Als die Bilder breiter wurden
Geschrieben am 08.03.2024 von HNF
Sonntag ist Oscar-Nacht, und sicherlich gibt es viel Atomphysik – Stichwort Oppenheimer – und wenig Informatik. Deshalb steigen wir in die Filmgeschichte ein und betrachten die Entwicklung des Breitbilds seit 1952. Es erlebte seine Premiere mit der Cinerama-Technik; es folgten CinemaScope und technisch ähnliche Formate. Ganz analog verdrängten bei Fernsehern und Computern 16:9-Monitore die 4:3-Bildschirme.
Falls Sie unseren Blog nicht auf dem Smartphone, sondern auf dem heimischen Rechner lesen, dann schauen Sie vermutlich auf einen Monitor im Breitformat. Dieses ist keine Idee der Computerindustrie, sondern stammt aus der Kinotechnik. Eine Natural Vision gab es schon in den 1920er-Jahren. Die Filmbilder maßen 63,5 Millimeter und waren doppelt so breit wie hoch. Das Verfahren Fox Grandeur nutzte einen 70-Millimeter-Streifen. Der mit ihm gedrehte Western The Big Trail von 1930 liegt komplett auf YouTube vor.
Ab 1932 zeigten alle Kinos 35-Millimeter-Filme im sogenannten Akademie-Format. Es hatte das Seitenverhältnis 11:8 oder 1,375:1; das entspricht etwa dem Eingangsbild unseres Blogs. Am 30. September 1952 begann ein neues Zeitalter der bewegten Bilder: In New York wurde This Is Cinerama uraufgeführt. Drei parallel laufende Projektoren warfen den Film auf eine riesige gebogene Wand; das Format betrug 2,6:1. Manchmal sah man jedoch die Grenzen der Teilbilder. 1958 entstanden das technisch verwandte System Cinemiracle und das Kinopanorama in der Sowjetunion.
Mit einem Projektor kam CinemaScope aus, eine Erfindung des Franzosen Henri Chrétien. Hier wurde beim Drehen die Szenerie durch eine spezielle Linse in der Breite komprimiert. Beim Vorführen machte eine andere Linse die Stauchung rückgängig. Das Resultat hatte das Seitenverhältnis 2,55:1; das war fast doppelt so breit wie das Akademie-Format. Der erste CinemaScope-Film The Robe („Das Gewand“) startete am 17. September 1953 in den USA. Der junge Richard Burton spielte einen römischen Offizier im biblischen Jerusalem. Der Film ist in voller Länge und Breite und mit himmlischen Chören online.
Der nächste wichtige Tag der Breitbild-Geschichte war der 11. Oktober 1955, als in New York der Film Oklahoma! seine Premiere erlebte. Er basierte auf dem Musical von Richard Rodgers und Oscar Hammerstein. Aufgenommen wurde er gleichzeitig in CinemaScope und mit der verzerrungsfreien Todd-AO-Technik, einer Idee des Theaterproduzenten Mike Todd. Durch die Kamera läuft ein 65 Millimeter breiter Film; in den Kinos kommen 70-Millimeter-Kopien zum Einsatz. Das ist ein Ausschnitt aus der CinemaScope-Version.
Ein globaler Erfolg war die zweite Todd-AO-Produktion, die Verfilmung des Romans „In 80 Tagen um die Welt“ von Jules Verne. Die Premiere fand am 17. Oktober 1956 ebenfalls in New York statt. Der Engländer David Niven spielte den erdumkreisenden Phileas Fogg, seinen Diener Passepartout verkörperte der mexikanische Komiker Cantinflas. Die deutsche Version des Streifens liegt im Internet Archive. Sie beginnt mit einem Exkurs in die Kinogeschichte und endet mit der Titelsequenz, die normalerweise am Anfang eines Filmes steht.
Ab Mitte der 1950er-Jahre bildete sich eine Fülle von Breitbild-Verfahren heraus. Größere Bedeutung erlangten Panavision, ein Abkömmling von CinemaScope, und Techniscope, das „CinemaScope für Arme“. Die Szenerie gelangte hier direkt auf den 35-Millimeter-Film, ihn füllten also viele schmale Einzelbilder. Sie wurden erst auf der Kopie fürs Kino komprimiert und bei der Projektion aufgebläht. Das Akademie-Format ist weitgehend ausgestorben; unkomprimierte oder nicht-anamorphotische Filme werden heute im Seitenverhältnis 1,66:1 oder 1,85:1 gezeigt. Das vom Fernsehen bekannte 16:9-Format liegt dazwischen.
Lichtspielhäuser in der DDR führten 1957 die CinemaScope-ähnliche Totalvision ein. 1960 lief der utopische Film Der schweigende Stern in dem Format. Auffällig sind die zahlreichen Schwarzweiß-Produktionen. Zehn Filme nutzten ab 1967 DEFA 70, etwa die Präsentation der Technik und der Science-Fiction-Streifen Eolomea. Eine DEFA-70-Kamera steht in Potsdam, bitte etwas scrollen. In der BRD segelte 1962 der Flying Clipper auf 70 Millimetern – das war der Trailer. Die beliebten Karl-May- und Edgar-Wallace-Verfilmungen griffen auf CinemaScope und das westdeutsche System Ultrascope zurück.
Die breit- und normalwandigen Kinofilme lösten die Entwicklung der Fernsehnorm HD-MAC im Format 16:9 aus. Sie sollte das vertraute 4:3-Bild ablösen, das mehr oder weniger dem Akademie-Format entsprach. Ihre Einführung scheiterte aber in den 1990er-Jahren. Erst 2007 strahlten die öffentlich-rechtlichen Sender in Deutschland das gesamte Programm in 16:9 aus, die Privatsender folgten 2008. Das alte Seitenverhältnis finden wir erstaunlicherweise in der IMAX-Technik wieder. Hier läuft ein 70-Millimeter-Film horizontal durch den Projektor.
Wir schließen mit einem SPIEGEL-Artikel vom Februar 1954 zum CinemaScope-Verfahren. Wenig später gewann der damit gedrehte Film „Das Gewand“ zwei Oscars. Allen Lesern und Leserinnen wünschen wir am Sonntag eine unterhaltsame Oscar-Nacht 2024. Wir drücken natürlich die Daumen für „Indiana Jones und das Rad des Schicksals“; dieses wurde in der Kategorie Filmmusik nominiert. Der Streifen ist wahrscheinlich der erste und der letzte, der mit einem altgriechischen Computer zu tun hat.