Die Geburt der Digitalisierung

Geschrieben am 19.05.2023 von

2022 feierten Freunde historischer Chronometer den 50. Geburtstag der Pulsar, der ersten elektronischen Digitaluhr. Geräte, die die Zeit ohne Zeiger darstellten, gab es schon im 19. Jahrhundert. Vor 140 Jahren meldete Josef Pallweber aus Salzburg ein „Anzeigewerk für Uhren“ zum Patent an, das Rädchen mit Ziffern enthielt. Damit begann eine lange Reihe mechanischer digitaler Uhren.

Seit wann gibt es eigentlich die Digitalisierung? In der deutschen Sprache ist sie seit 1962 präsent. Damals fand in Tübingen ein Symposium über Automation und Digitalisierung in der astronomischen Messtechnik statt. Der SPIEGEL verwendete den Ausdruck zuerst 1981 im technischen Sinne. Vorher bezeichnete er die Vergabe der auch Fingerhut genannten Heilpflanze Digitalis; das erwähnte 1978 auch das Nachrichtenmagazin.

Heute meinen wir mit Digitalisierung vor allem die Umwandlung stufenloser analoger Werte in diskrete und durch Zahlen ausgedrückte Daten. Das Konzept entdeckte im 19. Jahrhundert ein in Salzburg lebender Uhrmacher namens Josef Pallweber. Am 18. Mai 1883 meldete er beim Reichspatentamt in Berlin ein Anzeigewerk für Uhren an. In seinem Inneren saßen drei Rädchen mit aufgemalten Ziffern, die periodisch vorrückten; nur der Sekundenzeiger drehte sich in der gewohnten Weise. Kurz, Pallweber hatte die mechanische Digitaluhr erfunden. Das Amt gewährte das Patent am 3. Dezember 1883 unter der Nummer 25.042.

Grafik aus Josef Pallwebers amerikanischem Patent Nr. 312.754

Geboren wurde Josef Pallweber am 7. Februar 1858 in Schörfling am Attersee, dreißig Kilometer östlich von Salzburg. Vater Ernst war Schmied, später baute er Turmuhren. Der junge Pallweber ging nach dem Schulabschluss in die Schweiz und erlernte dort das Uhrmacherhandwerk. In den 1880er-Jahren kehrte er in die Heimat zurück, das Patent von 1883 haben wir oben erwähnt. 1884 gründeten Vater und Sohn Pallweber in Salzburg eine gemeinsame Firma. Kurz darauf brachten zwei Schweizer Hersteller, Cortébert im Kanton Bern und IWC in Schaffhausen, Sprungziffernuhren nach dem Pallweber-Patent heraus.

1886 zog Josef Pallweber von Salzburg nach Mannheim. 1890 wohnte er in Furtwangen im Schwarzwald, einem Zentrum der Uhrenindustrie. Aus dem Jahr 1895 liegt eine digitale Tischuhr von einer Firma ganz in der Nähe vor, der A. G. für Uhrenfabrikation in Lenzkirch. In ihr wurden Täfelchen mit Ziffern durch waagrechten Wellen bewegt; das zugehörige Patent erwarb Josef Pallweber 1890. Im Englischen bürgerte sich dafür der Name Flip Clock ein. Eine ähnliche Technik verwendeten später auch Fallblattanzeigen.

Pallweber-Tischuhr mit Klappziffern  (Foto Deutsches Uhrenmuseum Furtwangen)

Ab etwa 1895 arbeitete unser Erfinder für die Fabrik mechanischer Apparate in Frankfurt am Main. 1903 tat er sich mit dem 1875 in Karlsruhe geborenen Adolf Bordt zusammen. Die beiden gründeten in Mannheim die Adix Company Pallweber & Bordt; ihr Hauptprodukt war die gleichnamige Kolonnen-Addiermaschine. Auch sie ging auf ein Patent von Pallweber zurück. Die Adix und ihre Nachfolger wurden bis zum Ende der 1950er-Jahren produziert, wir verweisen auf die informative Seite von Winfried Denz. Josef Pallweber verließ 1908 die Rechenmaschinenfirma; er starb am 28. Januar 1921 in Mannheim.

Schon 1904 erschien in Amerika die Plato Clock, eine Klappuhr des New Yorker Erfinders Eugene Fitch. In ihr bewegten sich Ziffernschildchen um senkrechte Achsen. In den 1920er- und 1930er-Jahren boten andere US-Hersteller die Zyklometer-Uhren an. Hier drehten sich schmale Zylinder mit Ziffern an der Außenseite wie die Anzeigen eines Kilometerzählers. Bekannte Hersteller waren Lawson in Kalifornien und Telechron in Massachusetts. Das Pallweber-Prinzip mit herunterfallenden Zahlen griff in den 1950er-Jahren die Uhrenfirma Solari im norditalienischen Udine auf. Berühmt wurde ihre Cifra 5.

Der Addierer Adix konnte nur einstellige Zahlen aufsummieren.

Armbanduhren mit Ziffernanzeige liefen ebenfalls schon vor dem Zweiten Weltkrieg; sie wurden als Scheibenuhren bezeichnet. Ihre große Zeit kam in den frühen 1970er-Jahren. Inzwischen war der Computer erfunden, und die Hersteller sparten nicht mit dem Label digital. 1973 wurden solche Uhren auch in der DDR produziert, Ein Jahr vorher erlebte die Welt jedoch eine echte Digitaluhr: Wir meinen die Pulsar. Sie tickte elektronisch und zeigte die Zeit mit Leuchtdioden an. Auf die LEDs folgten die Flüssigkristalle mit dem Doppelpunkt dazwischen, und so wurde die Welt immer digitaler.

Eine Anmerkung: In der Patentliteratur und der österreichischen Presse trug der Digital-Erfinder den Vornamen Josef  wie auch Joseph. Wir nehmen an, dass es sich stets um die gleiche Person handelte. Unser Eingangsbild zeigt eine Taschenuhr nach dem Patent von Josef Pallweber aus dem Jahr 1883 und vom Hersteller Cortébert.  The photo is reproduced by kind permission of Pieces of Time. Last not least noch ein Hinweis: Der kommende Sonntag, der 21. Mai, ist der Internationale Museumstag, an dem der Eintritt ins HNF frei ist. Das Haus öffnet um 10 Uhr, und es gibt besondere Führungen, zu denen hier mehr steht.

Zyklometer-Uhr „Baron“ aus den 1930er-Jahren   (Foto David Ellis CC BY-NC-ND 2.0)

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3 Kommentare auf “Die Geburt der Digitalisierung”

  1. Herbert Bruderer sagt:

    Meines Erachtens gibt es keine vordigitale Zeit. Digital waren bereits die mechanischen Rechenmaschinen im 17. Jahrhundert, digital arbeitet der uralte Abakus, digital ist das Fingerrechnen, das wohl so alt ist wie die Menschheit.

  2. PTB Braunschweig sagt:

    In dem Text hat sich ein kleiner Fehler eingeschlichen.
    Der Link zu den Fallblattanzeigen (Wikipediaeintrag) wird fälschlicherweise als Faltblattanzeige angegeben.
    Kurioserweise weist dieser Wikipediaeintrag direkt in der ersten Zeile auf diesen Schreibfehler hin. 😉

    Viel Erfolg beim internationalen Museumstag und viele Grüße nach Paderborn.

    1. Benjamin Athens sagt:

      Danke für den Hinweis! Wir haben den Fehler korrigiert.

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