Der Rechner für den Raketenstartplatz
Geschrieben am 23.04.2019 von HNF
Kürzlich eröffnete das HNF die Ausstellung „Ein kleiner Schritt“ mit Fotos der NASA zur Mondlandung. Vor der NASA schickten Armee, Marine und Luftwaffe der USA Raketen los. Sie starteten in White Sands im Bundesstaat New Mexico. Vor 65 Jahren wurde dort ein Computer aufgestellt. Der DYSEAC kam vom Eichamt; er war der erste mobile Großrechner.
Es spricht sich herum: In diesem Jahr feiern wir den fünfzigsten Jahrestag der Mondlandung. Im Juli 1969 hob in Florida eine riesige Saturn-5-Rakete mit drei Astronauten ab. Zwei von ihnen, Neil Armstrong und Edwin Aldrin, betraten dann den Boden des Erdtrabanten. Die Raumflugaktivitäten der USA setzten natürlich früher ein. Der Pionier Robert Goddard schoss seine erste und noch kleine Rakete 1926 in Massachusetts ab; von 1930 bis 1941 unternahm er weitere Versuche in Roswell im US-Bundesstaat New Mexico.
180 Kilometer südwestlich von Roswell liegt der Startplatz White Sands. Er wurde am Ende des Krieges von der US Army angelegt. Von ihm aus erstreckt sich spärlich bewachsenes Gelände 170 Kilometer nach Norden; es bietet viel Platz für landende Flugkörper. Zunächst testete nur die Armee, nach einigen Jahren beteiligten sich auch Marine und Luftwaffe. Die Starts begannen im September 1945. Im März 1946 wurde die erste von rund hundert A4-Raketen abgefeuert, die amerikanische Truppen aus Deutschland mitgebracht hatten.
Vor 65 Jahren traf in White Sands ein völlig anderes Gerät ein. Im April 1954 fuhren zwei Sattelschlepper an; ihre Anhänger wurden abgekuppelt und nebeneinander aufgestellt. Im ersten Trailer befanden sich ein Röhrenrechner samt Kühlanlage und ein Tisch mit Ein- und Ausgabegeräten. Der zweite enthielt die Stromversorgung und ein weiteres Kühlsystem. Das Ganze war der DYSEAC. Das Kürzel SEAC stand für Standards Eastern Automatic Computer, die Buchstaben DY vermutlich für Dynamic – die Überlieferung ist lückenhaft.
Das National Bureau of Standards NBS – heute heißt es NIST – ist das US-Eichamt, das Pendant zur Physikalisch-Technischen Bundesanstalt. SEAC bezeichnete zunächst den ersten Computer des Amts. Er arbeitete ab Juni 1950 in der Zentrale in Washington; er war auch der erste amerikanische Digitalrechner mit Von-Neumann-Architektur. Das Eastern deutete an, dass das NBS noch einen zweiten Computer baute. Im August 1950 nahm der Standards Western Automatic Computer den Betrieb auf. Der SWAC lief in Los Angeles.
SEAC und SWAC waren Röhrenrechner. Der SEAC im Osten wurde von der Air Force gefördert, das Gegenstück bezahlte die Marine. Der DYSEAC ging 1954 an die Fernmeldetruppen der Armee. Er knüpfte technisch an den SEAC an und enthielt 900 Verstärkerröhren sowie 24.500 Kristalldioden. Er operierte mit Worten zu 45 Bit und brauchte für eine Addition eine Millisekunde. Multiplikationen dauerten drei Millisekunden. Der Arbeitsspeicher benutzte akustische Verzögerungsleitungen; jedes seiner acht Module fasste 512 Worte.
Zudem ließ sich ein Trommelspeicher anschließen. Was der DYSEAC am Startplatz White Sands genau berechnete, wissen wir leider nicht, aber er war der erste Computer, der an der Schwelle des Weltraums wirkte. Bekannt ist, dass er 1956 zurück in die Bundeshauptstadt Washington gefahren wurde. Dort steckten ihn die Wissenschaftler des Eichamts mit dem SEAC zusammen. Drei Wochen lang bearbeiteten die beiden Elektronenhirne gemeinsam Probleme aus der Finanzmathematik.
Der DYSEAC ging als erster mobiler Computer in die IT-Geschichte ein. 89 Einzelteile verwahrt das Computer History Museum im kalifornischen Mountain View. Sein ebenso beweglicher Nachfolger war der MOBIDIC. Hersteller Sylvania lieferte das erste Exemplar im Dezember 1959 an die Army aus. Ein anderes wurde 1962 in einer Garnison in Zweibrücken aufgestellt. Da der MOBIle DIgital Computer Transistoren enthielt, passte er in einen einzigen Sattelschlepper.
Zu MOBIDIC gibt es einen Film; bei Minute 2:00 ist eine Passage zum DYSEAC eingerückt. Unser Eingangsbild zeigt die Basis von White Sands mit dem eindrucksvollen Startbunker. Rechts erkennt man den Turm zum Vorbereiten der Rakete. Er saß auf Schienen und wurde vor dem Start weggerollt. Unsere Leser laden wir noch zur Sonderschau Ein kleiner Schritt ins HNF ein. Fünfzig NASA-Fotos zur Mondlandung 1969 hängen in der Dauerausstellung, die auf eine weitere große Ausstellung zur Raumfahrt im Juli verweisen.