Das Gefangenendilemma: Schweigen oder Gestehen?

Geschrieben am 30.05.2025 von

Im Mai 1950 formulierte der kanadische Mathematiker Albert Tucker ein Paradoxon. Es behandelt zwei Gauner, die vor der Wahl stehen, eine gemeinsame Tat zuzugeben oder nichts zu sagen. Dabei beeinflusst die Entscheidung eines Beteiligten die Strafe des anderen. Das Rätsel ging als Gefangenendilemma in die Geschichte des Fachs ein. Es besitzt aber eine einfache Lösung.

In den 1940er-Jahren entstand in den USA die mathematische Spieltheorie. Sie hat nur am Rande mit Unterhaltung zu tun; in der Hauptsache untersucht sie Methoden, mit denen zwei oder mehr konkurrierende Parteien genau definierte Ziele erreichen können. Das drückt auch die alternative Bezeichnung „Entscheidungstheorie“ aus. Pioniere der Spieltheorie waren John von Neumann, Oskar Morgenstern und John Nash; seit 1994 wurden für Arbeiten in diesem Feld mehrere Nobelpreise verliehen.

Albert Tucker  (unbekannter Fotograf Fair Use)

Ein klassisches Problem der Disziplin ist das Gefangenendilemma. Es wurde im Mai 1950 vom kanadischen Mathematiker Albert Tucker zu Papier gebracht, der an der Universität Princeton lehrte. Tucker baute auf Ideen seiner amerikanischen Kollegen Merrill Flood und Melvin Dresher auf; sie arbeiteten im Rand-Forschungsinstitut in Kalifornien. Im Mittelpunkt des Dilemmas stehen zwei Herren namens A und B, die gemeinsam eine Straftat begingen. Die Polizei hat sie festgenommen, kann ihnen die Tat jedoch nicht nachweisen.

Der Richter macht jedem Verdächtigen ein Angebot. Wenn er die zur Last gelegte Tat gesteht, wird er freigelassen, sofern sein Partner die Aussage verweigert; letzterer käme fünf Monate ins Gefängnis. Falls der Partner ebenfalls gesteht, erhalten A und B eine Strafe von drei Monaten, Wenn beide schweigen, müssen sie wegen älterer Vergehen einen Monat sitzen. Was sollen die Gauner tun? Wir nehmen an, dass sie sich nicht absprechen dürfen und zuvor keine Vereinbarung für den Fall einer Festnahme trafen.

In der Spieltheorie werden die Entscheidungsmöglichkeiten oft als Matrix dargestellt. Beim Gefangenendilemma sieht sie so aus – die Felder geben die jeweiligen Haftzeiten an:

Die Zahlenpaare zeigen, dass A und B die eigene Verurteilung kaum beeinflussen können. Ihre Entscheidungen wirken sich primär auf den Partner aus. Ein Geständnis bringt ihn drei oder fünf Monate hinter Gittern, ein Schweigen führt zur Freilassung oder zur kurzen Strafe von einem Monat. Sicher ist, dass ein Bekenntnis zur Tat dem Täter maximal drei Monate Haft bescheren würde. Sagt er nichts, kommt er im schlimmsten Fall – wenn der Komplize gesteht – für fünf Monate ins Gefängnis.

Unter diesen Umständen erscheint ein Geständnis als die beste Strategie für A und B. Würden sie schweigen, müssten sie statt drei Monaten nur einen Monat absitzen, doch die Spieltheorie verbietet es. Die Mathematiker haben den Widerspruch zwischen Logik und Vernunft willig ertragen. Nach der Formulierung unseres Problems vor 75 Jahren erforschten sie vor allem eine Weiterentwicklung, das iterierte Gefangenendilemma. Darin wird die Untersuchung beliebig oft wiederholt, und A und B können frühere Entscheidungen des Partners berücksichtigen.

Das Gefangenendilemma löst sich durch ein paralleles Verhör der beiden Verdächtigen.

Das gewöhnliche Gefangenendilemma lässt sich aber auf elegante Weise lösen, nämlich durch eine minimale Änderung des Ablaufs. A und B werden getrennt und exakt zur selben Zeit verhört, etwa durch den Richter und einen Assistenten. Sie bitten die Verdächtigen um eine Stellungnahme und fügen hinzu: „Falls Sie ein Geständnis ablegen, werden wir das sofort ihrem Freund mitteilen, damit er sich dazu äußern kann.“ Wir nehmen hier an, dass die zwei Amtspersonen eine telefonische Verbindung halten.

Unsere beiden Gauner begreifen sofort, was die zitierte Angabe bedeutet. Wenn zum Beispiel A die Tat bekennen würde, dann müsste auch B gestehen, um nicht für fünf Monate ins Gefängnis zu wandern. Das Gleiche gilt für die Aussagebereitschaft von B. Als optimales Vorgehen erweist sich das beiderseitige Schweigen. Dabei ist es unwichtig, ob tatsächlich eine Mitteilung an A oder B erfolgt, es reicht schon die Ankündigung. Die mathematische Logik kann trickreich sein.

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