Der Geistesstürmer – zur Erinnerung an Seymour Papert
Geschrieben am 30.08.2016 von HNF
Am 31. Juli starb im US-Bundesstaat Maine der Mathematiker und Pädagoge Seymour Papert. Geboren 1928 in Südafrika, arbeitete er ab 1963 am Massachusetts Institute of Technology in Boston. Hier erfand er die Programmiersprache Logo und den dazu gehörigen Zeichenroboter. Sein Ziel war eine Reform des Mathematikunterrichts. Auf Papert gehen ebenso die Mindstorm-Roboter von Lego zurück.
Als die Revolution der Mikrocomputer auch Westeuropa erfasste, tauchte Seymour Papert in der westdeutschen Presse auf. 1984 erwähnte ihn der SPIEGEL in der Titelgeschichte Alarm in den Schulen mit folgendem Spruch: „Jedes normale Kind lernt sprechen, warum also sollte ein Kind nicht lernen, mit einem Computer zu ‚sprechen‘?“ Allerdings verkürzte das Zitat das Lebenswerk von Papert, der am 31. Juli in seinem Haus in East Blue Hill (US-Bundesstaat Maine) verstarb, doch sehr.
Geboren wurde er am 29. Februar 1928 in Pretoria, dem Regierungssitz der Südafrikanischen Union. Sein Vater war Insektenforscher und reiste mit der Familie durchs Land. Schon als Kind hatte Seymour Papert viele Kontakte zu schwarzafrikanischen Mitbürgern. Als Student stand er in Opposition zur Apartheid, die 1948 Regierungspolitik wurde. Er studierte in Johannesburg und erhielt 1952 einen Doktortitel in Mathematik. Mit einem Stipendium setzte er das Studium in England fort.
Hier lernte er seinen ersten Computer kennen, die Pilot ACE, die noch auf Alan Turing zurückging. 1959 promovierte Papert an der Universität Cambridge erneut in Mathematik. Anschließend ging er nach Genf und arbeitete beim berühmten Schweizer Psychologen Jean Piaget. Piaget erforschte, wie kleine Kinder ein Verständnis von Zahlen, Flächen und Volumina entwickeln. Seine Lehre bildete die Grundlage der pädagogischen Theorien von Seymour Papert.
1963 wechselte er ans Massachusetts Institute of Technology MIT in Boston. Hier wurde Papert 1967 Professor für angewandte Mathematik und Co-Direktor des Labors für Künstliche Intelligenz. Zusammen mit seinem Gründer, dem KI-Forscher Marvin Minsky, verfasste er das Buch „Perceptrons“. Es erschien 1969. Ein Perzeptron ist ein einfaches neuronales Netz. Minsky und Papert zeigten seine Schranken auf. Ihre Kritik legte die Forschung einige Jahre lahm, dann erweckten neue Konzepte die neuronalen Netze wieder zum Leben.
Seymour Paperts größte Tat war die Programmiersprache Logo. Damit konnte man auf einem Monitor oder durch Roboter, die einen Zeichenstift trugen, alle möglichen Figuren erzeugen. Logo realisierte einen neuen Ansatz für den computergestützten Mathematikunterricht. Die Kinder sollten nicht starr die Fragen des Rechners beantworten, sondern durch eigenständiges Programmieren mathematisches Denken erlernen. Logo und seine Roboter-Schildkröten weckten das Interesse der Medien. 1980 legte Papert selbst ein Buch darüber vor, die „Mindstorms“.
Seine Popularität schlug sich nicht nur im SPIEGEL nieder, sondern führte auch zu diversen Filmen. Dieser entstand wohl um 1970, und hier ist eine BBC-Produktion von 1983. Die Gegenposition des Computer-Frontalunterrichts zeigt eine deutsche Wochenschau aus dem Jahr 1971. Ab Minute 1:00 sehen wir das Bakkalaureus-System der Nixdorf Computer AG. Man glaubt es kaum, aber der Name ist eine Abkürzung („Baukastensystem aus kombinierbaren kybernetischen Automaten, leistet autonom und rechnerunterstützt Examinier- und Schulungsarbeit“).
1985 wirkte Seymour Papert im MIT an der Gründung des Media Lab mit und übernahm die Leitung eine Arbeitsgruppe. Spätere Forschungen führten zu programmierbaren Bausteinen mit integrierten Chips und 1998 zu den Mindstorms-Robotern von Lego. Die Spielzeugfirma förderte das Medienlabor von Anfang an und sponserte einen Lehrstuhl. Von 1989 bis zu seiner Emeritierung 1998 war Papert „LEGO Professor of Learning Research“.
Im weitesten Sinne betätigte sich Seymour Papert auch politisch. 1982 reiste er mit seinem Kollegen Nicholas Negroponte nach Senegal, um mehrere hundert Apple-Rechner, eine Spende von Steve Jobs, zu installieren. In den späten Achtzigern berieten die beiden den Präsidenten von Costa Rica, Óscar Arias Sánchez, bei der Computerisierung des mittelamerikanischen Landes. Nach dem Umzug von Boston in den Bundesstaat Maine half Papert 2002 bei einem Programm des Gouverneurs mit, Schulen mit Laptops zu versorgen.
Im Alter entwickelte Papert eine kritische Sicht auf den Weg der Informatik und speziell der KI. Bei einer MIT-Tagung im Juli 2002 sagte er unter anderem: „Wir stellten einst die großen universellen Fragen: Können wir eine Maschine so intelligent wie einen Mensch bauen? Können wir mit Hilfe einer Maschine verstehen, was Denken ist? Aber die KI wurde das Opfer ihres Erfolgs. Sie gab uns Programme, mit denen Roboter Autos fertigten. Und solche fürs Büro.“ Aber KI, so schloss er, war nie für so etwas gedacht. Künstliche Intelligenz ist zu Höherem berufen.
Ende 2006 erlitt Papert bei einem Verkehrsunfall in Vietnam schwere Kopfverletzungen. In mühevoller Rehabilitation kam er wieder auf die Beine, richtig erholt hat er sich nie. Er lebt auf papert.org und dailypapert.com weiter. Eine Diskussion von 2014 zeigt, was seine Weggefährten ihm verdanken. Auf diesem Feld kann man Logo-Schildkröten laufen lassen. Unser Eingangsbild kombiniert www.legonewsroom.de mit einem Foto von ak_mardini, CC BY-SA 2.0.