Der Sound des Internets
Geschrieben am 05.12.2025 von HNF
Im Sommer verkündete es der Online-Dienst AOL: Die Firma stellt am 30. September 2025 den Zugang über Modems für das Telefon ein. So endete eine Ära der Datenübertragung, an der sich viele private Nutzer beteiligten. Wer in den 1990er-Jahren in das World Wide Web ging, hörte jedes Mal die typischen und bald sehr vertrauten Einwahl-Geräusche.
Es gibt Töne, die uns jahrzehntelang begleiten und die wir immer wieder hören. Wir meinen Intros von Filmen und Fernsehsendungen wie das 007-Motiv, der Tatort-Start oder die Eröffnungen von Tagesschau und Tagesthemen. Manche erreichten symphonische Höhen, man denke an die Titelmusik der Raumpatrouille oder vom Raumschiff Enterprise.
In den 1990er-Jahren kam eine neue Art von Ohrwurm auf, eine Art melodisches Rauschen. Es erklang bei Usern und Userinnen eines Personal Computers, der über ein Modem mit dem Telefonnetz verknüpft war und einen Service-Provider des Internets anwählte. Meist stand der Wunsch dahinter, im jüngst erfundenen World Wide Web zu surfen. Die zugehörige Technik und ihre Geschichte haben wir im Blog erläutert, hier soll der Hinweis genügen, dass das Geräusch die analoge Form einer digitalen Datenkommunikation darstellt.
Ein Beispiel bringt dieses YouTube-Video. Wir hören das Anwählen – die Amerikaner sagen Dial-Up – eines Online-Dienstleisters im normalen Tempo und danach etwas verlangsamt. Die Grafik aus dem Video folgt unten (CC BY-SA 3.0), sie stammt aus dem Jahr 2012 und von der finnischen Informatikerin Oona Räisänen. Es ist ein akustisches Spektrogramm. In der x-Achse läuft die Zeit, die y-Koordinate gibt die Frequenz an. Die roten Kästen enthalten die Töne vom Modem des Computers, die blauen erfassen das Gegenstück vom Webdienst.
Der Dialog startet nach dem Freizeichen mit der Anwahl der Telefonnummer im üblichen Mehrfrequenz-Verfahren; die Buchstaben DTMV stehen für Dual-Tone Multi-Frequency. Die Nummer lautet 001-570-234-0003, wobei 001 die Vorwahl für die USA ist. 570 bezieht sich auf eine Region des Bundesstaates Pennsylvania. Nach zwei Sekunden meldet sich das angerufene Modem. Die beiden Geräte unterhalten sich drei Sekunden lang mit digitalen Signalen, und das anrufende Modem stellt sich dem Partner vor.
Nach einer Sekunde meldet sich erneut das Webdienst-Modem mit einem Signal, das wie „di di di di di düh“ klingt; es schaltet die Echounterdrückung und die Echoauslöschung in der Leitung ab. Jene Funktionen sind sinnvoll bei der normalen Telefonie, sie bringen aber wenig bei Datenübertragungen. Nach einer weiteren Sekunde besprechen die Modems im Pieps-Dialog die Regeln für die eigene Kommunikation. Die Elektrogitarren-artigen Schläge erkunden dabei die Eigenschaften der benutzten Leitung.
Den Abschluss der Prozedur bildet ein Signalaustausch, der die Datenübertragung endgültig festlegt. Für unsere analogen Ohren hört er sich aber nur verrauscht an. Unsere Expertin aus Finnland verkürzte den Teil, komplett kann man ihn in diesem Video hören, danach folgt eine gesungene Fassung. Hier ist eine Version für das Computermusikformat MIDI. Nach der Einwahlphase schweigt das Modem des Personal Computers, und über die Leitung laufen unhörbar die Daten aus dem Internet oder ins Netz hinein.
Die piepsenden und rauschenden Töne waren in den 1990er- und frühen 2000er-Jahren das Merkmal der Online-Welt. Zu ihr gehörte auch das Unternehmen America Online oder AOL, wir schilderten es im Blog. Es blieb dem Einwahl-Verfahren bis zum 30. September 2025 treu, danach übernahm auch hier der seelenlose Router die Alleinherrschaft. Das HNF hat die Modems aber nicht vergessen, unser Eingangsbild zeigt ein Exemplar der Firma Acer aus der Internet-Wand im Museum. Die CDs in der Nachbarschaft müssen wir wohl nicht mehr vorstellen.
