Aufbruch in die Audiovision
Geschrieben am 27.08.2021 von HNF
Funkausstellungen gibt es seit 1924, die erste Internationale Funkausstellung oder IFA eröffnete vor fünfzig Jahren in Berlin. Ihr Hauptthema war die Audiovision. Der Ausdruck bezeichnete Techniken zum Speichern und Abspielen von Filmen, die Normalbürger und -bürgerinnen bezahlen konnten. Von der Bildplatte bis zur Videokassette zeigte die IFA die Zukunft der Medien vor der großen Digitalisierung.
Was heute Multimedia genannt wird, hieß 1971 Audiovision. Das waren Methoden zum Genuss bewegter Bilder außerhalb der gewohnten Fernsehtechnik und für private Nutzer. Vor fünfzig Jahren standen sie im Mittelpunkt der Funkausstellung, der ersten, die sich mit dem Wort „International“ schmückte. Vom 27. August bis zum 5. September 1971 trafen sich 224 Aussteller auf dem Berliner Messegelände. 2006 wurde aus dem Zwei-Jahre-Rhythmus die jährliche IFA.
Die Audiovision kam nicht plötzlich. Das Wort ist 1968 im Deutschen belegt; 1970 waren die wichtigsten Systeme bekannt. In jenem Jahr enthüllte Telefunken die Bildplatte. Auf der IFA zeigte sie ihre Fähigkeiten mit Farbfilmen. Schon 1964 brachte Philips einen Videorekorder für mehrere tausend Mark heraus. 1969 kostete ein Bandgerät von Grundig nur noch 1.900 DM. Auf der Funkausstellung präsentierten Philips, Grundig und Loewe Opta die Prototypen der VCR-Familie. Mit ihnen ließ sich eine Stunde Fernsehen aufnehmen und wiedergeben.
Eine amüsante Einführung in die schöne neue Medienwelt liefert ein TV-Bericht vom März 1971. „Mutti, der Kassettenmann ist da“, rufen die Kinder; er bringt Mathe-Nachhilfe für den Sohn und einen Ludwig-Ganghofer-Streifen für Mama. Anschließend sehen wir einen Videorekorder aus Japan und weitere Audiovisions-Systeme, auch solche auf Zelluloid-Basis. Im Juli erschien der SPIEGEL mit einer Geschichte zum TV à la carte; auf dem Cover versank ein Vater mit Kind in einer Flut von Filmbuchsen. Im August startete die IFA.
Die Wochenschau (ab Minute 2:05) begann mit Frank Elstner und den Les Humphries Singers; es folgten ein Bildtelefon von Siemens und ein Telefon ohne Bild für Autos. Der audiovisionäre Teil stellte die Telefunken-Platte und einen VCR-Rekorder von Philips vor. Die beiden Techniken hob auch ein ZEIT-Artikel zur IFA hervor, den man hier und hier nachlesen kann. In Berlin konnte man noch mehr entdecken, etwa das Electronic Video Recording EVR. Es stammte aus der Forschung des amerikanischen Fernsehnetzes CBS.
Das System verwendete einen Filmstreifen, auf den Elektronenstrahlen die Einzelbilder eines Videos auftrugen. Das trickreiche Verfahren speicherte den Schwarzweiß-Auszug und daneben die Farbinformationen. Bei der Wiedergabe wurde der Streifen mit konzentriertem Licht abgetastet; aus den gewonnenen Informationen entstand das Bild für den Fernseher. Ein ähnliches Leseverfahren finden wir bei der Colorvision der Firma Nordmende. Das Ausgangsmaterial waren auf normalem Wege produzierte Super-8-Filme.
Auch zwei große Versandhäuser sprangen auf den Audiovisionszug auf. Quelle hatte ein Gerät für Rückprojektionen im Programm; zum Abspielen gab es Filme mit Unterhaltung, Populärwissenschaft oder Medizin. Neckermann bot einen Projektor des Herstellers Eumig und Filmkassetten mit Musik an. Bei beiden war der Philips-Rekorder LDL 1000 samt Kamera erhältlich, bei Neckermann außerdem das Videoband Die Lady aus dem Weltraum mit Dietmar Schönherr und Vivi Bach. Die YouTube-Götter bewahrten es der Nachwelt; hier ist der erste und hier der zweite Teil.
Fünfzig Jahre nach der Audiovisions-IFA erstaunen die technischen Visionen und die Begeisterung von Ingenieuren und Managern für verrückte Ideen. Manche Träume platzten schnell. Die Bildplatte floppte, und bei den Videorekordern triumphierte das japanische VHS-System, das 1971 noch gar nicht existierte. Es verschwand im 21. Jahrhundert im Zuge der allumfassenden Digitalisierung. Zum Schluss drücken wir der Messe Berlin die Daumen, dass es 2022 mit der nächsten Internationalen Funkausstellung klappt.