Aliens im Bildschirmschoner: 20 Jahre SETI@home
Geschrieben am 17.05.2019 von HNF
Der Weltraum: Unendliche Weiten, und darin wohnen vielleicht andere denkende Wesen. Schon lange bemühen sich Forscher, sie durch Funk nachzuweisen. Seit dem 17. Mai 1999 kann sie jeder Internet-Nutzer suchen; damals startete das weltumspannende Netzprojekt SETI@home. Auf den beteiligten Computern prüft ein Programm, ob in den Daten eines Radioteleskops die Botschaft einer außerirdischen Intelligenz steckt.
„Ein Bildschirmschoner, der in Arbeitspausen nicht einfach nur bunte Bildchen auf den Bildschirm zaubert, sondern statt dessen etwas Sinnvolles tut. Ab sofort kann jeder, der auf seinem Schreibtisch einen PC, Mac oder Unix-Rechner stehen hat, amerikanischen Wissenschaftlern bei der Suche nach außerirdischem Leben behilflich sein.“
Das meldete vor zwanzig Jahren ein Hamburger Nachrichtenmagazin. Das „Ab sofort“ war wörtlich zu nehmen: am 17. Mai 1999 erschien nicht nur die zitierte Ausgabe des SPIEGEL, es begann auch die im Heft beschriebene Internet-Aktion SETI@home. SETI steht für „Search for ExtraTerrestrial Intelligence“, Suche nach außerirdischer Intelligenz. So nennt man reale oder erdachte Lebewesen auf Planeten ferner Sterne, die eine technische Kultur wie die unsrige oder auf einer noch höheren Stufe entwickelten.
Die Vor- und Frühgeschichte von SETI möchten wir überspringen. Das erste moderne SETI-Unternehmen war 1960 Projekt Ozma. Das Radioteleskop Green Bank im US-Bundesstaat West Virginia belauschte 150 Stunden lang zwei Fixsterne auf der Frequenz 1.420 Megahertz. Es wurde nichts Besonderes gehört. Weitere Forschungen fanden in der Sowjetunion, in Australien und wieder in den USA statt. In den 1980er-Jahren wirkte das Observatorium im französischen Nancay an der Alien-Suche mit.
Im Unterschied zu jenen Projekten läuft SETI@home im Büro oder im Wohnzimmer. Wer teilnehmen möchte, lädt sich ein Programm – 1999 umfasste es 700 Kilobyte – aus dem Internet herunter und installiert es auf dem Computer. SETI@home ist ein anspruchsvoller Bildschirmschoner. Wenn der Rechner nichts zu tun hat, schaltet es sich ein. Die Software überprüft Daten, wie im Video und der Grafik unten zu sehen. Die senkrechten Streifen einer Reihe bilden das Spektrum eines Signals; links stehen tiefe und rechts hohe Frequenzen. In jeder Videosequenz kommen ganz vorn neue Spektren hinzu.
Ein SETI@home-Programm enthält von der Projektzentrale – sie sitzt in der kalifornischen Universität Berkeley – per Internet seine Datenpakete. Nach dem Durcharbeiten eines Pakets kommt das nächste an die Reihe. Die Software konzentriert sich auf Signale, die aus dem Rahmen fallen, sie sucht ausgeprägte Spitzen und ebenso Wiederholungen. Die Frequenz liegt bei den schon erwähnten 1.420 Megahertz; dieser Kanal weist im gesamten elektromagnetischen Spektrum die besten Übertragungsbedingungen auf.
Erfinder von SETI@home ist der Softwareentwickler David Gedye. Am 11. Dezember 1994 feierte er seinen 35. Geburtstag, nicht in seiner australischen Heimat, sondern in der amerikanischen Stadt Seattle. Hier arbeitete er für die Internet-Firma Starwave, ein Start-up von Microsoft-Mitgründer Paul Allen. Auf der Geburtstagsparty sprach man über die Mondlandung vom Juli 1969 und ob es in Zukunft ein Ereignis geben könnte, das die Öffentlichkeit in gleicher Weise fesselt. Und da traf Gedye der Geistesblitz.
