delta-Wellen hinzu.

Artikel über Hans Berger aus dem „Kärntner Tagblatt“ vom 6. August 1930  (Foto ANNO)

1930 berichteten Zeitungen in Deutschland, Österreich und der Schweiz über Hans Bergers Forschungen. Ein schönes Beispiel ist diese Reportage vom 13. September des Jahres, wo wir auch einige technische Details erfahren. Hans Berger legte Silberplatten an einen Arm und an ein Bein an und führte zwei Silberstifte durch die Kopfhaut zum Schädelknochen; ihnen wurden die Gehirnströme entnommen. Die Aufzeichnung der Spannung erfolgte mit Ruß auf einem bewegten Papierstreifen. Eine Kamera hielt die Kurven fest.

1934 konnte der britische Neurologe Edgar Adrian – er gewann 1932 den Nobelpreis für Medizin – Hans Bergers Experimente wiederholen. Danach wurden sie auch in der Englisch sprechenden Welt akzeptiert. 1943 entstanden in einem Hospital in Washington dieser und ein zweiter Film, die das Verfahren in Farbe vorstellten. Aus dem Jahr 1957 stammt ein ungarischer Streifen, in dem zur Melodie von „Greensleeves“ EEGs abgenommen wurden. Bei Minute 1:30 drehte der Kameramann am geöffneten Gehirn, Neugierige seien gewarnt!

Vorführung eines Brain-Computer-Interface 2012 in der Technischen Universität Berlin: Die Versuchsperson bewegt nur mit Gehirnströmen die Schachfiguren auf dem Monitor.

1935 fuhr der Neurophysiologe Grey Walter von London nach Jena, um dort Hans Berger zu treffen. Er schilderte ihn im Buch „Das lebende Gehirn“, das 1953 in England und 1961 bei uns herauskam. Walter hatte einen guten Eindruck von Berger, meinte aber: „[Er] wußte überhaupt nichts von den technischen und physikalischen Grundlagen seiner Methode und ebensowenig von Mechanik oder Elektrizität… Berger trieb das Problem so weit voran, wie es seine technischen Hemmnisse erlaubten.“ Walter verstand mehr von Physik und Technik und schuf ab 1949 kleine mobile Roboter, die selbständig agierten und lernten.

Hans Berger starb am 1. Juni 1941 in Jena; eine exzellente Einführung in sein Leben und Werk steht hier. Das EEG zählt zu den wichtigsten Verfahren in der Neurologie; 1973 führte es zum Brain-Computer-Interface, das heute vielfältig eingesetzt wird. EEGs finden sich auch in der Science-Fiction und in der populären Psychologie, man denke an das Neurofeedback. Die Deutsche Gesellschaft für Klinische Neurophysiologie und Funktionelle Bildgebung DGKN feiert am Samstag den 100. EEG-Geburtstag in Jena; wer also noch nichts vorhat, kann sein MindWave-Headset aufsetzen und sich ins Getümmel stürzen.

EEG im HNF, aufgenommen 2006. Beim Mindball-Spiel wird am Gehirn die Entspannung gemessen. Die Kugel rollt dorthin, wo die relaxtere Spielerin sitzt. (Foto Jan Braun/HNF)

Am Sonntag gibt es dann ohne Bezug zum Gehirn Die perfekte Welle: so lautet der Titel vom diesjährigen Sommerfest des HNF. Es findet hinterm Haus an der Pader und natürlich auch im Gebäude statt. Der Eintritt ist den ganzen Tag frei, das HNF öffnet um 10 Uhr vormittags.

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