Auto oder Ziege?
Geschrieben am 30.01.2020 von HNF
Im Februar 1975 veröffentlichte die Zeitschrift „The American Statistician“ einen Brief des Statistikers Steve Selvin. Er lehrte an der Universität von Kalifornien in Berkeley und wies auf eine Paradoxie hin, die später als Ziegenproblem bekannt wurde. In den USA nennt man sie „Monty Hall Problem“. Sie zeigt, wie leicht uns die Wahrscheinlichkeitsrechnung aufs Glatteis führt.
Ein Fernsehstudio, eine Quizshow, ein Kandidat. Vor ihm liegen drei geschlossene Kästchen A, B und C. Eines enthält den Schlüssel für einen tollen Wagen, die anderen sind leer. Der Kandidat soll die Box mit dem Schlüssel finden, dann gehört das Auto ihm. Er zeigt auf B. Der Quizmaster ergreift A und öffnet das Kästchen: Es ist leer. „Bleiben Sie bei Ihrer Wahl?“ fragt der Moderator und deutet auf Box C. Was soll unser Kandidat jetzt tun?
So trat ein mathematisches Paradoxon in die Welt, das bis heute die Gemüter bewegt. Es erschien zuerst als Leserbrief im Februarheft 1975 der Zeitschrift „The American Statistician“; verfasst hatte ihn Steve Selvin, Statistiker der Universität von Kalifornien in Berkeley. Das komplette Schreiben ist online, bitte das Kreuzchen rechts oben anklicken, um die Paywall zu entfernen. Selvin erwähnte im Text die Quizshow „Let’s Make a Deal“ und Quizmaster Monty Hall; in den USA heißt das Rätsel seitdem das Monty Hall Problem.
Eine breite Leserschaft fand es am 9. September 1990. An jenem Tag stand es in der Kolumne der Journalistin und Schriftstellerin Marilyn vos Savant im Magazin „Parade“, das jeden Sonntag 700 amerikanischen Zeitungen beiliegt. Die Autorin baute das Paradoxon um. Sie ersetzte die drei Kästen durch drei Türen; dahinter warten ein Auto zum Mitnehmen oder zwei Ziegen. Der Kandidat deutet auf eine Tür, etwa die ganz links. Daraufhin öffnet der Quizmaster eine der anderen – es schaut eine Ziege heraus – und fragt wie oben zitiert.
Marilyn vos Savant wie zuvor Steve Selvin machten deutlich, dass der Kandidat nicht bei der ursprünglichen Entscheidung bleiben sollte. Wenn er das andere ungeöffnete Kästchen oder die verschlossene Tür wählen würde, käme er eher zum Auto. „Parade“ wurde daraufhin von Leserpost überschwemmt; neunzig Prozent der Absender bezweifelten die Lösung, bei den Akademikern waren es zwei Drittel. 1991 berichteten ZEIT und SPIEGEL über die Debatte, 1992 wurde ein Taschenbuch zum Ziegenproblem herausgebracht. Dieser Name bürgerte sich bei uns ein.
Wer hat nun recht? Die intuitiv naheliegende Lösung ist sicher, bei der ersten Entscheidung zu bleiben. Dazu betrachten wir – siehe unten – die Türen, die wir A, B und C nennen. Der Kandidat wählt die gelbe Tür A, der Quizmaster öffnet danach die Nachbartür B mit einer Ziege dahinter. Das Auto steht hinter A oder C, die andere Ziege hinter C oder A. Es gibt zwei Möglichkeiten, beide erscheinen gleich wahrscheinlich. Es brächte also wenig, Tür C statt A zu nehmen. Die Logik gilt ebenso für Tür B, falls der Quizmaster Tür C aufmachen sollte.
Der Ansatz ist aber leider falsch, denn es gibt nicht zwei, sondern drei Möglichkeiten. Wir erkennen das, wenn wir die denkbaren Positionen des Autos auflisten. Jede Verteilung ist gleich wahrscheinlich, oder in Zahlen ausgedrückt, sie hat die Wahrscheinlichkeit 1/3. Unser Kandidat entscheidet sich wieder für Tür A. Der Quizmaster öffnet Tür B oder Tür C; dahinter meckert jedes Mal eine Ziege. Bei der Verteilung in der obersten Zeile – siehe Bild unten – steckt hinter der anderen Tür Ziege Nr. 2, bei zwei Kombinationen steht dort das Auto.
Das bedeutet: Wer nach Vorzeigen der Ziege von der zunächst gewählten Tür A zur letzten noch geschlossenen Tür geht, erhält mit der Wahrscheinlichkeit 2/3 den Wagen. Das folgt aus der Regel, dass wir ein Ereignis X oder ein Ereignis Y mit der Wahrscheinlichkeit p + q erwarten können, wenn X mit p und Y mit q eintritt. Wer bei der ersten Entscheidung und bei Tür A bleibt, wird nur mit Wahrscheinlichkeit 1/3 das Auto finden. Mit Wahrscheinlichkeit 2/3 meldet sich eine Ziege. Es bringt wirklich mehr, die Türen zu wechseln.
Einen experimentellen Beweis bietet der Ziegenproblem-Simulator der Technischen Universität Hamburg. Zum Abschluss sei erwähnt, dass man das Paradoxon – oder das scheinbare Paradoxon – weiter vereinfachen kann. Es funktioniert nämlich auch ohne Ziegen, mit drei Türen und einem Auto. Statt der Geiß erscheint ein leerer Raum, und Steve Selvin hatte 1975 bereits zwei leere Kästchen. Aber auch die Wahrscheinlichkeitstheorie braucht Gefühle, und deshalb kommen jetzt zwei süße Zicklein – Määäh!
Sehr schöner Beitrag. Leider führt der Link zur Animation quasi ins Leere. Den Flash-Player gibt es auf den Smartphone hat nicht und moderne Browser haben die Unterstützung seit Jahren aus guten Gründen eingestellt.
Schade.
Vielen Dank für den Hinweis! Wir haben nun auf eine andere Animation ohne Flash verlinkt: https://www.mat.tuhh.de/veranstaltungen/nachtdeswissens/