Abakus gegen Rechenmaschine
Geschrieben am 07.11.2016 von HNF
Der Soroban ist der japanische Abakus. Mit ihm kann man Zahlen speichern und Berechnungen ausführen. Am 11. November 1946 fand in Tokio ein denkwürdiger Wettkampf statt. Der japanische Beamte Kiyoshi Matsuzaki und der US-Soldat Thomas Wood kämpften mit Soroban und elektrischer Rechenmaschine gegeneinander. In vier von fünf Runden war der Abakus schneller als die Maschine.
Das älteste Rechengerät der Menschheit nach den Fingern der Hand ist der Abakus. Es gab ihn im antiken Rom und ebenso im alten China. Von dort gelangte er vor 400 Jahren nach Japan. Der Soroban, wie er in diesem Land heißt, besitzt zwischen 13 und 31 Bügel, auf denen fünf oder – siehe Eingangsbild – sechs Ringe sitzen. Die Ringe einer Bügels drücken eine Ziffer von 0 bis 9 aus. Der Soroban ist also ein Zahlenspeicher, mit dem man durch zusätzliche Denkarbeit auch rechnen kann.
Für Anleitungen möchten wir auf das Internet verweisen, denn unser Thema hat mehr mit Soroban-Geschichte zu tun. Vor 70 Jahren, am 11. November 1946, erlebte das Gerät in Tokio seine größte Stunde. In einem Rechenwettkampf traten Kiyoshi Matsuzaki vom japanischen Postministerium und der amerikanische Soldat Thomas Wood gegeneinander an. Matsuzaki bediente einen Soroban, Wood eine elektrische Vier-Spezies-Rechenmaschine, vermutlich eine Friden ST 10. Die Konkurrenz umfasste fünf Runden. Bei vier der fünf Aufgaben war der Japaner schneller.
Der Wettstreit ging über die Bühne des 1934 errichteten Takarazuka-Theaters. Dieses zeigte jahrelang Revuen und Musical, mit einem Ensemble, das nur aus Frauen bestand. 1945 wurde Japan nach dem verlorenen Krieg von der amerikanischen Armee besetzt. Das Theater diente jetzt der Truppenbetreuung und erhielt einen neue Namen: Ernie-Pyle-Theater. Pyle war ein US-Kriegsreporter, der im April 1945 bei der Schlacht um Okinawa den Tod fand. 1955 erhielt das Haus den alten Namen und Verwendungszweck zurück. 1998 wurde es abgerissen und durch einen Neubau ersetzt.
Veranstalter der Konkurrenz war die Soldatenzeitung „Stars and Stripes“. Der US-Vertreter Thomas Wood arbeitete in der Finanzabteilung des Besatzungsverwaltung und ging aus einer Vorauswahl hervor. Sein Gegner Kiyoshi Matsuzaki galt als Soroban-Meister. Vermutlich nahm er den höchsten Rang der Rechenfähigkeit ein, der landesweit nach traditionellen Vorschriften ermittelt wurde. Der Kampf umfasste insgesamt fünf Runden. Vier enthielten Aufgaben nach Grundrechenarten getrennt, die fünfte bestand aus Problemen mit allen vier Spezies.
Die Aufgaben wurden angeblich durch Zuruf gestellt. Wie die Resultate notiert wurden, ist unbekannt. Ein Buch von Takashi Kojima aus dem Jahr 1954 überliefert aber einige Details des Wettrechnens, und wir fassen sie mit Ab- und Aufrunden auf volle Sekunden zusammen. Bei der Startrunde addierten die Kämpfer in zwei Durchgängen jeweils fünfzig drei- bis sechsstellige Zahlen. Matsuzaki schaffte das in 1 Minute und 15 Sekunden bzw. in 1 Minute und 16 Sekunden. Wood brauchte dagegen 2 Minuten bzw. 1 Minute und 53 Sekunden.
