Das Zeitalter der Automation
Geschrieben am 29.04.2022 von HNF
Automaten gab es schon in der Antike, von Automatisierung sprach man bereits im Jahr 1904. Die Automation ist jünger; das Wort prägte im April 1947 der amerikanische Ford-Manager Delmar Harder. Die damit bezeichneten Techniken verbreiteten sich anschließend auch bei uns. Die Automation veränderte die Arbeitswelt und führte zu einer Fülle von Artikeln, Büchern und Konferenzen.
So fing es an: „Automation ist dank einer auf Sensation ausgerichteten Publizistik zu einem der meist diskutierten technischen Themata, zu einem Schlagwort geworden. In bewußter oder unbewußter Weise wurde mit der Vision von ‚Robotern‘, ‚Elektronengehirnen‘, ‚menschenleeren‘ Fabriken der Eindruck einer Bedrohung des Menschentums und des wirtschaftlichen und sozialen Gefüges erweckt.“
Das stand am 1. August 1956 in der Neuen Zürcher Zeitung. In der Tat zählte damals die Automation neben der Kybernetik und dem allgegenwärtigen Atom zu den Dingen, für die sich die Gebildeten interessierten. Das Wort beschrieb technische Anlagen vielerlei Art, die nahezu selbstständig operierten und die Menschen höchstens zur Steuerung oder zur Überwachung benötigten. Dabei konnte ein Elektronenrechner beteiligt sein, doch meist wurden die Arbeitsschritte durch die Konfiguration der Hardware festgelegt.
In der Automation steckte der Automat, die sich von allein bewegende Maschine. Wir finden sie schon im antiken Alexandria; in der Neuzeit nahm sie mitunter Menschenform an. Später bezeichnete das Wort Waren- und Spielautomaten. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts kam die technische Automatisierung auf: hier ein Beleg von 1904. Der Begriff konnte aber auch die Eingewöhnung von bestimmten Verhaltensweisen meinen. 1930 erschien der Roman „Das Automatenzeitalter“ von Ludwig Dexheimer, der eine durchautomatisierte Zukunftswelt schilderte; wir besprachen ihn in unserem Blog.
Zu jener Zeit war die amerikanische Firma Ford als Zentrum der Fließbandfertigung bekannt. In den 1930er-Jahren wiesen Werkzeugmaschinen bereits Vorstufen der Automation auf. Im Zweiten Weltkrieg baute das Unternehmen Rüstungsgüter. Im September 1945 übergab Henry Ford die Leitung an den Enkel Henry Ford II; der Firmengründer starb am 7. April 1947 im Alter von 83 Jahren. Es dauerte noch bis zum Sommer 1948, bis das erste von Grund auf neu gestaltete Ford-Modell zu den Händlern gelangte.
Beim Neustart nach dem Krieg wurde im April 1947 ein Automation Department gegründet; verantwortlich war der 55-jährige Produktionschef Delmar Harder. Es hatte fünf Mitarbeiter, nach einem Jahr waren es fünfzig. Sie widmeten sich zunächst dem Motor; später folgten Bleche, Räder, Achsen und Rahmen. Ein Zentrum der Automation bildete das 1951 eröffnete Ford-Werk von Cleveland. Mit Relais-Steuerungen wurden die Transferstraßen modernisiert, auf denen sich Motorblöcke von einer Bearbeitungsstufe zur nächsten bewegten.
Die Methoden entwickelten sich weiter und sprachen sich herum. Der amerikanische Autor und Verleger Edmund Berkeley startete 1951 die Zeitschrift „Computers and Automation“; 1953 erklärte er darin das Konzept der Automation. Sein Landsmann John Diebold brachte 1952 das erste Buch zum Thema heraus. Es trug ebenfalls den Titel „Automation“. Die deutsche Fassung „Die automatische Fabrik – Ihre industriellen und sozialen Probleme“ erschien 1954. Im gleichen Jahr war in den USA eine Zeitschrift Automation erhältlich.
Im Juni 1955 fand im englischen Badeort Margate eine internationale Konferenz über jene Fabriken statt. Sie führte im Juli zu einem SPIEGEL-Cover mit der Zeile „Die Roboter sind unter uns“ – hier kupferte man einen Buchtitel von 1952 ab – und dem amerikanischen Gewerkschafter Walter Reuther. Im zugehörige Artikel ging es um „Gewerkschaftsmacht gegen Denkmaschinen“, um Computer und natürlich um die Automation. Reuther machte die Arbeitslosigkeit durch die neuen Techniken zu einem landesweit diskutierten Thema; eine Studie seiner Gewerkschaft sprach von der zweiten industriellen Revolution.
Nun rollte die Automationswelle. Es erschienen weitere Presseartikel und ebenso Berichte der Wochenschau. Wir beschränken uns auf diesen Film, den die British Motor Corporation in Auftrag gab. Westdeutsche Akademiker brachten derweil ein Buch nach dem anderen zur Automation heraus, zu nennen sind hier Wilhelm Bittorf, Friedrich Pollock, Helmut Schelsky und Hans Georg Schachtschnabel. Wirtschaftswunder und Vollbeschäftigung dämpften aber die Furcht vor Arbeitsplatzverlusten, und in den späten 1950er-Jahren bewegten andere Themen die Gemüter, zum Beispiel die Raumfahrt.
Eine neue Automationsdebatte hob in den Sechzigern an, ausgelöst durch zwei Tagungen der IG Metall 1963 und 1965. Das TV-Magazin Panorama strahlte im November 1963 einen sorgenvollen Beitrag über soziale Veränderungen aus; in der Tat erlebte die Bundesrepublik von 1966 bis 1968 eine Wirtschaftskrise mit Kurzarbeit. In späteren Jahren veränderte sich die Arbeitswelt durch die Synthese der erwähnten automatischen Verfahren mit Computern, Prozessrechnern und Industrierobotern. Mittlerweile gibt es das Handwerk der Mechatronik und die Industrie 4.0.
In zwei Monaten startet auf dem Münchner Messegelände die Automatica. Wer lieber ins Wirtschaftswunder zurück möchte, findet hier das Automationsbuch von Friedrich Pollock – leider nur in englischer Übersetzung – und hier eine Dissertation über die Automatisierung in der BRD und der DDR. Wir empfehlen außerdem die Wikipedia-Seite zur Geschichte der Produktionstechnik und einen Artikel über die Halle 54 der Volkswagenwerks. Schließen möchten wir mit einem Film aus dem Jahr 1959 und mit Walter Reuther.
Sehr geehrte Damen und Herren,
vielen Dank für den interessanten Artikel „Das Zeitalter der Automation“. In Ergänzung hierzu erlaube ich mir, auf meinen philosophisch akzentuierten Artikel
Kurrer, K.-E.: Automation. In: Europäische Enzyklopädie zu Philosophie und Wissenschaften, Band 1, H. J. Sandkühler (Hrsg.), S. 288-294. Felix Meiner Verlag Hamburg 1990.
hinzuweisen.
Mit freundlichen Grüßen
Karl-Eugen Kurrer