Bürowelt 1930
Geschrieben am 29.01.2019 von HNF
In den 1920er-Jahren erreichte die Bürotechnik Buchhalter und Sekretärinnen. Immer mehr Geräte halfen ihnen beim Schreiben, beim Rechnen und beim Duplizieren. Anfang 1930 erstellte der Schweizer Fachverlag Organisator A.-G. eine Übersicht über Büromaschinen, die im Lande erhältlich waren. Sie vermittelt uns auch ein Bild der Arbeitswelt in Deutschland und über die Frühzeit der Büroautomation.
„Sogar der Handwerker, der seine Buchhaltung und Korrespondenz selbst, ohne Angestellte, besorgt, schreibt seine Rechnungen und Briefe mit der Schreibmaschine, und in den Büros der öffentlichen Verwaltungen, die sich naturgemäß am längsten gegen die Modernisierung sträubten, haben fast alle Büro-Maschinen ihren Einzug gehalten.“
So begann vor 89 Jahren der anonyme Redaktor, wie die Schweizer sagen, das Buch „Moderne Büro-Maschinen“. Es schilderte nach eigenen Angaben die 104 wichtigsten Geräte, die die Eidgenossen damals erwerben konnten. Auf 52 Seiten mit Beschreibungen folgten noch 25 Seiten Anzeigen und sechs Seiten Hinweise zur Fachliteratur. Herausgeber war die Verlag Organisator A.-G. aus Zürich; inhaltlich basierte es auf Artikeln der Monatszeitschrift „Der Organisator“ aus den 1920er-Jahren.
In jenem Jahrzehnt verbreitete sich die Bürotechnik, wie sie bis in der Nachkriegszeit üblich war. Sie war weitgehend mechanisch und entsprechend laut und stressig. Unser Buch zeigt sie in ihrer ganzen Vielfalt – es fehlt eigentlich nur das Telefon – und in den meisten Fällen mit dem Ladenpreis. Zur Orientierung sei gesagt, dass der Monatslohn eines Facharbeiters in den späten Zwanzigern rund 300 Schweizer Franken betrug. „Moderne Büro-Maschinen“ kann man hier online lesen und über diesen Link herunterladen.
Das Werk ist alphabetisch geordnet. Es beginnt mit den Adressiermaschinen, die drei Klassen bilden: mit Metallplatten, mit Adresskarten und mit gesetzten Zeilen. Danach kommen der Buchstabe B und die Briefschließmaschine Velopost. Es schließt sich die große Gruppe der Buchhaltungsmaschinen an. Die wichtigsten Untergruppen sind die rechnenden Schreibmaschinen und die schreibenden Rechenmaschinen. Bei ihnen treffen wir auch die Continental der Firma Wanderer, aus der später die Nixdorf Computer AG werden sollte.
Weiter geht’s im ABC. Das D bringt uns die Diktiermaschinen mit Tonwalzen, das F die Fakturiermaschinen. In diese Kategorien fallen eine Buchungsmaschine, die multiplizieren kann, und zwei weniger schlaue Geräte für lange Formulare. Außerdem gibt es – wir bleiben beim F – einen Frankierautomaten. Wir springen dann zu den Kartotheken, den Datenbanken der Vorkriegszeit. Die Sichtkarteien blättern Karten auf, der „Oganon-Selector-Findex“ arbeitet aber mit gelochten Pappbögen, aus denen man mit einem langen Stab die passenden auswählt.
Beim zweiten K-Wort, den Kopiermaschinen, bietet der Büroführer nur einen Artikel an. Der Excelsior der Bonner Firma Soennecken produzierte Presskopien. Dabei wird die Tinte der Vorlage durch Feuchtigkeit und Druck auf andere Blätter übertragen. Das Vorwort unseres Buchs nannte die Technik den Schrecken aller Lehrlinge, „die einen sauberen Brief bei unachtsamer Behandlung in ein verschwommenes Durcheinander von rötlich-blauen Kopiertintenklexen leider nur zu oft verwandelte“. Davon hat uns die Xerokopie erlöst.
Aber nun wird es interessant, denn wir erreichen die Rechen- und Addiermaschinen. In der mechanischen Ära wurden sie scharf getrennt. Unsere Quelle unterscheidet Addierer mit und ohne Druckwerk von den Rechenmaschinen zum Multiplizieren. Am Schluss der Liste rutschte ein analoges Gerät herein, die Rechenwalze der Loga Calculator AG. Die Firma saß in Uster östlich von Zürich; ihre Walze war eine Weiterentwicklung des Rechenschiebers, wie er von Wissenschaftlern und Ingenieuren benutzt wurde.
Nach den Rechen- kommen die Schreibmaschinen und danach diejenigen für Statistik. Hinter dem Ausdruck verbergen sich die Lochkartengeräte nach dem Hollerith-System. Es stammt von der Internationalen Geschäfts-Maschinen-Gesellschaft A.-G. in Zürich, besser bekannt als IBM. Erzeugnisse der Konkurrenz, sprich Remington Rand und Bull, erwähnt unser Buch nicht. Das muss kein böser Wille des Redaktors gewesen sein; vielleicht hatten die Firmen andere Werbekonzepte, etwa die direkte Ansprache von potenziellen Kunden.
Auf die Hollerith-Technik und die Stenografiermaschine GRANDJEAN folgt die letzte große Gruppe: die Vervielfältiger. Ob mit Typen, Schablonen oder Metallplättchen, jetzt darf man kurbeln, was das Zeug hält. Der letzte Buchstabe des ABC ist das Z; deshalb enden die modernen Büromaschinen mit drei Eintragungen zur Zeitkontrolle und zwei Zusatzgeräten für Schreibmaschinen. Nach Redaktionsschluss nahm der Verlag zwei Nachträge auf, die Rechenmaschine MIRA und den Addierer Add-Index. Womit der redaktionelle Teil des Buchs schließt und die Anzeigen beginnen.
Nicht vorenthalten wollen wir unseren Lesern aber eine Passage aus dem Vorwort. Dort beklagt der Redaktor „die surrenden Maschinen, an denen nervöse Menschen oft mit Unlust ihre Arbeit verrichten […] um dann in hastender Eile ihre Mahlzeiten einzunehmen und am Abend Abwechslung von dem seelenlosen Einerlei in der Zerstreuung zu suchen“. Und er mahnt: „Jeder für sich hat heute die Aufgabe, wieder seelische Werte in seiner Arbeit zu suchen und sie damit zu erfüllen, damit er nicht ein Sklave der Maschinen wird, zu deren Beherrschung er geboren ist.“ Wahre Worte!
Die Bürowelt der 1920er-Jahre bewahrt auch das HNF, wie das obige Eingangsbild aus der Dauerausstellung des HNF in Paderborn belegt (Foto: Jan Braun, HNF). Mit Ausnahme des Stenographen finden sich die Fabrikate im Schweizer Buch. Bürofotos aus den Golden Twenties hat diese Seite gesammelt. Zur vertiefenden Lektüre empfehlen wir die Studie Die Angestellten von Siegfried Kracauer. Sie erschien 1930, im gleichen Jahr wie „Moderne Büro-Maschinen“, und ist noch immer im Handel erhältlich.
Wunderbar. Ich lese die Blog-Beiträge immer mit großem Gewinn!
Danke!
Danke sehr!