Der olympische Satellit
Geschrieben am 06.08.2024 von HNF
Vom 10. bis 24. Oktober 1964 richtete die japanische Hauptstadt Tokio die Olympischen Sommerspiele aus. Fernsehberichte von den Wettkämpfen gelangten über den Satelliten Syncom 3 nach Kalifornien und weiter nach Kanada; von dort gingen Aufzeichnungen per Flugzeug nach Europa. Syncom 3 wurde am 19. August 1964 gestartet; er umkreiste auf einer geostationären Bahn die Erde.
Olympische Spiele ohne Fernsehen sind eigentlich undenkbar. Schon 1936 erlebte mancher Berliner das Ereignis in einer Fernsehstube, 1948 strahlte die BBC Wettkämpfe der Games im Großraum London aus. Die Bürger von Helsinki mussten 1952 auf Übertragungen verzichten, weil Finnland noch kein Fernsehen hatte, doch Australien führte es 1956 rechtzeitig ein und zeigte die Spiele von Melbourne. 1960 lieferte die Eurovision die Entscheidungen von Rom in westdeutsche Wohnzimmer.
Die nächsten olympischen Sommerspiele fanden vom 10. bis 24. Oktober 1964 in Tokio statt. Die Stadt lag für Live-Sendungen zu weit weg, möglich waren nur Berichte im Radio, die über das Telefon hereinkamen. Die Retro-Mediathek der ARD enthält dazu eine Aussage des technischen Direktors des NDR Hans Rindfleisch vom April 1964. Demnach dachte die Europäische Rundfunk-Union an den Transport von Magnetaufzeichnungen im Flugzeug; jede Tour hätte 17 Stunden gedauert. Satelliten-Übertragungen sah Rindfleisch skeptisch.
Am 19. August 1964 gab es aber einen technischen Durchbruch. An diesem Tag startete in Cape Kennedy in Florida – heute trägt der Ort seinen alten Namen Cape Canaveral – mit einer Delta-D-Rakete Syncom 3. Er hatte einen Durchmesser von 71 Zentimetern, eine Höhe von 64 Zentimetern und 68 Kilo Masse. Er war der erste geostationäre TV-Satellit und flog auf einer Bahn, die rund 36.000 Kilometer über dem Äquator verlief, in 24 Stunden um die Erde. Syncom 3 machte die Erddrehung mit und schwebte scheinbar über dem Pazifik auf der Höhe der Datumsgrenze.
Dort empfing der Satellit Fernsehwellen, die eine Bodenstation nahe Tokio ins All beamte. Sie wurden an Bord verstärkt und an eine zweite Station in Kalifornien geschickt. Die Energie lieferten Solarzellen, die man auch am 1:1-Modell im Eingangsbild erkennt. Hersteller des Satelliten war die Hughes Aircraft Company in El Segundo bei Los Angeles. Syncom 3 war der dritte Teil eines Trios, das die Firma für die NASA baute. Syncom 1 ging im Februar 1963 kurz nach dem Start verloren, Syncom 2 erreichte im Juli 1963 eine 24-Stunden-Bahn. Sie war relativ zum Äquator geneigt, so dass er am Himmel hin und her pendelte.
Syncom 3 stand still und übertrug an jedem Olympia-Tag eine Stunde Sportberichte. Die amerikanischen Fernsehnetze konnten sie sofort nach Empfang verwerten, für den Rest der Welt gelangten sie von Kalifornien über Kabel zum Flughafen von Montreal. Dort wurden die Aufnahmen auf Magnetband transferiert und in ein Düsenflugzeug geladen. Es brachte sie in sieben Stunden über den Atlantik nach Hamburg, und von hier aus verteilte die Eurovision sie auf ihre Mitgliedsländer.
Ein anderes Flugzeug trug Magnetbänder ganz normal von Japan über Alaska und Kanada nach Europa. Sie enthielten drei Stunden Sport, hinkten aber einen Tag dem Geschehen hinterher. Diese Aufzeichnungen durften auch die sozialistischen Staaten des Intervision-Verbunds nutzen. Die Rundfunkzeitschriften unterschieden zwischen dem Polar-Programm und dem etwas aktuelleren Satelliten-Programm spät am Abend. Das ist die Übersicht für Sonntag, den 18. Oktober 1964, und das ein Artikel des SPIEGEL zum Thema.
So umständlich verlief das olympische Fernsehen vor sechzig Jahren. Die Technik machte aber schnell Fortschritte. 1965 kreiste ein geostationärer Satellit über dem Atlantik, 1967 produzierte die BBC die globale Live-Sendung Unsere Welt. 1968 konnten die Bundesbürger die Sommerspiele von Mexico City in Echtzeit erleben; der Blogger erinnert sich noch an den Rekordsprung von Bob Beamon über 8,90 Meter. An die Wettkämpfe von 1964 erinnert der hochgelobte Olympiafilm des Regisseurs Kon Ichikawa.
Zu den Spielen in Paris können wir den 100. Geburtstag der Idee des geostationären Orbits feiern. 1924 erwähnte der österreichische Raketenforscher Max Valier einen Kunstmond auf jener Bahn in seinem Buch Der Vorstoss in den Weltenraum. 1945 beschrieb der englische Futurist Arthur C. Clarke drei geostationäre Raumstationen. Sie empfangen TV-Sendungen von der Erde, geben sie an Bodenstellen weiter oder strahlen sie selbst über dem Globus aus. Der Vater des geostationären Nachrichten- und Fernsehsatelliten war der Hughes-Ingenieur Harold Rosen; sein Artikel über die drei Syncoms findet sich hier.
Als ich meinen Freund, den Canaris-Funker und frühen Fachmann der Sattelitenkommunikation, Rudolf Staritz, einmal fragte, ob er zufällig auch Hermann Oberth kennengelernt habe, meinte der trocken: „Mit dem habe ich sogar ein Wochenendseminar über Raumfahrt an einer Schule im Coburger Land veranstaltet.“ Auslöser war die Idee des Schulleiters oder Bürgermeisters dieses Ortes, den weltbekannten Raketenforscher Prof. Hermann Oberth einmal zu einem Wochenendseminar einzuladen. Als der dann tatsächlich zusagte, bekamen die Verantwortlichen Angst vor der eigenen Courage…und Rudolf Staritz bekam einen Anruf. Ob er als Raumfahrtfachmann nicht zu Hilfe kommen könnte, um sich unter die Schüler zu mischen und qualifiziertere Fragen, als diese es ja vermöchten, an die Kapazität zu richten. Der immer wissensbegierige, kontaktfreudige und hilfsbereite Zeitgenosse Rudi Staritz sagte natürlich zu.
Dem Vielwisser Staritz kann man auch nach seinem Ableben im Jahre 2021 noch weiter mit Begeisterung zuhören. Sein Freund und Fachkollege Arthur Bauer aus Amsterdam kam nämlich auf die Idee, mit Staritz Interviews aufzuzeichnen, deren Inhalte sich spontan ergeben sollten und konnten. Denn Bauer und Staritz spielten in der gleichen Wissensliga. Hören Sie mal rein in eines der meist halbstündigen Interviews unter “Rudis Ecke” oder “Rudis Corner”.