Der Meister der Raumstation
Geschrieben am 27.08.2019 von HNF
Am Samstag feiert Paderborn die Museumsnacht – das HNF feiert mit. In der Space Night starten wir ins All, nicht nur in den Sonderausstellungen, sondern auch im Foyer und vor dem Haus. Heute erinnern wir aber an einen Vordenker der Astronautik. Hermann Potočnik entwarf vor mehr als neunzig Jahren eine geostationäre Raumstation mit künstlicher Schwerkraft.
2019 ist alles säuberlich getrennt. In vierhundert Kilometern Höhe kreist die Internationale Raumstation ISS, der Außerposten der Menschheit im All. Sie umrundet in anderthalb Stunden die Erde. Knapp 36.000 Kilometer entfernt sind die geostationären Satelliten für das Fernsehen oder zur Wetterkunde. Sie sind unbemannt; für einen Umlauf brauchen sie einen Tag. Was dazu führt, dass sie scheinbar über unserem Planeten stillstehen.
In den 1920er-Jahren dachte niemand an künstliche Satelliten, auch nicht die Pioniere der Raumfahrt. Sie glaubten, dass der Flug ins All oder um die Erde nur mit Menschen möglich wäre. Der wichtigste Theoretiker jener Zeit, Hermann Oberth, beschrieb 1923 in seinem Werk Die Rakete zu den Planetenräumen schon erdumkreisende Beobachtungsstationen; ihre Besatzungen halten über optische Telegrafie den Kontakt zur Erde. So könnten sie etwa gefährliche Eisberge erkennen und die Schiffe auf dem Ozean warnen.
1924 veröffentliche der Südtiroler Schriftsteller Max Valier die Studie „Der Vorstoss in den Weltenraum“. Darin sprach er von einem Kunstmond, der genau der Erddrehung folgt. 1926 schilderte der bayerische Autor Otto Willi Gail im Zukunftsroman „Der Stein vom Mond“ ausführlich eine Raumstation. Das Astropol ist eine Scheibe mit 120 Metern Durchmesser und fliegt 100.000 Kilometer über der Erde. Im gleichen Jahr erwähnte der junge Berliner Willy Ley in dem Buch „Die Fahrt ins Weltall“ die geostationäre Außenstation von Valier.
Die Raumfahrtfreunde der 1920er-Jahre träumten von Fahrzeugen mit einer Crew an Bord und auf allen möglichen Orbits. Das galt auch für einen Visionär aus Wien: Hermann Potočnik. Sein Werk „Das Problem der Befahrung des Weltraums. Der Raketen-Motor“ erschien Ende 1928 in Berlin, vordatiert auf 1929. Es umfasste 188 Seiten; gut die Hälfte behandelten die Weltraumwarte. So nannte der Autor seine Version der geostationären Raumstation.
Potočnik schrieb unter dem Pseudonym Hermann Noordung. Den Grund wissen wir nicht; eine schwedische Heldensage kennt einen König Nordung aus dem Schwabenland. Geboren wurde Hermann Potočnik am 22. Dezember 1892 im kroatischen Pola, dem heutigen Pula. Damals gehörte es zu Österreich-Ungarn und war der Kriegshafen der Doppelmonarchie. Sein Vater war Marinestabsarzt; er stammte aus dem ebenfalls österreichischen Slowenien. Seine Mutter hatte tschechische Vorfahren.
Der junge Potočnik absolvierte die Militärakademie und wurde Ingenieur-Offizier. Im Ersten Weltkrieg diente er in einem Eisenbahnregiment. Später studierte er in Wien Maschinenbau und Elektrotechnik; 1925 erhielt er das Diplom. Wegen seiner Tuberkulose blieb ihm nur die private Forschung. Bekannt ist, dass er dem deutschen Verein für Raumschifffahrt angehörte und das Vereinsblatt „Die Rakete“ bezog. Vor genau neunzig Jahren, am 27. August 1929, starb Hermann Potočnik in Wien.
Die Idee der geostationären Station fand Potočnik wohl bei Max Valier. In seinem Buch von 1928 baute Potočnik sie zu einem umfassenden technischen System aus. Seine Weltraumwarte umfasst ein Wohnrad, ein Observatorium und das Maschinenhaus; letzteres enthält die Funkstation und die Batterien. Auf Wohnrad und Maschinenhaus sitzen Parabolspiegel zur Gewinnung von Energie. Das geschieht durch Erhitzen von Wasser durch Sonnenlicht und Einleiten in eine Dampfturbine; diese treibt wiederum einen Generator an. Ein ringförmiger Spiegel zieht sich um das gesamte Wohnrad herum.
Im zylinderförmigen Observatorium befinden sich die Teleskope. Sie dienen nicht nur dem Studium von Monden, Planeten und Sternen, sondern ebenso zur Beobachtung der Erde und des Wetters. Damit ist Potočniks Weltraumwarte der Urahn der Meteosat-Trabanten. Unser Wohnrad hat einen Durchmesser von dreißig Metern und dreht sich alle acht Sekunden um seine Achse. Die Menschen in den Kabinen des Rads werden dadurch nach außen gedrückt; die Zentrifugalkraft ersetzt die von der Erde gewohnte Gravitation.
Das Potočnik-Rad inspirierte dann nach dem Zweiten Weltkrieg die futuristischen Raumstationskonzepte von Wernher von Braun, Walt Disney und Stanley Kubrick. Ältere Leser erinnern sich an den riesigen Doppelring, der im Film 2001 über der Erde rotierte. Die tatsächlich gebauten Stationen – die erste, Saljut 1, startete 1971 die Sowjetunion – sahen ganz anders aus. Sie besaßen auch keine künstliche Schwerkraft. Mehr über sie erzählt die Raumfahrtausstellung des HNF, wo unser Eingangsbild aufgenommen wurde.
Die Ausstellung ist kommenden Samstag ein Schauplatz der Paderborner Museumsnacht. Bei freiem Eintritt gibt es ein vielfältiges Programm in der Space Night. Die Schrift von Hermann Potočnik kann man im Netz nachlesen oder herunterladen, siehe den Link unter dem Bild. Auf YouTube vermittelt ein Vortrag von 2017 weitere Einblicke in sein Leben und Werk. Andere Raumfahrt-Klassiker der goldenen Zwanziger bietet diese russische Seite an – einfach nach deutschen Buchtiteln Ausschau halten.