Computer im Heiligen Land
Geschrieben am 16.10.2020 von HNF
Vor 65 Jahren nahm der erste Computer Israels den Betrieb auf. Der WEIZAC lief im Weizmann-Institut für Wissenschaften in der bei Tel Aviv gelegenen Stadt Rechovot. Er basierte auf dem Röhrenrechner, den John von Neumann im amerikanischen Princeton gebaut hatte. Chefentwickler des WEIZAC war von Neumanns Kollege Gerald Estrin. Der Computer begründete die israelische High-Tech-Industrie.
Eigentlich beginnt unsere Geschichte schon 1934. Damals entstand in Rechovot, zwanzig Kilometer südlich von Tel Aviv, das Daniel-Sieff-Forschungsinstitut. Das Geld dafür kam aus England; sein Direktor wurde der in Manchester lehrende Chemiker Chaim Weizmann. Er war auch politisch tätig und strebte die Errichtung eines jüdischen Staates an. Seit 1920 befand sich Israel unter britischer Verwaltung. 1948 wurde es unabhängig und behauptete sich in einem kurzen Krieg gegen seine arabischen Nachbarn.
1949 wurde Weizmann erster israelischer Präsident. Er wohnte aber weiter in Rechovot und kümmerte sich um das Forschungsinstitut, das dann seinen Namen erhielt. Er ergänzte es um eine Abteilung für angewandte Mathematik; als Leiter gewann er den Geophysiker Chaim Pekeris. 1908 in Litauen geboren, emigrierte er als Teenager nach Amerika, wo er studierte und promovierte. Ab 1934 war er Dozent am Massachusetts Institute of Technology (MIT). Von 1946 bis 1949 forschte Chaim Pekeris in Princeton am Institute for Advanced Study (IAS).
Dort arbeitete der Mathematiker und Computerpionier John von Neumann. Seit 1946 entwickelte er einen großen Röhrenrechner. 1949 wurde die IAS-Maschine langsam fertig, und von Neumann gab die Schaltpläne an alle Interessenten weiter. Dazu gehörte auch Chaim Pekeris im Weizmann-Institut in Rechovot. Er bekam die nötigen Finanzmittel in Höhe von 50.000 Dollar; das war ein Fünftel des Jahresetats des Instituts und entsprach einer halben Million heutiger Dollar. Jetzt musste der Computer nur noch gebaut werden.
Die Aufgabe fiel Gerald Estrin zu. Der Ingenieur war Jahrgang 1921; er hatte sich 1950 John von Neumann in Princeton angeschlossen und kannte den IAS-Rechner in- und auswendig. Mit seiner Frau Thelma brach er 1953 nach Israel auf; im Dezember trafen die beiden in Haifa ein. In Rechovot stellte Estrin ein engagiertes Team zusammen. Zu ihm zählte unter anderen der junge Mathematiker Aviezri Fraenkel; er stammte aus München, lebte aber schon seit 1939 in Israel.
Die elektronischen Bauelemente des Computers wurden aus den USA importiert. Metallteile fertigte eine Werkstatt in der Nachbarschaft an, die bulgarische Einwanderer betrieben. Im August 1954 berichtete ein Pressedienst über den noch namenlosen Rechner. Demnach besaß er 2.500 Röhren und einen Trommelspeicher für 1.024 Worte zu vierzig Bit. Später erhielt er einen Kernspeicher. Zwölfstellige Dezimalzahlen konnten in vier Mikrosekunden addiert werden, eine Multiplikation dauerte eine Millisekunde.
Im Frühjahr 1955 kehrte die Familie Estrin – in Israel war ein Töchterchen hinzugekommen – in die USA zurück. Die übrigen Mitglieder des Teams stellten den Computer fertig und brachten ihn zum Laufen. Die ersten Testrechnungen absolvierte er im Herbst des Jahres. Der Öffentlichkeit vorgestellt wurde er wahrscheinlich am 23. Oktober 1955; überliefert ist ein Zeitungsartikel vom Tag danach, bitte die Seite etwas scrollen. Chaim Weizmann hat das Ereignis leider nicht mehr erlebt, er starb am 9. November 1952.
Der Weizmann Automatic Calculator WEIZAC wurde von Wissenschaftlern, Technikern und Militärs rund um die Uhr genutzt. Er operierte bis Ende 1963; seine Nachfolger waren eine CDC 1604A der US-Firma Control Data und ab 1965 der Golem Aleph, ein Eigenbau des Weizmann-Instituts. Der WEIZAC gilt als Startschuss der israelischen Hochtechnologie-Branche. Auch ein Nixdorf-Computer wurzelte im Heiligen Land. Der Nixdorf 8890, ein Großrechner von 1980, basierte auf einem System des in Haifa ansässigen Elbit-Konzerns.
Die Zentraleinheit des WEIZAC kann man heute in Rechovot sehen und ebenso in unserem Eingangsbild (Foto Yuval Madar CC BY-SA 3.0 seitlich beschnitten). Wer sich für das alte Israel interessiert, dem empfehlen wir die Ausstellung Leben am Toten Meer. Sie ist bis zum 15. November im LWL-Museum in der Kaiserpfalz Paderborn zu besichtigen. Das Foto unten bringt einen Blick auf die wunderschönen archäologischen Exponate.
Danke für die spannenden Einblicke in Digitalgeschichte in ganz verschiedenen Teilen der Welt.