Ein Freund informierte den Astronomen Woodruff Sullivan; er lehrte an der Universität in Seattle und interessierte sich für SETI. Sullivan stellte den Kontakt zu Dan Werthimer her, der ein SETI-Unternehmen in der Universität von Kalifornien in Berkeley leitete. Vierter im Bunde war David Anderson, ein Spezialist für verteilte Computer-Systeme. 1997 spendierte Starwave 10.000 Dollar, zweimal 50.000 Dollar kamen vom Filmstudio Paramount und der gemeinnützigen Planetary Society. Auch der Computerhersteller Sun stiftete Geld.
Ab dem 17. Mai 1999 bot die SETI@home-Zentrale in Berkeley die Software an. Über ein Standardmodem mit 28,8 Kilobit pro Sekunde dauerte das Herunterladen fünf Minuten. Nach einer Woche suchten schon 298.000 Interessenten nach außerirdischen Funkspuren. Im August 1999 wurde der millionste Nutzer des Programms gezählt, ein knappes Jahr später waren es zwei Millionen. Hier geht es zur Internetseite von 1999, einen Filmbericht aus dem Jahr 2000 liefert YouTube.
Hauptquelle der Signale ist das Radioteleskop von Arecibo, eine 305 Meter messende Aluminiumschüssel auf Puerto Rico. Zusätzliche Daten liefert das Green-Bank-Observatorium. Arecibo wird von der Nationalen Wissenschaftsstiftung der USA und einer Universität in Florida betrieben. Von der Fertigstellung 1963 bis 2011 nutzte es die Cornell University. Die riesige Antenne ist von der Konstruktion her ortsfest; ihre Ziele werden durch eine bewegliche Instrumentenplattform angepeilt.
Darin wurde nun der Empfänger für die SETI@home-Wellen installiert. Mit anderen Worten: Das Projekt beansprucht keine eigene Beobachtungszeit, sondern hängt sich an andere Forschungskampagnen an. Die Zeit vom Projektstart vor zwanzig Jahren bis etwa 2005 gilt als die klassische Ära mit passender Internetseite. Seit Juni 2004 benutzt das Netzwerk die Plattform BOINC alias Berkeley Open Infrastructure for Network Computing. Dort ist SETI@home eines von mehreren Systemen des verteilten Rechnens.
Laut dem Guinness Buch der Rekorde ist SETI@home das größte Computerprojekt aller Zeiten. 2013 beteiligten sich daran 145.000 Rechner in 233 Ländern. Insgesamt zählt die BOINC-Statistik 1,766 Millionen Benutzer, von denen 90.000 gegenwärtig aktiv sind. Die schlechte Nachricht ist, dass bis heute keine Mail eines außerirdischen Absenders eintraf. Aus der klassischen Zeit gibt es interessante Signale und eine Liste mit vielversprechenden Kandidaten; einer schaffte es in die Wikipedia. Wirklich nachgewiesen wurde nichts.
Wen das nicht schreckt, der findet auf der Website von SETI@home den Link zur Teilnahme. Die deutschen Freunde des Projekts organisierten sich hier und hier. Unser Eingangsbild zeigt das Arecibo-Teleskop; über der Schüssel schweben die Empfänger (Foto Courtesy of the NAIC – Arecibo Observatory, a facility of the NSF). Unten ist die 26-Meter-Antenne von Green Bank im Jahr 1985; davor stehen die Astronomen, die 1960 zum allerersten Mal auf Alienjagd gingen.
Zum Abschluss der Hinweis, dass am Sonntag, dem 19. Mai, das HNF am Internationalen Museumstag teilnimmt. Außerirdische gibt es nicht zu sehen, wohl aber den Blechroboter Mathilde und den wieder zum Leben erwachten Schachtürken. Der Eintritt ist am Feiertage frei, und wir freuen uns auf Ihren Besuch.