In Runde 2 waren jeweils fünf Subtraktionen mit zehn sechs- bis achtstelligen Zahlen zu bewältigen. Der erste Durchgang ging mit 1 Minute an den Japaner; Wood benötigte 1:30 Minuten. Der nächste Durchgang endete unentschieden, da beide Konkurrenten bei einer Rechnung patzten. Im dritten Durchgang war Matsuzaki erneut nach einer Minute fertig. Wood kam 22 Sekunden später ins Ziel und hatte sich außerdem einmal verrechnet. Damit lag der Japaner 2:0 vorne.
In der nächsten Runde mussten fünf Mal Zahlen mit fünf bis zwölf Stellen multipliziert werden. Beide Konkurrenten verrechneten sich im ersten Durchgang einmal. In Durchgang 2 rechneten sie richtig. Der Japaner war mit 1:19 Minuten eine Sekunde schneller als der Amerikaner. Im dritten Durchgang unterliefen Wood – Rechenzeit 1:54 Minuten – ein Fehler und Matsuzaki – seine Zeit betrug 2:14 Minuten – deren zwei. Der Sieg wurde Wood zugesprochen, und es hieß nur noch 2:1 für Japan.
Runde 4 brachte die Vorentscheidung. Zu erledigen waren fünf Divisionen mit fünf- bis zwölfstelligen Zahlen. Matsuzaki hatte im ersten Durchgang mit 1:37 Sekunden die Nase vorn; Wood rechnete 11 Sekunden länger. Im zweiten siegte Wood mit 1:19 Minuten; Matsuzaki brauchte 1:23 Minuten und machte zudem einen Fehler. Durchgang drei beendete er aber fehlerfrei in 1:21 Minuten, während sein Gegner erst nach 1:27 Minuten und mit einem Rechenfehler seine Maschine stoppte.
Damit führt der Japaner 3:1 und gewann auch die letzte Runde. Hier warteten zehn Aufgaben mit allen vier Grundrechenarten. Kiyoshi Matsuzaki legte nach 1 Minute und 21 Sekunden den Soroban beiseite. Die letzte Anzeige auf Thomas Woods Rechner erfolgte nach 1 Minute und 27 Sekunden. Dem Buch von Takashi Kojima zufolge löste der Amerikaner nur vier der zehn Aufgaben korrekt. Er war anscheinend nicht mehr ganz bei der Sache. Das Endresultat war aber klar – der asiatische Abakus hatte die westliche Rechentechnik 4:1 geschlagen.
Die Rechentechnik schlug in den kommenden Jahrzehnten zurück, nicht zuletzt in Form der Taschenrechner, die japanische Firmen produzierten und exportierten. Der Soroban geriet aber nicht in Vergessenheit. Der Umgang mit ihm gehört zum Lehrplan japanischer Grundschulen. Hier ist noch ein Film, der ein Wettrechnen mit dem chinesischen Abakus Suan-Pan zeigt. Er entstand 1967 in Hongkong. Die beteiligte Rechenmaschine ähnelt der tschechischen Nisa.
Eine Anmerkung zur Chronologie: Nach dem Bericht der „Nippon Times“, den auch Takashi Kojima zitiert, fand der Wettkampf von Tokio an einem Montagnachmittag statt. Das kann nur der 11. November 1946 gewesen sein. Dafür sprechen ebenso Artikel in US-Zeitungen mit diesem Datum, was sich durch die Datumsgrenze im Pazifik erklären lässt. Die Reportage des Veranstalters „Stars and Stripes“ erschien – wie hier erkennbar – am 12. November.
Ich bin gerade auf Ihren Blog geraten und muss sagen, hammer!
Er lässt sich sehr gut lesen und bietet historische Informationen die sehr interessant sind. Für meinen Teil wusste ich gar nicht, dass die Japaner wirklich so involviert waren.
Man lernt also nie aus.. 🙂