Der MP3-Mann
Geschrieben am 18.06.2024 von HNF
Am 20. Juni feiert Karlheinz Brandenburg den 70. Geburtstag. Er wurde in Erlangen geboren und studierte dort Elektrotechnik und Mathematik. Seine Dissertation behandelte die Codierung von Musikstücken. Ab 1990 war Brandenburg im Erlanger Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen der Hauptentwickler des MP3-Formats, das das Speichern und Versenden von Musikdateien revolutionierte. Er forscht noch immer zur Audiotechnik.
Der Vater lehrte Psychologie, die Mutter arbeitete als Lehrerin. Geboren wurde Karlheinz Brandenburg am 20. Juni 1954 in Erlangen. In seiner Jugend war er Pfadfinder und spielte Blockflöte, Klavier und Gitarre; hier kündigte sich die spätere Karriere an. Brandenburg überstand das humanistische Gymnasium, studierte dann aber in seiner Heimatstadt Elektrotechnik und Mathematik jeweils bis zum Diplom.
Den Lehrstuhl für Technische Elektronik der Universität Erlangen-Nürnberg bekleidete der Ingenieurprofessor Dieter Seitzer. Er befasste sich mit der digitalen Übertragung von Bildern und Tönen und erfand 1977 eine Methode, Musik über eine ISDN-Leitung zu schicken. Das Patentamt in München verweigerte lange ein Patent mit der Begründung, dass die Datenrate für die Leitung zu hoch wäre. Seitzer beauftragte deshalb 1982 seinen Studenten Karlheinz Brandenburg, in seiner Dissertation die Kompression von Daten zu untersuchen.
Brandenburg vertrat die Universität Erlangen in der Fraunhofer-Arbeitsgruppe für Integrierte Schaltungen, die der Ingenieur Heinz Gerhäuser leitete. 1990 wurde aus ihr das Fraunhofer-Institut für Integrierte Schaltungen. 1987 entstand das bekannte Foto des Gerhäuser-Teams, das die Datenkompression zu realisieren versuchte; Karlheinz Brandenburg ist der junge Mann mit dem Kopfhörer. Belegt ist ein Ausspruch von ihm aus dem Jahr 1988: „Entweder meine Dissertation verstaubt in der Bibliothek oder die Technik wird ein Standard, der von Millionen Menschen genutzt werden wird.“
1989 lag seine Doktorarbeit „Ein Beitrag zu den Verfahren und der Qualitätsbeurteilung für hochwertige Musikcodierung“ vor. Die dort beschriebenen Methoden gingen in eine Technik ein, die die Fraunhofer-Gruppe zusammen mit einigen Partnern bei der Internationalen Standardorganisation ISO einreichte. Sie verkleinerte Musikdateien ohne Qualitätsverlust, indem sie Eigenschaften des menschlichen Gehörs ausnutzte. Der Vorschlag wurde zum ISO-Standard MPEG Audio Layer-3, besser bekannt als MP3, und 1992 festgeschrieben.
Nach der Promotion verbrachte Karlheinz Brandenburg ein Jahr in den USA und in den Bell-Laboratorien. Ab 1990 arbeitete er wieder in Erlangen, bis 1993 als akademischer Rat der Universität und danach als Abteilungsleiter im erwähnten Fraunhofer-Institut. Sein MP3-Verfahren funktionierte, doch war die Zahl der Interessenten überschaubar. Es gab wenige Anwendungen für eine Datenkompression auf ein Zehntel oder Elftel der Ursprungsdatei. In unserem Blog schilderten wir eine Vorführung der Technik im Juni 1996.
Die Situation änderte sich in den späten Neunzigern. Es waren amerikanische Studenten, die die Fraunhofer-Kompression entdeckten und Musikstücke rund um die Uhr durch das Internet schickten. MP3 eroberte die Online-Welt, erneuerte das Speichern und Weitergeben von Audio-Dateien und erschütterte die Musikindustrie. Ein Höhepunkt der MP3-Revolution war am 23. Oktober 2001 die Vorstellung des Apple iPod. Mittlerweile haben YouTube und Streaming die Szene weiter verändert, doch mit MP3 fing alles an.
Im Jahr 2000 wechselte Brandenburg zum Lehrstuhl für Elektronische Medientechnik an der Technischen Universität Ilmenau; 2004 wurde er außerdem Direktor des neu gegründeten Fraunhofer-Instituts für Digitale Medientechnologie. Er beschäftigte sich vor allem mit dem Klangsystem IOSONO, das virtuelle akustische Eindrücke erzeugt. Als Emeritus lehrt er noch immer an der Hochschule, betreibt aber seit 2019 die Forschungsfirma Brandenburg Labs. 2009 gründete er die Beteiligungs- und Managementgesellschaft Brandenburg Ventures.
Am 20. Juni feiert Karlheinz Brandenburg den 70. Geburtstag; wir wünschen schon jetzt alles Gute für die Zukunft und dass er endlich den Turing-Preis erhält – er hat ihn redlich verdient. 2014 wurde er in die Internet Hall of Fame aufgenommen und erntete noch viele andere Auszeichnungen. Unser Eingangsbild zeigt ihn 2010 (Foto Christliches Medienmagazin pro CC BY-SA 2.0 DEED seitlich beschnitten), unten sieht man die Chips eines MP3-Decodierers aus dem Jahr 1996 (Foto Stiftung Deutsches Technikmuseum Berlin/Clemens Kirchner).
Am 27.01.2010 besuchte der Erfinder des MP3-Standards, Karlheinz Brandenburg, das HNF und hielt einen vielbeachteten Vortrag über „Musik- und Videoübertragung im digitalen Zeitalter“. Zuvor hatte sich der deutsche Vorzeigeforscher vor allem für die aktuelle Sonderausstellung „Codes und Clowns“ über Claude Shannon interessiert, dessen Grundlagenarbeit für die Nachrichtentechnik auch Brandenburgs Erfindung zugute gekommen sei. Auch wenn der Ilmenauer schon Michael Jackson wegen eines Audiosystems beraten hatte und auf Einladung der Europäischen Kommission auch als „Botschafter für Kreativität und Innovation“ unterwegs war, trat der Fraunhofer-Institutsleiter mit einer selten erlebten Bescheidenheit auf.